Stockholm:Chemie-Nobelpreis geht an drei Nano-Forscher

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An diesem Mittwoch gab die Königlich Schwedische Akademie in Stockholm die Gewinner des diesjährigen Chemie-Nobelpreises bekannt. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov teilen sich den Nobelpreis für die Entwicklung von "Quantenpunkten", die heute in vielen Alltagsgeräten enthalten sind. Vor der Bekanntgabe hatte es eine Panne gegeben.

Von Christina Berndt und Sina Metz

Die Umstände, wie die Gewinner des Nobelpreises für Chemie bekannt wurden, waren in diesem Jahr noch spannender als sonst. Offiziell wurden die Preisträger erst wie geplant in einer Pressekonferenz verkündet, die um 11.45 Uhr an diesem Mittwoch begann. Doch schon in den frühen Morgenstunden meldeten mehrere schwedische Medien, dass sie eine Mail von der Pressestelle der Königlich Schwedischen Akademie erhalten hatten - mit den Namen der drei Gewinner. Einige Stunden Rätselraten folgten: War das ein echtes Leak eines sonst so sorgfältig gehüteten Geheimnisses oder doch eine Falschmeldung? Bis um 11:46 Uhr schließlich feststand, dass da wohl jemand in der Pressestelle zu früh auf den Senden-Knopf gedrückt hatte.

Tatsächlich geht der Nobelpreis für Chemie in diesem Jahr an die drei schon in der morgendlichen Mail genannten Wissenschaftler Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov für ihre Entdeckungen rund um Quantenpunkte. Diese winzigen Strukturen, die auch "künstliche Atome" genannt werden, machen optoelektronische Anwendungen möglich. So werden Quantenpunkte heute unter anderem in Computerbildschirmen und modernen Fernsehern verwendet und sind auch für die Arbeit von Quantencomputern wichtig.

Zumindest Moungi Bawendi hatte von dem Trubel um die verfrühte Bekanntgabe seines Namens gar nichts mitbekommen. Er arbeitet ebenso wie die beiden anderen diesjährigen Chemie-Laureaten an der Ostküste der USA - und lebt damit viele Stunden hinter der europäischen Zeit. Nein, er habe in den vergangenen Stunden keine Anfragen oder Glückwünsche erhalten, sagte der 62-jährige, in Paris geborene Bawendi auf die Frage eines Journalisten während der Pressekonferenz. Der erste Anruf in dieser Sache kam offenbar wie geplant von der Königlich Schwedischen Akademie. Er habe bis zu diesem Anruf tief und fest geschlafen und sei immer noch "sehr überrascht, schläfrig, schockiert und sehr geehrt", sagte Bawendi, der am Massachusetts Institute of Technology forscht. Den schon 80-jährigen Physiker Louis E. Brus von der New Yorker Columbia University hatte die Akademie bis zur Pressekonferenz noch gar nicht erreicht.

"Quantenpunkte bringen den größten Nutzen für die Menschheit"

Diskussionen gab es um den dritten Preisträger, den gebürtigen Russen Alexei Ekimov, der vor fast 25 Jahren in die USA ausgewandert ist. Dort arbeitet der heute 78-Jährige immer noch in einer privaten Firma in New York City. Ob ein Russe angesichts des Ukraine-Krieges zur feierlichen Verleihung der Nobelpreise am 10. Dezember nach Schweden eingeladen werde, wollte eine Journalistin wissen. In diese Entscheidung sei die Akademie nicht involviert, sagte Hans Ellegren, der Generalsekretär der Akademie. Man habe auch mit dem Finden der preiswürdigen Wissenschaftler genug zu tun: "Wir folgen einfach den Regeln. Zuerst müssen wir die wichtigsten Entdeckungen finden, dann die Wissenschaftler, die den größten Beitrag dazu geleistet haben. Die Nationalität oder andere Faktoren spielen dabei keine Rolle." Das sei so auch ganz im Sinne Alfred Nobels, so Ellegren: "Er wollte, dass der Preis unabhängig von der Nationalität vergeben wird."

Nicht so sehr im Sinn von Alfred Nobel ist hingegen, dass innovative Forschung erst lange nach ihrer Entwicklung prämiert wird. Nobel wollte eigentlich die jeweils wegweisende Forschung des aktuellen Jahres ausgezeichnet wissen. Doch von dieser Prämisse weichen die Nobel-Jurys schon seit vielen Jahrzehnten bei den allermeisten Preisvergaben ab. Dass dies auch beim diesjährigen Chemie-Nobelpreis der Fall ist, sieht man nicht nur am hohen Alter von zwei der drei Laureaten, sondern auch an ihren wissenschaftlichen Publikationen: Alle drei haben die wegweisenden Forschungsarbeiten, für die sie nun geehrt werden, bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren gemacht.

Zunächst fand Alexei Ekimov in den frühen 1980er-Jahren am Physikalisch-Technischen Institut Joffe in Leningrad heraus, weshalb eine einzelne Substanz Glas unterschiedliche Farben verleihen kann. Er produzierte Glas mit Kupferchlorid als Zusatz auf verschiedene Weisen und beobachtet, dass sich je nach Variante unterschiedlich große Kupferchlorid-Kristalle im Glas gebildet hatten, die zu unterschiedlichen optischen Effekten führten. Das führte zu den unterschiedlichen Glasfarben. Laut Nobel-Jury war dies das erste Mal, dass jemand gezielt Quantenpunkte hergestellt hat. Je nach Größe dieser Kristalle werden die Elektronen ihnen so zusammengedrängt, dass sie sich nur sehr eingeschränkt bewegen können. Das beeinflusst die Frequenz des Lichts, das sie aufnehmen und aussenden, und damit die Farbe.

Physiker waren schon in den 1930er-Jahren davon ausgegangen, dass in Nanopartikeln Quanteneffekte entstehen können, die solche Farbgebung zur Folge haben, aber sie betrachteten es als nahezu unmöglich, Strukturen in dieser Größe herzustellen. Deshalb glaubten nur wenige Menschen daran, dass dieses Wissen jemals von praktischem Nutzen sein würde - bis Ekimov sein Durchbruch gelang.

Ein paar Jahre später war Louis Brus der erste Wissenschaftler, der bewies, dass größenabhängige Quanteneffekte auch in Teilchen entstehen können, die frei in einer Flüssigkeit treiben. Und schließlich revolutionierte Moungi Bawendi 1993 die chemische Produktion von Quantenpunkten, was zu nahezu perfekten Teilchen führte. Diese hohe Genauigkeit war nötig, um diese Konstrukte in Produkten anwenden zu können. "Quantenpunkte bringen den größten Nutzen für die Menschheit", schwärmt die Akademie in der Begründung für die Auswahl der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger. In der Zukunft seien viele weitere Anwendungen denkbar: biegsame Elektronik, kleinste Sensoren, hauchdünne Solarzellen und verschlüsselte Quantenkommunikation.

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Dass die Preisträger eines Nobelpreises vorab bekannt werden, ist zwar höchst ungewöhnlich - eine Premiere war es in diesem Jahr aber nicht. Im Jahr 2014 erfuhren die Medien noch vor der offiziellen Verkündung vom Büro des Friedensaktivisten Kailash Satyarthi, dass er den Friedensnobelpreis gewinnen würde - gemeinsam mit der damals noch jugendlichen Malala Yousafzai. Das in Norwegen ansässige Nobelkomitee hatte das Büro informiert, und dieses gab die Nachricht direkt an die Medien weiter - wohl nicht wissend, dass sie noch geheim zu halten ist. Satyarthi aber wusste von nichts. Er kam nichtsahnend zur Arbeit und wunderte sich über den großen Auflauf dort. Als ihn ein junger Journalist fragte, ob er wisse, wie Kailash Satyarthi aussehe, fragte der frisch gebackene Laureat, wieso er das denn wissen wolle. "Weil er den Friedensnobelpreis bekommt, Dummkopf!"

Trotz des diesjährigen Leaks blieben die Vertreter der Königlich Schwedischen Akademie am Mittwoch dabei, dass die Preisträger am Mittwochmorgen noch gar nicht festgestanden hätten. Erst im Laufe des Vormittags habe die Akademie die diesjährigen Laureaten formal bestimmt. Ob diese Sitzung denn nur eine Formalie sei, wollte eine Journalistin wissen. Nein, sagte Hans Ellegren. "Die Sitzung ist keine Formalität. Die Akademie als Ganze entscheidet, wer den Nobelpreis gewinnen wird. Das war auch heute der Fall. Keine Entscheidung ist gefällt, bevor sie gefällt ist."

Ohne Panne waren in dieser Woche bereits die Preisträger in Medizin und Physik verkündet worden . Die Nobelpreise sind in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (etwa 950 000 Euro) pro Kategorie dotiert. Das sind eine Million Kronen mehr als in den vergangenen Jahren. Erhalten mehrere Preisträger einen Nobelpreis zusammen - etwa weil sie zum selben Thema geforscht haben -, dann teilen sie sich das Preisgeld. Überreicht werden die Nobelpreise am 10. Dezember, dem Todestag des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel.

Im vergangenen Jahr hatten die US-Amerikaner Barry Sharpless und Carolyn Bertozzi sowie der Däne Morten Meldal den Chemie-Nobelpreis erhalten. Die drei Forschenden wurden für die Entwicklung von Methoden zum zielgerichteten Aufbau von Molekülen ausgezeichnet.

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