Tiere sind ständig in Bewegung. Etwa 50 Milliarden Zugvögel machen sich jedes Jahr auf die Reise in ihre Winterquartiere. 1,3 Millionen Weißbartgnus wandern auf der Suche nach frischem Gras jährlich 3000 Kilometer durch afrikanische Savannen. Und Buckelwale schwimmen jedes Jahr zwischen ihren Paarungsgebieten in tropischen und subtropischen Gewässern und ihren Fressgebieten in den polaren Meeren hin und her. Mit dem Projekt Icarus (International Cooperation for Animal Research Using Space), das an diesem Mittwoch nach 18-jähriger Vorbereitungsphase startet, wollen Wissenschaftler endlich einen Überblick über das ständige Hin und Her gewinnen.
Wenn alles gut geht, wird am 10. Juli der Bordcomputer auf der Internationalen Raumstation angeschaltet sowie die Icarus-Antenne aktiviert, die zwei russische Kosmonauten vor einem knappen Jahr an der Außenseite der Raumstation angebracht haben. Die Antenne wird dann Daten von Minisendern empfangen, die Biologen auf dem Rücken verschiedener Tierarten angebracht haben. Von der ISS werden die Informationen zurück an die Erde gefunkt und über mehrere Zwischenschritte in eine Datenbank eingespeist, die öffentlich zugänglich ist ( www.movebank.org).
Projekt Icarus:Tierbeobachtung aus dem All
Biologen wollen Tausende Tiere mit winzigen Sendern ausrüsten, die ihre Signale zur ISS funken. Die Antenne dafür wurde nun an die Außenhülle der Raumstation montiert.
Die Tiere tragen winzige Sender am Körper, die sie aber nicht beeinträchtigen
"Die Daten verraten uns nicht nur, wo sich ein Tier gerade befindet, sondern auch, ob es ihm gut geht", sagt Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz, der das Projekt leitet. Hat ein Tier beispielsweise Fieber, erkennen die Wissenschaftler das an der erhöhten Temperatur, die ein Sensor an dem insgesamt nur fünf Gramm schweren und zwei Quadratzentimeter großen Sender registriert.
Und wenn sich ein Tier plötzlich nur noch langsam oder gar nicht mehr bewegt, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass es verletzt ist. "Wenn wir einen Sender an einem Tier anbringen, achten wir streng darauf, dass es dadurch nicht beeinträchtigt wird", sagt Wikelski. Ziel ist es, 100 000 Individuen mit den Geräten auszustatten. Das Besondere an Icarus wird sein, dass die Daten all dieser Sender, die die verschiedensten Arten von Tieren tragen, zusammengeführt werden. Dadurch sollen Zusammenhänge klar werden, die der Wissenschaft bisher verborgen geblieben sind.
Konkret soll Icarus aber auch dabei helfen, Tiere besser zu schützen. "Zum Beispiel könnte man Windräder für ein oder zwei Tage abschalten, wenn man weiß, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Fledermäuse in der Nähe sind", sagt Wikelski. Oder man errichtet ein vorübergehendes Schutzgebiet für Wasservögel am Ammersee, wenn man feststellt, dass sich plötzlich ungewöhnlich viele Tiere dort aufhalten, weil sie einer Schlechtwetterfront in den Alpen ausgewichen sind.
Die Daten könnten aber nicht nur den Tieren nützen, sondern auch den Menschen. Störche in der Sahelzone beispielsweise folgen ihrer Nahrung, den Wanderheuschrecken. Wenn Icarus also beobachtet, dass an einer Stelle ungewöhnlich viele der Vögel zusammenkommen, könnte das ein Hinweis auf einen Heuschreckenschwarm sein. Man könnte die Bauern in der Nähe warnen. Und wenn Icarus bei Enten in China eine erhöhte Körpertemperatur registriert, ist das möglicherweise ein Hinweis auf den nächsten Ausbruch der Vogelgrippe.
Wenn das System, an dessen Entwicklung unter anderen Ingenieure der Hochschule der Bundeswehr sowie der Firmen Spacetec und Inradius beteiligt waren, aktiviert ist, folgt zunächst eine mehrmonatige Testphase. Ende des Jahres sollen dann Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit Icarus arbeiten können.
Aktualisierung Mittwoch 10.07.2019, 16:30 Uhr: Wegen technischer Probleme ist der Start von Icarus kurzfristig verschoben worden. Eigentlich hätte der Computer auf der Raumstation ISS am Mittwoch angeschaltet werden sollen, wie Projektleiter Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz sagte. Das sei auch geschehen - allerdings habe die Belüftung des Geräts nicht richtig funktioniert, weshalb der Computer wieder heruntergefahren wurde. Wann der zweite Versuch starten soll, ist derzeit noch unklar. "Der Computer an sich funktioniert. Es gibt zwar Probleme, aber wir wissen, woran sie liegen - und es gibt einen Plan, wie sie behoben werden können", sagte Wikelski.