Psychologie:Wir sind besser als die anderen!

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Der Mensch ist ein Herdentier. (Foto: Florian Peljak)

Verwerfliches Handeln kopieren Menschen von Verbündeten. Andersherum wirkt hingegen nur die Tugend der Gegenseite inspirierend.

Von Sebastian Herrmann

Gegenwärtig mangelt es wahrlich nicht an Fraktionen, die sich in inniger Feindschaft belauern. Die politische Haltung, das Geschlecht, die Hautfarbe oder etwa die Meinung zu einzelnen Aspekten dieses unendlichen Corona-Trübsals reichen, dass einen verblüffend meinungsstarke Menschen ins Lager der Bösen einsortieren. Für alle gilt dabei die heilige Regel: Die Unmenschen sind immer die anderen. Die eigene Seite kann hingegen gar keine Fehler machen, weil das ja qua Definition überhaupt nicht geht, man steht ja für das Gute ein. So wärmt einen stets das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen - eine ebenso köstliche wie universelle Form der Verblendung.

Immerhin eines stimmt: Die eigenen Leute beeinflussen sehr wohl, wie moralisch Individuen handeln, wie gerade Forscher um die Psychologin Oriel FeldmanHall von der Brown University im Fachjournal Social Psychological and Personality Science berichten. Verwerfliche Taten von Angehörigen des eigenen Teams verleiten die anderen Mitglieder dazu, mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls gegen moralische Normen zu verstoßen. Andersherum wirkt hingegen nur die Tugend der Gegenseite inspirierend - die guten Taten der vermeintlich Bösen drängen die Kontrahenten eher zu Nachahmung. Die Heiligen im eigenen Team üben hingegen keinen vergleichbaren Vorbild-Effekt aus. Insofern lag Michelle Obama im Wahlkampf 2016 falsch, als sie den Anhängern der Demokraten mit Blick auf das Trump-Lager zurief: "When they go low, we go high." Die Missetaten der Trump-Anhänger inspirierten die Demokraten leider nicht zu moralischen Glanzleistungen.

Moralvorstellungen halten Gruppen zusammen

Das Herdentier namens Mensch, so argumentieren die Kognitionsforscher um FeldmanHall in ihrer Arbeit, lebe seit Urzeiten in Gruppen, deren Werte und Normen die einzelnen Individuen "auf relativ automatische Art und Weise" adaptieren. Vorstellungen von Gut und Böse, Richtig und Falsch halten Gemeinschaften seit jeher zusammen. Wer da nicht mitzieht, wird ausgestoßen. In jeglichen Allianzen herrsche daher hoher Konformitätsdruck und zugleich starker Antrieb, sich von den Werten fremder Gruppen abzugrenzen, sagen die Psychologen. Dabei produzieren all die Scheinheiligen dieser Welt fleißig Widersprüche: Verfehlungen der eigenen Seite werden geduldet oder auf mental akrobatische Art wegdiskutiert, die Missetaten der anderen hingegen beim kleinsten oder sogar nur imaginierten Anlass scharf gegeißelt.

Wenn nun ein Individuum der Gegenseite moralisch handelt, weckt dies widersprüchliche Empfindungen. Mit "denen da" will man sich keinesfalls gemein machen, zugleich drängt der starke Wunsch nach einem moralisch einwandfreien Selbstbild Beobachter dazu, dieses Gutmenschentum der Bösen nachzuahmen und zu übertreffen - weil wir sind doch die Guten, nicht die anderen! Daraus könne sich, so die Psychologen um FeldmanHall, ein moralisches Wettrüsten zwischen opponierenden Gruppen ergeben. Alle wollen die Guten sein, und so entspinnt sich ein Tugendwettbewerb, wie dies tagtäglich in den sozialen Netzwerken zu beobachten ist - der Tummelplatz beachtungsgieriger Scheinheiliger.

In mehreren Experimenten mit knapp 1400 Teilnehmern fanden die Psychologen für diese Thesen zahlreiche Hinweise. Sie teilten ihre Probanden anhand deren Entscheidung in der US-Präsidentenwahl von 2016 ein: Auf der einen Seite jene, die ihre Stimme Hillary Clinton gegeben hatten, auf der anderen die Wähler von Donald Trump. Dass sich diese Fraktionen gegenseitig regelrecht hassen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. In den Versuchen zeigte sich, dass ethisch fragwürdiges Verhalten von Verbündeten eher dazu verleitete, zum Beispiel ebenfalls selbstsüchtig oder strafend zu handeln. Mitgefühl oder Großzügigkeit der eigenen Leute wirkten hingegen nicht auf eigene Entscheidungen. Auch großzügige, mitfühlende Gegner zeigten kaum Wirkung, weder auf die eigenen Leute noch auf die Gegenseite. Diesen Effekt beobachteten die Psychologen hingegen in einem weiteren Versuch, in dem die Probanden zum eigenen Vorteil lügen konnten. Hier wirkte die Ehrlichkeit der Gegenseite inspirierend: Wenn "die anderen" ethisch handeln, kann man das doch nicht auf sich sitzen lassen.

Samariter der Gegenseite ernten dennoch Verachtung

Die Psychologen der Brown University replizieren mit ihrer Studie eine Arbeit von Forschern um Francesca Gino von der Harvard Business School, die im Fachjournal Psychological Science ebenfalls Belege für einen ansteckenden Effekt unmoralischen Verhaltens in der eigenen Gruppe präsentierte. Ein fauler Apfel verdirbt eben nur die anderen Äpfel in der gleichen Kiste, nicht jene in einer anderen.

Das Team um FeldmanHall stieß in der aktuellen Studie zudem auf einen interessanten Nebenbefund. Wenn Mitglieder einer Fremdgruppe ethisch handeln - sagen wir in diesem Kontext die Wähler von Donald Trump - dann bewerten Anhänger der Gegenseite dieses Verhalten alles andere als positiv. Gute Taten der Gegner betrachten sie stattdessen auf einer Stufe mit unmoralischem Verhalten der eigenen Leute. Der Samariter der Gegenseite steht in ihren Augen also auf einer Stufe mit dem Geizkragen der eigenen Fraktion. Moralisch ist eben das, was die eigenen Leute machen - egal was; ein Phänomen, das Megan Goldring und Niall Bolger von der Columbia University jüngst im Journal of Experimental Social Psychology beschrieben haben. Trotzdem wirkt auch die gute Tat der Bösen, wenn auch eher unterschwellig: Man verurteilt die anderen zwar noch immer, versucht sie aber im großen Tugendwettbewerb publikumswirksam zu übertrumpfen.

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