SZ-Klimakolumne:Klimaforscher in den Streik?

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"Es wurde alles gesagt. Jetzt Handeln": Unter diesem Motto demonstrierten Wissenschaftler von "Scientists for Future" 2019 vor dem Bundeskanzleramt. (Foto: Christian-Ditsch.de via www.imago-images.de/imago images/Christian Ditsch)

Nur so könne der nötige Druck auf die Politik aufgebaut werden, endlich zu handeln, argumentieren drei Wissenschaftler. Doch es spricht einiges gegen diese Idee.

Von Christoph von Eichhorn

Mal ehrlich: Wie intensiv verfolgen Sie noch die neuen Temperaturrekorde? Finden Sie es noch schockierend, wenn Sie lesen, dass das vergangene Jahr weltweit gesehen unter den sieben wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen war, mancherorts gar das heißeste? Oder haben Sie sich an solche Nachrichten komplett gewöhnt?

Die Wissenschaft zeige immer wieder, dass sich die Erde erwärme und warum, meinen drei Klimaforscher aus Neuseeland und Australien, nur werde das von der Politik ignoriert. In einem Essay auf dem Portal "The Conversation" fordern Bruce Glavovic, Iain White und Tim Smith daher ein Moratorium für die Klimawissenschaft. Klimatologen sollten vorerst in den Streik treten, bis sich auf politischer Seite mehr bewege. Insbesondere solle der Weltklimarat IPCC seine Arbeit einstellen, es höre ja doch niemand zu.

"Es gibt einen ungeschriebenen Sozialvertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft", erklärt das Trio. Investitionen in die Wissenschaft dienten dazu, das Verständnis der Welt zu verbessern und der Gesellschaft Nutzen zu bringen. Im Falle der Klimawissenschaft sei dieser Vertrag aber gebrochen worden, vor allem von der politischen Elite. Aber auch Klimawissenschaftler trügen eine Verantwortung für das Scheitern, weil sie immer weiter Belege lieferten für Phänomene, die doch eigentlich gut verstanden seien. Aus dieser permanenten Bringschuld müssten sie sich befreien.

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Also erstmal Pause, ab in die Hängematte? Ich halte diese Idee aus mehreren Gründen für falsch. Was das Wissen über den Klimawandel angeht: Es stimmt, am großen Bild wird sich nichts mehr ändern. Dass der Ausstoß von Treibhausgasen die Atmosphäre aufheizt, ist so sicher wie der Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Trotzdem sind längst nicht alle Fragen beantwortet. Etwa, wie sich der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten in einzelnen Ländern oder Städten auswirkt: Wo fällt mehr Regen, wo weniger, welche Gebiete sind besonders von Dürren und Überschwemmungen bedroht?

Insbesondere für die Südhalbkugel, wo besonders viele arme Menschen leben, fehlen für solche wichtigen regionalen Modelle noch Daten. Sie zu sammeln, ist man schon allein diesen Menschen schuldig, damit Anpassung gelingen kann. Auch Veränderungen beim Jetstream und anderen Höhenwinden, die das globale Wetter beeinflussen, sind noch unzureichend verstanden. Es ist also noch viel Arbeit zu tun, die nicht nur von akademischem Interesse ist.

Vielleicht noch wichtiger: Die Wissenschaft kann auch helfen, gegenzusteuern und Optionen zum Handeln aufzuzeigen. Etwa bei der Frage, welche erneuerbaren Energien sich für welche Region am besten eignen. Oder welche ökonomischen Instrumente helfen können, Klimaneutralität zu erreichen. Oder wie man Bürger bei diesen großen Veränderungen mitnehmen oder sogar begeistern kann. Wenn überhaupt, müsste man mehr Wissenschaftler insbesondere auch aus sozialwissenschaftlichen Disziplinen in den Klimadiskurs einbinden, anstatt ihn einzustellen.

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