Achtzehn Jahre ist es her, seit Martin Wikelski in Panama den Fleckenbrust-Waldwächter erforscht hat. Der heute 53-jährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell baute damals mit Kollegen mitten im Dschungel 40 Meter hohe Gerüste, um die Vögel von oben zu beobachten. Noch besser wäre es, die Tiere aus dem Weltraum sehen zu können, meinte einer aus dem Team. Es war ein Witz, doch die Idee ließ Wikelski nicht mehr los.
Wenn alles nach Plan läuft, wird seine Vision an diesem Mittwoch Wirklichkeit: Das Projekt Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space), das der Professor für Ornithologie an der Universität Konstanz leitet, nimmt die Arbeit auf. Wenn die Icarus-Antenne an der Außenseite der Internationalen Raumstation (ISS) aktiviert ist, wird sie Signale von kleinen Sendern auf dem Rücken von Vögeln, Fischen und Säugetieren auf der ganzen Welt empfangen. Und Wikelski kann fast live und gleichzeitig die Bewegungen von Flughunden im Kongo, von Enten in China und von Amseln in Deutschland verfolgen.
Icarus-Projekt:Wo die wilden Tiere wandern
"Die Daten verraten uns nicht nur, wo sich ein Tier gerade befindet, sondern auch, ob es ihm gut geht": Im Projekt Icarus wollen Forscher die Bewegungen von 100 000 Vögeln, Fledermäusen und anderen Lebewesen verfolgen.
Die aufwendige Technik hinter dem Projekt, an dem unter anderen die russische Raumfahrtagentur Roskosmos und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt sind, hat eigentlich nur ein Ziel: das Verhalten der Tiere besser zu verstehen. "Mich hat schon immer fasziniert, dass Zugvögel in ihr Winterquartier aufbrechen, obwohl die Bedingungen dort, wo sie sich gerade aufhalten, noch gut sind", sagt Wikelski. Wie treffen Tiere solche lebenswichtigen Entscheidungen?
Der Wissenschaftler, der in den Achtzigerjahren an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Zoologie studiert hat, ist überzeugt, dass es ein System gibt, über das Tiere ständig Informationen untereinander und mit ihrer Umgebung austauschen. Und dass sich dieses System mithilfe von Icarus anzapfen und nutzen lässt. Ganz im Geist des Naturforschers Alexander von Humboldt, der postulierte, dass man das Leben an sich versteht, wenn man die einzelnen Teilchen und ihr Zusammenspiel begreift.
Anfangs war es schwer, Unterstützer für Icarus, das Internet der Tiere, zu finden. Die Nasa wollte nicht einsteigen, deshalb verließ Wikelski die Princeton University in New Jersey, wo er seit dem Jahr 2000 eine Professorenstelle hatte, und kehrte nach Deutschland zurück. "Es war nicht leicht, einen Lebenszeitjob an der besten Universität der Welt aufzugeben", sagt er. Doch Icarus war ihm wichtiger, und das DLR in Deutschland unterstützte das Projekt.
2007 kam Wikelski als Direktor der Abteilung für Tierwanderung und Immunökologie des Max-Planck-Instituts für Ornithologie nach Radolfzell. "Es war ein Kulturschock", sagt er. Und mit Icarus lief es anfangs auch nicht gut. Dreimal wurde Wikelskis Forschung von Gutachtern evaluiert, zweimal fiel das Ergebnis katastrophal aus. "Sofort aufhören mit dem Unfug", lautete das Urteil sinngemäß. Wikelski machte weiter. Bei der dritten Evaluation waren plötzlich alle begeistert. "Wenn es dann mal funktioniert, will jeder dabei sein", sagt er.
Was ihm in der schwierigen Anfangszeit half, waren Kollegen, die an das Projekt glaubten, und die Überzeugung, dass das Potenzial, das in der natürlichen Intelligenz der Tiere schlummert, mindestens genauso groß ist, wie das der viel beachteten künstlichen Intelligenz von Maschinen. Das wurde Wikelski schon als Doktorand klar, als er auf Galápagos die Evolution der Körpergröße bei Meerechsen erforschte. Er saß in seinem Zelt am Computer, als unter den Seelöwen am Strand Streit ausbrach. Ein junges Männchen hatte ein älteres Tier herausgefordert und wurde von dem wütenden Alten verfolgt. "Der junge Bulle lief um mein Zelt herum. Dann kam er herein, legte sich unter den Tisch und schaute mich an." Wikelski ist sich sicher, dass der Seelöwe wusste, dass das Zelt der einzige Ort auf der ganzen Insel war, an den ihn sein Feind nicht verfolgen würde.
Aktualisierung Mittwoch 10.07.2019, 16:30 Uhr: Wegen technischer Probleme ist der Start von Icarus kurzfristig verschoben worden. Eigentlich hätte der Computer auf der Raumstation ISS am Mittwoch angeschaltet werden sollen, wie Projektleiter Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz sagte. Das sei auch geschehen - allerdings habe die Belüftung des Geräts nicht richtig funktioniert, weshalb der Computer wieder heruntergefahren wurde. Wann der zweite Versuch starten soll, ist derzeit noch unklar. "Der Computer an sich funktioniert. Es gibt zwar Probleme, aber wir wissen, woran sie liegen - und es gibt einen Plan, wie sie behoben werden können", sagte Wikelski.