Tierschutz:Der einsamste Elefant der Welt

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Kaavan beim "Weben", das Hin- und Herschwenken des Kopfes ist ein Zeichen von Einsamkeit. (Foto: SAIYNA BASHIR/REUTERS)

Über Jahrzehnte lebte Kaavan angekettet in einem Zoo in Pakistan, nun soll er befreit werden. Wieso es gerechtfertigt sein kann, 500 000 Euro für die Rettung eines einzigen Tieres auszugeben.

Von David Pfeifer

Es gibt nicht viele echte Elefanten, die Fans auf der ganzen Welt haben. Vermutlich ist Kaavan sogar der Einzige seiner Art. Seine prominenteste Unterstützerin dürfte die Sängerin Cher sein, die sich seit Jahrzehnten für das Wohl von Tieren engagiert. Cher twitterte am 21. Mai dieses Jahres, dekoriert mit vielen lachenden und weinenden Emojis: "Dies ist einer der größten Momente meines Lebens!" - der Grund: "Kaavan ist frei!"

Kaavan wurde berühmt als "einsamster Elefant der Welt". Er lebt seit 34 Jahren im Zoo von Islamabad, der Hauptstadt von Pakistan, 32 Jahre lang war er dort rund um die Uhr angekettet. 1990 bekam er sogar eine Partnerin aus Bangladesch, um sich nicht so alleine zu fühlen, doch sie starb 2012. Kaavan ist ein asiatischer Elefant, die sind etwas zierlicher als die afrikanischen, etwa 5000 bis 6000 Kilo wiegt er, "genauer wissen wir es nicht, weil wir keine Waage auf der Anlage haben", sagt Frank Göritz, er musste das Tier anhand seiner Körpergröße und Form schätzen. Göritz ist leitender Tierarzt und Wildtierforscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, spezialisiert auf Großwild und darauf, diese Tiere durch Betäubungen etwas weniger wild zu machen, damit man sie untersuchen oder behandeln kann.

Göritz war vor einigen Wochen wieder im Zoo von Islamabad, um Kaavan zu sedieren und untersuchen. Das ist eine diffizile Angelegenheit, denn der Elefant muss ruhiggestellt werden, soll aber noch stehen können. "Kaavan ist übergewichtig, psychisch geht es ihm nicht gut, er ist extrem gelangweilt. Aber er ist fit genug, um ihn von dort wegzubringen", erklärt Göritz, als er einen halben Tag zu Hause in Berlin Station macht. Zuvor hat er in Salzburg ein Nashorn untersucht, am nächsten Tag geht es nach Polen.

Kaavans Geschichte beginnt im Jahr 1985, als Junius Richard Jayewardene, selbsternannter Präsident von Sri Lanka, dem Staatsoberhaupt von Pakistan ein Geschenk machen möchte. In Pakistan herrscht zu dem Zeitpunkt General Zia-ul-Haq, der sich 1977 an die Macht geputscht hat und das Land seitdem per Kriegsrecht führt. Pakistan liefert Waffen nach Sri Lanka und unterstützt Jayewardene im Kampf gegen die "Tamil Tigers". Er wird die tamilische Minderheit im Land noch jahrelang unterdrücken und treibt Sri Lanka in einen Bürgerkrieg. Was also schenkt man sich von Autokrat zu Autokrat im Jahr 1985?

Als Kaavan ein Jahr alt ist, wird er in einen Käfig geführt, nach Pakistan transportiert und im Marghazar-Zoo von Islamabad in die Lehmhütte und das Gehege gebracht, wo er bis heute lebt. Der Zoo gehörte zu den Attraktionen der modernen Musterstadt, die erst in den 1960er-Jahren gebaut wurde und bis 1985 auf etwa 250 000 Einwohner angewachsen war. Heute wirkt der Zoo wie ausgebombt. Die Rasenflächen sind verdorrt, die Wassergräben verschlammt.

Als Frank Göritz im Jahr 2016 zum ersten Mal nach Islamabad reist, nach einem Hilferuf pakistanischer Tierschützer, ist die Anlage bereits ziemlich heruntergekommen. Die Stadt und ihre mittlerweile etwa eine Million Einwohner haben andere Sorgen, als einen Haufen Wildtiere zu pflegen. Aber das "Islamabad Wildlife Management Board" (IWMB) ruft die internationale Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" um Hilfe und macht den Fall über Pakistans Grenzen hinaus bekannt. Cher nimmt sich der Sache an, bald unterschreiben Hunderttausende eine Petition, um Kaavan die Freiheit zu schenken. Den anderen Tieren im Marghazar-Zoo geht es zwar ebenso schlecht, aber Elefanten sind nun mal etwas Besonderes. Sie gelten als klug, sozial, es hält sich das Gerücht, dass sie Menschen süß finden.

In dem geschlossenen Zoo besucht Khalil den Elefanten zweimal am Tag. Er spielt mit Kaavan, versucht ihn zu beschäftigen, singt ihm sogar etwas vor

Kaavan ist zu der Zeit bereits gefährlich und depressiv. Als Göritz ihn zum ersten Mal untersucht, lebt der Elefant schon einige Jahre unter Schmerzen, "er hat mindestens einen Mahut getötet", sagt Frank Göritz, "und weitere Betreuer schwer verletzt". Es gehen zu diesem Zeitpunkt bereits Bilder um die Welt, die das mächtige Tier zeigen, wie es seine Stirnfläche apathisch an die Wand seiner Lehmhütte drückt. Seine Nägel sind aufgesprungen, weil er sie nicht mehr ablaufen kann. Um aber sein Körpergewicht stabil zu tragen, muss ein Elefant wie Kaavan sich bewegen können. Die Nägel sind wichtig, um die Feinheiten der Lastverlagerung bei den tonnenschweren Elefanten auszutarieren, reißen oder brechen sie, kann das Tier nur noch unter Schmerzen gehen oder stehen, versucht sein Gewicht auf ein anderes Bein zu verlagern und verschlimmert seinen Zustand noch. Bakterien können durch die Risse eindringen, die Beine entzünden sich, üblicherweise quält das Tier sich noch eine Weile und verendet schließlich.

Kaavan drückt sich also mit der Stirn an die Wand seiner Lehmhütte, oder er "webt", wie Frank Göritz das nennt. Dabei schwingt das Tier seinen Kopf und die Ohren katatonisch von links nach rechts, "um Endorphine freizusetzen", weil er so gelangweilt ist. Nach Göritz' erster Untersuchung im Jahr 2016 wurde ein Bericht geschrieben und klare Empfehlungen ausgesprochen, wie man Kaavan und seine Zoo-Gefährten besser halten oder in ein Schutzgehege überführen könnte, und dann geschah: nichts. Die Tiere sollten zwar umgesiedelt werden, aber bei dem Versuch, zwei Löwen aus ihrem Gehege zu treiben, setzten die Pfleger Feuer ein. Die Löwen starben noch auf dem Transport an ihren Verbrennungen.

Im vergangenen Jahr wurden Kaavans Pfleger suspendiert, weil sie dem Tier sein Futter gestohlen hatten. Wenig später wurde bekannt, dass sich auch die Wildschweine über sein Brot und die Früchte hermachten. Als Göritz Kaavan im Frühjahr 2020 wieder untersuchen konnte, war der Elefant dehydriert "und extrem falsch ernährt", wie Göritz sagt. "Die haben ihm einfach täglich 200 Kilo Zuckerrohr hingeworfen, davon ist er übergewichtig geworden." Immerhin hatte die Petition von Cher und ihren Followern zur Folge, dass der Fall des verwahrlosten Zoos in Islamabad vor Gericht kam und beschlossen wurde, ihn dichtzumachen.

Neben Kaavan mussten die IWMB und "Vier Pfoten" nun auch für zwei Braunbären aus dem Himalaja, drei Wölfe, Affen, einen Hirsch sowie Kaninchen Unterkünfte finden, insgesamt 36 Tiere, in Pakistan und im Ausland. Um das zu organisieren, ist Amir Khalil mit seinem Team seit einigen Wochen in Islamabad. Khalil ist Veterinär, in Ägypten geborener Österreicher, meistens in Krisengebieten unterwegs, er arbeitet seit 26 Jahren für "Vier Pfoten" und spricht neben Arabisch auch Englisch und Deutsch. In den nun geschlossenen Marghazar-Zoo geht er derzeit zwei Mal am Tag für mehrere Stunden. Er spielt mit Kaavan, versucht ihn zu beschäftigen, singt ihm sogar etwas vor. "Er ist ein sehr großherziges Wesen", sagt Khalil über den Elefanten und lacht quer über den Bildschirm, "er freut sich sogar, wenn ich ihm was von Frank Sinatra vorsinge."

Statt der alten Zoowärter sind nun die Helfer der IWMB vor Ort. Amir Khalil legt Wert auf die Feststellung, dass es nicht darum geht, den Pakistanern zu erklären, wie man Tiere hält, sondern Kaavan und seinen Leidensgenossen noch ein paar gute Jahre zu ermöglichen.

Kaavans Bekanntheit hat Aufmerksamkeit gebracht, was hilft - aber auch bremst. Wenn Amir Khalil also nicht bei etwa 35 Grad mit seinen Leuten und den pakistanischen Tierschützern im Zoo unterwegs ist, oder Kaavan etwas vorsingt, dann sitzt er in Behörden, beantragt eine Verlängerung seines Visums oder lädt Botschafter verschiedener Nationen ein, sich an der Hilfsaktion zu beteiligen.

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Hier wird es nämlich wieder politisch: Die Behörden in Pakistan möchten Kaavan nun, wo er berühmt ist, lieber im Land behalten. Nur liegt das beste Schutzgehege für seine Altersruhe in Kambodscha. Dorthin müsste Kaavan entweder über Karatschi per Seeweg gebracht werden, was sehr lange dauern würde - oder per Flugzeug. Doch die einzige Maschine, die ein Tier seiner Größe mitsamt maßgeschneidertem Reisekäfig überhaupt tragen könnte, wäre eine Antonow 124, ein Transportflugzeug, einst für das sowjetische Militär gebaut, nun mit einem Monopol auf dem Weltmarkt der Schwertransporte per Luftfracht. 300 000 bis 500 000 Euro würde Kaavans Umzug auf diesem Weg kosten. "So viel Geld muss man erst zusammenbekommen", sagt Amir Khalil, der einen außergewöhnlichen Optimismus ausstrahlt.

Dass Elefanten uns Menschen süß finden, ist ein Gerücht. Wir sind ihnen entweder egal oder sie haben Angst vor uns, weil sie uns kennen

Khalil ist so etwas wie ein Indiana Jones des Tierwohls, er hat den Privatzoo von Saddam Hussein aufgelöst, er hat die Israelis dazu gebracht, ihre Grenzen zu öffnen, damit er Tiere aus einem Zoo im Gaza-Streifen nach Jordanien bringen konnte. Und in Mossul nutzte er im Jahr 2017 zwei Tage Feuerpause, um Löwen und Bären zu evakuieren. Sieht Khalil also Chancen, dass Kaavan bald nach Kambodscha gebracht werden kann? "Ja, natürlich. Es gibt hier im Land ja sonst keine asiatischen Elefanten, mit denen man ihn sozialisieren könnte." Und was ist mit den anderen Tieren? "Die werden ebenfalls in Schutzgebiete oder Gehege umgesiedelt, immer dorthin, wo man auf ihre Haltung spezialisiert ist." Einige können in Pakistan bleiben.

Auswildern kann man die Tiere sowieso nicht mehr, zwei der Bären haben keine Zähne, weil sie ihnen gezogen wurden und man die Tiere als Tanzbären hielt. Oder sie haben, wie Kaavan, keinerlei soziales Verhalten gelernt und könnten sich in der Wildnis nicht behaupten. "Gerade Elefanten sind Tiere mit einem sehr komplexen Sozialsystem", erklärt der Biologe Thomas Kölpin, Leiter des Wilhelma-Zoos in Stuttgart, am Telefon. Als Kölpin noch Direktor des Zooparks in Erfurt war, hat er dort ein neues Elefantengehege eingerichtet, "dabei geht es darum, dass man Elefanten ihr Sozialverhalten möglichst ähnlich ermöglicht wie in freier Wildbahn". Sie müssen sich nicht nur bewegen, sich begegnen, sondern auch aus dem Weg gehen können. So ein Gehege ist aufwendig, groß und teuer. Elefanten haben nicht nur ein sprichwörtlich gutes Gedächtnis, es sind kluge Tiere, die ein Bewusstsein für sich selbst entwickeln, auch für ihre Umstände.

Dass Elefanten die Menschen besonders rühren, liegt daran, "dass sie, genauso wie Delfine oder Menschenaffen, beispielsweise ihre Kinder ähnlich betreuen wie wir" , erklärt Kölpin. Menschen wachsen mit Benjamin Blümchen oder Dumbo auf, mit dem Elefanten als Symbol der Liebenswürdigkeit. Kann aber ein Elefant wie Kaavan sich wirklich einsam fühlen oder gar depressiv sein, so wie es die Petition suggeriert hat? "Ja, wenn ein Elefant traurig ist, dann merken Sie das ganz deutlich", sagt Kölpin, "die machen aus ihren Gefühlen kein Geheimnis." Dass Elefanten uns, die Menschen, allerdings süß finden, da muss Kölpin den Anrufer enttäuschen, "das ist ein Gerücht, dafür sind die Tiere zu intelligent. Wir sind ihnen entweder egal oder sie haben Angst vor uns, weil sie uns kennen." In einem Schutzgehege würde Kaavan nach Kölpins Einschätzung seine Verhaltensweisen, also beispielsweise das Weben, zwar nicht ablegen, aber er könnte noch ein paar glückliche Jahre haben. Asiatische Elefanten werden bis zu 50 Jahre alt, allerdings nur in freier Wildbahn.

Trotzdem: Hunderttausende Euro, um eine Antonow 124 zu chartern, monatelange diplomatische Gespräche, um einen alten Elefanten für einen kurzen Teil seines Lebens glücklich zu machen? Da drängt sich eine Frage an Amir Khalil auf: Gibt es nicht noch ein paar Menschen auf dieser Welt, denen man helfen sollte, bevor man solch einen Aufwand für ein Tier betreibt? "Für mich ist das keine Frage von Tierschutz, sondern von Menschlichkeit" entgegnet Khalil, der diese Frage nicht zum ersten Mal hört. "Menschlichkeit zeigt sich nicht nur daran, wie ich mit anderen Menschen umgehe. Wenn Sie Weihnachten eine Krippe sehen, mit Jesus darin, dann steht da auch ein Schaf und ein Esel, so tief sind wir mit den Tieren verbunden. Wir leben von und mit ihnen" sagt Khalil. Wenn er es derzeit nicht schafft, Kaavan etwas vorzusingen, dann wartet der Elefant an der Stelle, an der er ihn normalerweise trifft. Wen das nicht berührt, dem kann Khalil auch nicht helfen.

Kaavan muss nun darauf trainiert werden, seinen Transportkäfig freiwillig zu betreten, sich dort die Nägel pflegen zu lassen. In ein paar Wochen sollte Kaavan transportfähig sein. Noch haben Amir Khalil und seine Leute ein bisschen Überzeugungsarbeit in Islamabad zu leisten, derzeit wird auf der Behörde, die Kavaans Ausreisepapiere erstellen soll, diskutiert, ob der Elefant es verträgt, wenn er beim Start der Maschine in Rücklage gerät. Als sei das ein größeres Problem als seine bisherigen Haltungsbedingungen. "Aber bis Ende November haben wir ihn in Kambodscha", davon ist Amir Khalil überzeugt. Weihnachten also könnte Kaavan unter Artgenossen in einem elefantenwürdigen Schutzgebiet verbringen. Dass Weihnachten ist, wird dem Tier egal sein, aber den Menschen natürlich nicht. Cher hat bereits angekündigt, dass sie ihn besuchen will.

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