Am 18. Mai haben wir von Bremerhaven aus abgelegt, nachdem wir lange in Quarantäne gewesen waren, um Corona-Infektionen auszuschließen; Merian voraus und Sonne, wo ich untergebracht war, hinterher. Dann ging es Richtung Norden. Eigentlich sollten unsere beiden Schiffe am 23. Mai auf die Polarstern treffen, die uns aus dem Eis entgegenkommen sollte. Doch bald wurde klar: Nur wir würden pünktlich sein, das Eis war zu fest und bremste die Polarstern. Immer weiter wurde die Ankunft des Forschungseisbrechers im Isfjord bei Spitzbergen vertagt.
Okay, das ist eben Eisdynamik, da hilft nur warten. Ich vergrub mich wieder in Arbeit, solange ich Internet auf dem Mobiltelefon hatte, und bearbeitete mit großem Enthusiasmus diverse Messdaten meiner Geräte aus den vorangegangenen Fahrtabschnitten. Doch die Polarstern kam noch immer kaum voran. Erst am 3. Juni erreichte sie die Eiskante. Von dort bis zum Treffpunkt im Fjord brauchte sie weniger als einen Tag - zuvor hatte sie für fast die gleiche Distanz durch das Eis zwei Wochen benötigt.
Am 5. und 6. Juni wurden endlich unsere Schiffe an der Polarstern festgemacht. Zusammen mit dem Treibstofftanker und den Pilotbooten von Longyearbyen auf Spitzbergen ergab das ein sehr beeindruckendes Schiffsballett, denn die Schiffe drehten sich im Wind um die eigenen Achsen. An Bord gab es eine herzliche Begrüßung mit den Kollegen des vorangegangen Fahrtabschnitts. Dann begannen wir sofort mit der Übergabe. Das Material, für das ich nun mit einem Kollegen zuständig bin, war auf drei Container, zwei Labore, eine Ballonhalle und zwei Lagerräume auf verschiedenen Schiffsdecks verteilt. Um dabei noch den Überblick zu behalten, hilft nur eine gute Inventarisierung.
Einige Tage später verließen alle Schiffe den Fjord, wir bogen nach Norden ab, mitten rein in die Expedition. Am 9. Juni begann die Polarstern unter Rumpeln und Schwanken, tonnenschwere Eisbrocken souverän beiseite zu schieben.
Die Polarstern reist angedockt an einer Eisscholle.
(Foto: LUKAS PIOTROWSKI/AFP)Aber bald steckten auch wir das erste Mal fest, das Eis stand unter zu großem Druck, um effizient weiterfahren zu können. Die Schiffsführung entschied abzuwarten. Einige Kollegen nutzten den Moment für erste Messungen auf dem Eis bei strahlendem Sonnenschein, in knallroten Eisanzügen. Am Abend bekamen wir Besuch von einer Eisbärenmama mit ihrem Jungen. Auf dem Eis war da längst niemand mehr, es war ganz still. Mehrmals konnten wir die Eisbärin brüllen hören. Zwei Tage später kam ein Männchen vorbei, das sich aber kaum für uns interessierte.
In den folgenden Tagen ging es dann unter Rumpeln und Schaukeln, Trainings und weiteren Einweisungen weiter in Richtung der Scholle, mit der die Polarstern während der zurückliegenden Fahrtabschnitte durch das Eis gedriftet war. Derweil baute ich die Ersatzteile für mein defektes Messgerät ein: Puh, Glück gehabt, alles funktionierte auf Anhieb!
Alexander Schulz, 37, ist Physiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Bis Ende Juli nimmt er an der Mosaic-Expedition teil und berichtet in loser Folge für die SZ.
(Foto: Alfred-Wegener-Institut (Awi)/Alfred-Wegener-Institut (Awi))Am 17. Juni erreichten wir endlich die Scholle. Erkundungsflüge per Helikopter hatten gezeigt, dass die dort zurückgelassenen Messgeräte in gutem Zustand waren, die Messungen waren auch während der Abwesenheit der Polarstern weitergelaufen. Nun sollte ein kleines Team den Zustand dieser und der umgebenden Eisschollen untersuchen. Jetzt wurde es spannend. Aber alles war in Ordnung, wir konnten mit dem Aufbau beginnen. Inzwischen haben mein Kollege und ich schon zwei Schlitten mit unseren Messgeräten zusammengebaut und aufs Eis gebracht. Auch die Wetterballons steigen täglich auf.
Es ist hier jetzt übrigens rund um die Uhr hell, nachts wird es nicht dunkler als an einem Frühjahrsnachmittag. Die Sonne scheint also oft direkt ins Fenster der Polarstern, um ein Uhr morgens. Aber wir haben ja Rollos.