Müll:Die geheimen Schätze der Mülldeponien

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Oftmals sind im Unrat der Menschen noch Rohstoffe versteckt. Das zeigt sich unter anderem auf Mülldeponien. (Foto: vchalup - Fotolia)

Seit zwölf Jahren darf in Deutschland kein Hausmüll mehr auf Halden gekippt werden. Für die einen sind die alten Müllberge tickende Zeitbomben - andere vermuten darin wertvolle Rohstoffe.

Von Hanno Charisius

Der erste Berg, den man sieht, wenn man auf der Autobahn von Norden aus Richtung München fährt, ist der Müllberg auf der rechten Seite der A9. Gut 50 Meter erhebt sich die neue Deponie über das Umland. Von ihrem Gipfel hat man einen weiten Blick über die Stadt bis hin zum Alpenrand. In das Panorama fügen sich ein paar wichtige Elemente der Abfallentsorgung der Millionenstadt: Sondermüllumschlagplatz am Fuß des Berges, Müllverbrennungsanlage und schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Autobahn, die alte Deponie, die zum begrünten Naherholungsgebiet umgebaut wurde.

Auch der Fuß der neuen Deponie wird bereits von Pflanzen erobert. Oben schaut schwarzgrau die Kuppe hervor, zu Schlacke gewordener Unrat. Denn wenn die Müllverbrennungsanlage getan hat, wozu sie da ist, ist der Müll der Menschen nicht mehr wiederzuerkennen. Wie aus einem Vulkan gerieselt sieht die Schlacke aus, die bei der Müllverbrennung aus dem Heizkessel fällt. Dazwischen Ton-, Glas und Porzellanscherben, eine verbogene Gabel, ein Löffel und anderer Metallkram, der irgendwie unerlaubterweise seinen Weg in den Hausmüll gefunden hat. Es knirscht bei jedem Schritt unter den Schuhen.

Mülldeponien in Deutschland sind längst nicht mehr, was sie einmal waren. Die stinkenden Dreckhaufen, an die sich die Jüngeren vielleicht schon nicht mehr erinnern, sind in vielen Regionen bereits unter Schlacke aus Müllverbrennungsanlagen verschwunden. Seit 2005 darf in Deutschland kein unbehandelter Hausmüll mehr auf Halden gekippt werden. Das heißt: Was nicht wiederverwertet wird, wird verbrannt. Für manche Experten ist diese Form der Müllentsorgung eine gigantische Verschwendung von Ressourcen.

Im Unrat der Menschen stecken Rohstoffe. So gibt es Schätzungen, nach denen 4,5 Prozent der weltweiten Tantal-Produktion im deutschen Hausmüll verschwindet. Computerbauteile werden daraus gefertigt, Mobiltelefone würden ohne das Metall nicht funktionieren. Ausrangierte Smartphones gehören in die Wiederverwertung, der Hausmüll ist für Tantal definitiv der falsche Ort. Hinzu kommen Eisen- und Aluminiumschrott und andere Metalle. "Die Schlacken aus der Müllverbrennung enthalten 0,4 bis 0,7 Prozent Kupfer", sagt Daniel Goldmann, Professor für Rohstoffaufbereitung und Recycling an der Technischen Universität Clausthal, "Tendenz steigend". In manchen natürlichen Lagerstätten, die vom Menschen erschlossen werden, gibt auch das Erz nicht mehr von dem teuren Metall her.

Wäre es da nicht schlauer, den Müll - wie früher, aber vielleicht geschickt vorsortiert - wieder zu Bergen aufzuhäufen, um irgendwann, wenn die Rohstoffpreise noch weiter gestiegen sind, die wertvollen Bestandteile wieder herausholen zu können? In den rund 2000 amerikanischen Müllbergen sollen bereits heute drei Weltjahresproduktionen Kupfer lagern; eine stattliche Reserve.

Mülldeponien können erheblich zur Erderwärmung beitragen

Hausmüll verbrennen oder deponieren, das ist in Europa seit der Jahrtausendwende eigentlich keine Frage mehr. Damals beschloss die EU-Kommission, dass Deponieren, der "am wenigsten zu bevorzugende" Weg der Müllentsorgung ist. In erster Linie ging es dabei um Umwelt- und Klimaschutz, denn Mülldeponien gehören zu den weltweit größten Methanproduzenten. Das Gas entsteht, wenn Müll vor sich hin rottet und verstärkt die Erderwärmung 25 Mal so stark wie eine gleiche Menge Kohlendioxid. Bis zur flächendeckenden Umsetzung der Deponieverordnung waren Mülldeponien in Deutschland neben der Landwirtschaft die größten Quellen für das Treibhausgas, weil dort volle Windeln, Kühlschränke, Kartoffelschalen, Zeitungen und Bierflaschen wild durcheinander aufgehäuft vor sich hin gammelten.

Seit der EU-Direktive sinkt der Müllanteil, der in Europa unbehandelt auf der Deponie landet, stetig. Im Jahr 2014 waren es nur noch 34 Prozent, zehn Jahre zuvor lag die Quote noch bei fast 50 Prozent. In Deutschland ist dieser Entsorgungsweg praktisch auf null gesunken, ebenso wie in Österreich, Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und der Schweiz. Das geht aus einem Bericht der EU hervor. Die Recyclingrate ist europaweit im gleichen Zeitraum von 23 auf 33 Prozent gestiegen. Doch vor allem in einigen Ländern Osteuropas landet der Hausmüll noch immer bevorzugt auf den dortigen Deponien.

Für Mülldeponien wie die im Norden von München ist das ein Problem: "Wir können mit der anfallenden Menge nicht mehr wirtschaftlich arbeiten", sagt der Leiter der neuen Deponie Stephan Hengst. Er hat bereits dort gearbeitet, als dort noch unbehandelter Hausmüll abgeladen wurde, und schätzt, dass dieser Anteil etwa die unteren 20 Höhenmeter des Berges ausmacht. Dann begannen die Münchner Entsorger, den Unrat zu verbrennen und nur doch die Schlacke landet hier.

Immer wenn die Rohstoffpreise steigen, steigt jedoch auch das Interesse an den Hinterlassenschaften der Vergangenheit. "Landfill-Mining" wird die Idee genannt, Mülldeponien als Rohstofflager zu erschließen. Zahlreiche Forschungsvorhaben gab es dazu in den vergangenen Jahren. Das wohl umfassendste zu dem Thema schloss im vergangenen Jahr mit einem Leitfaden ab, in dem Experten Empfehlungen geben, wann es sinnvoll sein kann, eine alte Deponie wieder aufzugraben, und wann man es besser lassen sollte.

Ein hoher Altmetallanteil im Deponiegut und viel brennbares Material, die "heizwertreiche Fraktion" aus Kunststoffen, Textilien, und Papier, können das Unterfangen wirtschaftlich interessant machen. Die 19 Autoren des Leitfadens, zu denen auch Daniel Goldmann zählt, haben allerdings in den vergangenen 60 Jahren lediglich 85 Fälle gefunden, in denen alte Deponien wieder aufgemacht wurden. Meist ging es darum, ökologische Katastrophen zu verhindern oder Platz zu gewinnen für Wohngebiete, Industrie oder weitere Deponien. Meistens wurde der alte Müll dabei gar nicht verwertet, sondern nur auf eine andere Lagerstätte gekarrt.

"Grundsätzlich gibt es mehrere Gründe, um eine Deponie anzufassen", sagt Goldmann. "Der wichtigste Treiber dafür ist Flächenbedarf, in Hong Kong etwa, oder Umweltschutzaspekte." Aber auch die Kosten für die Abdichtung und den Erhalt einer Mülldeponie seien so hoch, dass es mitunter rentabler sei, das Lager einfach abzuräumen. Die darin enthaltenen Wertstoffe sind zur Zeit nur ein nettes Zubrot für Deponierückbauer, aber bis heute nicht der Hauptgrund, um eine Mülldeponie abzubauen.

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Ein Rohstofflager - oder doch eine tickende Zeitbombe?

Es fällt schwer, die alten Müllberge als Rohstofflager zu erkennen. Eher noch als Zeitbomben: Je älter die Deponie, desto unklarer ist, was dort einmal abgelagert wurde. Deswegen sind auch Mountainbiker auf der alten, zum grünen Berg umgewandelten Deponie im Münchner Norden nicht gerne gesehen. Die breiten Stollenreifen könnten zur Erosion der Deckschicht beitragen. Und niemand weiß so genau, was sich darunter verbirgt.

Deponieleiter Stephan Hengst erzählt von einem Giftsee in den Siebzigerjahren auf dem Hügel, einem Sammelbecken für Chemikalien aller Art, in das nachts gepumpt wurde, was tags angeliefert wurde. Darunter gärt der Müll und durch Risse strömen noch heute Deponiegase aus, die kontrolliert an der Oberfläche verbrannt werden. Hengst würde den alten Berg lieber nicht aufgraben. Für die Nachsorge solcher Deponien solle man realistischerweise wenigstens 100 Jahre ansetzen. So lange müsste zum Beispiel kontrolliert werden, dass schmutziges Sickerwasser nicht durch die nachträglich eingezogene Dichtwand ins Grundwasser gerät.

Diese Probleme kennt Daniel Goldmann auch von anderen alten Deponien, bei denen nie dokumentiert wurde, was man wann wohin geschüttet hat. "Zum Giftmüll können auch noch Gasmissionen und geologische Aktivitäten kommen." Der Berg kann instabil werden und ins Rutschen geraten.

Müll deponieren ist deutlich günstiger, als ihn zu verbrennen

Auf modernen Mülldeponien ist die Lage weit weniger brenzlig. Diese müssen über Abdichtungen am Boden verfügen, die verhindern, dass Sickerwasser austritt. Deponiegas wird aufgefangen und wenn es genug davon gibt, kann man damit sogar Strom erzeugen. Ein Kataster erfasst, was wohin gekippt wird. Der eindeutige Vorteil von Deponien sind die niedrigeren Kosten im Vergleich zur Verbrennung. Und die Möglichkeit, in schlechten Zeiten wieder herausholen zu können, was einmal dort einmal abgelagert wurde. Das wäre im besten Fall eine moderne Version der Kreislaufwirtschaft, bei der nichts verloren geht, sondern immer wieder verwendet wird.

In Deutschland will derzeit dennoch niemand zurück zu den Mülldeponien. Allerdings haben die Entsorger heute mit neuen Müllsorten zu kämpfen, die früher kein Problem dargestellt haben. "Carbonfasern setzen zum Beispiel den Filtern der Müllverbrennungsanlagen zu", erklärt Stephan Hengst. Ein kaputter Badmintonschläger aus diesem Material im Hausmüll kann den Entsorgern ziemliche Probleme bereiten. Auch mit defekten Solarpaneelen oder den Rotoren von ausgedienten Windrädern könne derzeit niemand etwas anfangen. Für solche Produkte kann er sich jedoch eher ein Depot vorstellen als eine Deponie - bis man weiß, wie eine langfristige Lösung aussehen kann.

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