Unterhalb kahler Hügel, bedeckt von grünbraunen Moosen, Gräsern und Flechten, stehen acht große Käfige in der norwegischen Tundra. In einem davon bewegt sich etwas. Ein Polarfuchspaar läuft gemeinsam an den meterhohen Zäunen entlang, an drapierten Schieferfelsen und grün bemalten Tonnen vorbei, die als Versteck dienen. Sie tragen noch ihren braun-weißen Sommerpelz, der an manchen Stellen zerzaust absteht. Ihr Lauf ist leicht, der große, bauschige Schwanz schwingt elegant hinterher.
Der Polarfuchs ist so etwas wie ein Nationaltier in Norwegen, doch ist er hier und in Schweden stark bedroht. Während es in Sibirien, Spitzbergen, Grönland, Kanada und Alaska noch recht viele Tiere gibt, ist ihr Bestand auf dem skandinavischen Festland so klein geworden, dass er komplett von Erhaltungsmaßnahmen wie dieser abhängig ist - und von Menschen wie Arild Landa. Der 61-Jährige mit grauem kurzen Haar und gebräuntem Gesicht leitet das Aufzuchtprojekt nahe der Stadt Oppdal, südlich von Trondheim. Sein dunkelblauer Overall und seine grauen Wanderschuhe sind von einer hellen, erdigen Schicht überzogen. Der Norweger hat sich auf hochalpine Ökologie spezialisiert. Er spricht langsam und wählt seine Worte mit Bedacht. "Ein großer, dunkler Schatten hängt über den Polarfüchsen: der Klimawandel", sagt der Biologe, und streift seine dicken Arbeitshandschuhe ab.
Im Dovrefjell-Nationalpark, der hier beginnt, lebt die größte Polarfuchs-Population von Norwegen, erzählt Landa. In diesem Jahr gebe es allerdings wenig Nachwuchs. Nur 19 Welpen in der Station, im Vorjahr seien es knapp 50 gewesen. Auch in der Wildnis seien es sehr wenige, ein Wurf mit zwei Welpen. "Vielleicht nehmen sie sich ein Ruhejahr", sagt Landa ernst. Dann klingelt sein Telefon. Ein Mountain Ranger ruft an, der gerade im Nationalpark unterwegs ist.
Ein Bericht der Weltnaturschutzunion IUCN warnt davor, dass der Polarfuchs zu den Tieren zählt, die am härtesten vom Klimawandel betroffen sein werden. Denn die Tiere sind mit ihrem weißen oder bläulichen, dicken Winterpelz, ihrem kompakten Körper mit Fettreserven, ihrer Fähigkeit, die Stoffwechselrate zu senken, um längere Hungerperioden zu überstehen, ideal an die Arktis angepasst. In den Pfoten schränken dicht stehende Venen den Wärmeverlust ein. Im 19. Jahrhundert war die Polarfuchspopulation in Skandinavien noch sehr groß, es gab mehr als 10 000 Tiere. Doch wurden sie wegen ihres Pelzes so stark bejagt, dass sie fast ausstarben. Obwohl sie seit 90 Jahren unter Schutz stehen, hat sich der Bestand nie erholt. Heute streifen durch ganz Skandinavien knapp 300 erwachsene Tiere, erzählt Landa.
Die Füchse vermehrten sich erst, als die Station in ihr natürliches Umfeld verlegt wurde
Nun ziehen sich die Tundra und der Permafrost infolge der fortschreitenden Erderwärmung zurück. Von Süden her erobert der verwandte Rotfuchs die Reviere der Polarfüchse. Im Wettstreit mit dem nur etwa halb so großen Polarfuchs ist er im Vorteil, sei es bei der Jagd oder beim Kampf gegeneinander. Zudem wird der weiße Winterpelz den Polarfuchs wohl langfristig nicht mehr tarnen. Zwar fügt sich sein brauner Sommerpelz perfekt in die Tundrafarben ein, doch schwindet der Schnee früher oder fällt später, werden die strahlend weißen Tiere im Winter auffallen.
Dabei wird die Futtersuche schon jetzt schwer: Die steigenden Temperaturen und die veränderten winterlichen Bedingungen wirken sich Landa zufolge auf die Lebenszyklen der Lemminge aus, der Hauptnahrung des Polarfuchses. Da dessen Fortpflanzung wiederum eng an die Lemminge geknüpft ist, bleibt Nachwuchs über längere Perioden aus. Der Polarfuchs begnügt sich zwar auch mit Aas. Doch das findet er oft gerade dort, wo die nächste Gefahr lauert: auf viel befahrenen Straßen. So würden viele der ausgesetzten Tiere von Autos überfahren, berichtet Landa.
Schon die Aufzucht von Polarfüchsen ist nicht einfach. Erste Versuche in isolierten Gehegen scheiterten, erst die Verlegung der Station in ihre natürliche Umgebung erzielte Erfolge. Im Norwegischen heißt der Polarfuchs "fjellrev", also "Bergfuchs", denn sein natürliches Verbreitungsgebiet sind in Norwegen und Schweden die Berge. In Oppdal werden seit 2005 jährlich Fuchspaare aus verschiedenen Regionen zusammengebracht, und Füchse mit blauem und weißem Winterpelz gemischt, um die genetische Variation zu erhöhen. Die Welpen werden im späten Winter ausgewildert, in der Hoffnung, "dass es bald so viele Polarfüchse in der Wildnis gibt, dass sie sich selbst erhalten", sagt Landa.
Um die Füchse an die Bedingungen in der Wildnis zu gewöhnen, werden die Tiere an Futterstationen mit Nahrung versorgt. Die Futtertonnen haben eine Öffnung, die so schmal ist, dass der katzengroße Polarfuchs durchpasst, der größere Rotfuchs nicht. In den Gehegen sind die Tiere scheu, sie bleiben die meiste Zeit versteckt. Wenn sie sich zeigen, recken sie ihre Schnauzen schnuppernd unter den Steinen hervor, schleichen heraus, weichen wieder schreckhaft zurück. In freier Wildbahn hingegen sind die Tiere erstaunlich aktive Wanderer. Das Meereis dient ihnen als Jagdgrund. Kürzlich wurde die interkontinentale Wanderung einer jungen Polarfüchsin aufzeichnet. Das Tier legte auf dem Weg von Spitzbergen nach Ellesmere Island in Kanada innerhalb von 76 Tagen 3506 Kilometer zurück, die schnellste aufgezeichnete Wanderung dieser Spezies.
Das langfristige Abschmelzen des Meereseises in der Arktis wird laut den Forschern wohl künftig mehr isolierte Populationen hervorbringen, etwa in Spitzbergen. Solche kleinen Populationen können durchaus von Dauer sein: In Island etwa lebt seit der letzten Eiszeit eine stabile Population, die sich an das Inselleben angepasst hat. Die Füchse dort ernähren sich überwiegend von Seevögeln statt von Lemmingen, die es auf Island nicht gibt.
Die nach der Aufzucht ausgesetzten Füchse aus Oppdal werden beobachtet, durch Kameras an den Futterstellen, DNA-Proben und Mikrochips in den Ohren. Daraus lässt sich ihre Überlebensrate ableiten, die Migration verfolgen, erklärt Arild Landa. Am überraschendsten sei gewesen, wie viele der ausgesetzten Füchse überlebten. Mit durchschnittlich 60 Prozent nach dem ersten Jahr war die Überlebensrate höher als die der wildgeborenen, von denen nur gut die Hälfte das erste Jahr übersteht. Dahinter vermutet Landa die tiermedizinische Behandlung und das Aussetzen im späten Winter, wenn die härteste Zeit des Jahres vorüber ist.
Inzwischen sind die Tiere in mindestens drei Bergregionen in Norwegen und Schweden wieder etabliert, in denen sie zuvor ausgestorben waren. In einem Fall konnten sich die Füchse schon selbst helfen, erzählt Landa stolz: Ein ausgesetztes blaues Fuchspaar sei 200 Kilometer weit gelaufen, bis an einen Ort in Schweden, wo es zu jenem Zeitpunkt nur weiße Füchse gegeben habe und damit die genetische Variation fehlte. "Die blauen Füchse haben sie schließlich genetisch gerettet", sagt Landa. "Sie heißen jetzt: Blues Brothers.