Apropos Bioladen: Was ist dran an der gefühlten Wahrheit, dass Bio-Lebensmittel grundsätzlich umweltfreundlicher sind als konventionell erzeugte? Die kurze Antwort lautet: Grundsätzlich stimmt diese Daumenregel. Bezogen auf den Landbau zum Beispiel ist die Sache recht eindeutig, wenn es um den Energieverbrauch pro Fläche geht. Der Bio-Landbau benötigt laut dem Bayrischen Umweltministerium knapp sieben Gigajoule pro Hektar Land, die konventionelle Variante hingegen gut 19 Gigajoule pro Hektar. Die Unterschiede ergeben sich zum Beispiel aus dem unterschiedlichen Einsatz von mineralischem Dünger und Futtermitteln.
Doch wie das eben so ist mit Daumenregeln: "Sie gelten nicht für alle Fälle", sagt Michael Bilharz vom Umweltbundesamt. "Letztlich muss man immer den Einzelfall sowie die für die Ökobilanzen zu Grunde gelegten Annahmen betrachten." Und diese Annahmen unterscheiden sich oft zwischen den verschiedenen Berechnungen. "Es gibt zwar eine Iso-Norm für Ökobilanzen, aber die lässt noch einen breiten Spielraum", sagt Niels Jungbluth. "Deshalb können verschiedene Ergebnisse herauskommen, wenn zwei Gruppen eine Ökobilanz für das gleiche Produkt erstellen. "
Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Gewichtung einzelner Faktoren, für die es wissenschaftlich keine eindeutige Aussage gibt. Ein typisches Beispiel ist die Haltung von Kühen als Grundlage der Produktion von Milch, Käse und Fleisch. Wie viel des Methanausstoßes der Tiere und des Landverbrauchs, der für den Futteranbau nötig ist, soll man den einzelnen Produkten zuordnen? "Da gibt es kein allgemeingültiges richtig oder falsch", sagt Jungbluth. Hinzu kommt, dass Ökobilanzen ursprünglich für die Industrie gedacht waren - und die hat eigene Interessen, die in die Interpretation der jeweiligen Analyse mit eingehen dürften.
Und es geht noch komplizierter: Mitunter fließt die Jahreszeit in die Ökobilanz ein - und bringt zunächst irritierende, intuitiv nicht verständliche Ergebnisse. Ein Beispiel dafür sind Äpfel. Kann es sein, dass Äpfel aus Argentinien oder Neuseeland ebenso umweltfreundlich sind wie das heimische Obst? Durchaus. Die importierten Früchte müssen zwar mit dem Schiff nach Deutschland transportiert werden. Dafür entfällt bei ihnen die monatelange Lagerung im Kühlhaus, die heimische Äpfel im Sommer benötigen. Was also folgt daraus für alle, die es ganz genau nehmen? Von Herbst bis etwa April sind heimische Äpfel aus Umweltsicht günstiger. Den Rest des Jahres spielt die Herkunft so gut wie keine Rolle. Vorausgesetzt, man bedenkt auch noch die Größe des Betriebes - die schlägt sich nämlich ebenfalls in der Bilanz nieder. Vereinfacht gesagt, benötigen große Unternehmen oft weniger Energie für Anbau, Ernte und Transport als kleine Familienbetriebe.
Kritik an Ökosiegeln
Damit man sich nicht bei jedem Einkauf mit derart komplexen Überlegungen herumschlagen muss, galten einst sogenannte Ökolabel als die beste Lösung. Sie sollen dem Verbraucher auf einen Blick die Umweltverträglichkeit eines Lebensmittels garantieren. Doch schon bald wurde Kritik laut. Unter anderem, da sich die Label stark auf den Kohlenstoff-Ausstoß konzentrieren. "Natürlich ist der wichtig, und oft korreliert er auch mit anderen Faktoren", sagt der Schweizer Experte Pfister. Trotzdem ist er nur ein Faktor unter vielen und damit nur bedingt geeignet, um die Ökobilanz insgesamt einzuschätzen.
Zudem suggeriere ein solches Label für den "Kohlenstoff-Fußabdruck" eines Lebensmittels eine gesicherte Erkenntnis - für die aber oft die Daten fehlen. "Die Resultate einer Ökobilanz sind oft mit großer Unsicherheit behaftet", sagt Pfister. "Das ist schwierig für die Kommunikation gegenüber dem Verbraucher." Und nicht zuletzt fürchten Kritiker, dass vor allem große Konzerne ein Öko-Label als Werbung nutzen würden - weil nur sie es sich leisten können, die Umweltverträglichkeit ihrer Produkte analysieren zu lassen.