Klimagipfel in Kopenhagen:Die späte Abrechnung

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Unsere Erde braucht dringend ein umfassendes Klimaabkommen - in Kopenhagen wird es nicht zustande kommen. Trotzdem hat die Staatengemeinschaft dort die Riesenchance, die absurde Logik der bisherigen Klimapolitik zu durchbrechen.

Michael Bauchmüller

Ganz gewiss wird es nicht reichen. Es könnten sämtliche Staats- und Regierungschefs der ganzen Welt und der Papst persönlich nach Kopenhagen reisen zur Klimakonferenz - und sie würden nicht schaffen, was die Welt von ihnen erwartet. Es wird dort kein Klimaabkommen unterschrieben werden, das die Erderwärmung schnell und ausreichend eindämmt, das einen fairen Ausgleich herstellt zwischen Profiteuren und Leidtragenden der Industrialisierung.

Riesenchance Klimagipfel: Umweltaktivisten wie die der Gruppe AVAAZ stellten schon im Sommer ihre Forderungen an die Staats- und Regierungschefs. (Foto: Foto: AFP)

Und trotzdem könnte die Konferenz, die Montag in Kopenhagen beginnt, zum wichtigsten Treffen der Staatengemeinschaft seit langem werden. Sie könnte den Grundstein legen für einen Plan, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, einen Plan für die künftige Entwicklung.

Für grenzüberschreitende Probleme dieser Dimension hatte die Menschheit noch nie einen Plan. Globale Ordnung war stets eine Frage von Macht, selten eine der Vernunft. Auch der Klimawandel folgt dieser Logik.

Die Ausbeutung und Verbrennung fossiler Rohstoffe mag ein globales Problem mit schwer kalkulierbaren Folgen hervorrufen. Doch im Chaos der internationalen Staatenwelt ließ es sich bisher nicht lösen, lange bestand nicht mal die Notwendigkeit: Kohle, Öl und Gas waren scheinbar grenzenlos vorhanden. Und mancher verdiente gut daran.

Doch das Modell gerät an Grenzen, weltweit. Es mag funktionieren für die sechs Milliarden Menschen des Jahres 2010, aber nicht für die neun Milliarden des Jahres 2050. Es mag die derzeitigen Umweltfolgen überstehen können, nicht aber Dürren, Stürme, Überflutungen, wie sie Prognosen zufolge in den nächsten Jahrzehnten vermehrt auftreten. Und schon gar nicht einen steigenden Meeresspiegel, der in absehbarer Zeit Millionen Menschen aus den Küstenstreifen vertreiben wird.

Fauler Kredit bei der Natur

Soll der Wohlstand nicht zum Opfer seiner selbst werden, müssen die Staaten einen Weg finden, mit knapper werdende Ressourcen sparsam, vernünftig umzugehen. Es wäre eine Form kollektiver Vernunft, die es in der Geschichte noch nicht gegeben hat. Und es wäre eine späte Abrechnung zwischen gestern und morgen, zwischen Reich und Arm: die Operation Zinseszins.

Zinseszins, weil sich die gesamte Entwicklung seit der Industrialisierung im Nachhinein als eine einzige gigantische Verschuldung entpuppt, als eine Art fauler Kredit bei der Natur. Kohlenstoffe ließen sich günstig aus den Böden fördern und anschließend verbrennen, in Motoren, in Kraftwerken, in Heizungen. Kosten für die Entsorgung fielen nie an, die Atmosphäre schickt keine Rechnung - aber irgendwann die Quittung.

Alle Wachstumszahlen der vergangenen Jahrzehnte erweisen sich damit im Nachhinein als Makulatur. Sie gaukeln einen Erfolg vor, der die wahren Kosten nicht widerspiegelt. Sie verschweigen, dass den Wohlstand andere zu bezahlen haben, die sich weniger wehren können gegen steigende Energiepreise, gegen die Bedrängnis des Klimawandels.

Wer einen Plan entwickeln will für den Umgang mit der Knappheit, wird dieses Spiel beenden müssen. Wird die Kosten für die Zerstörung von Umwelt und Klima einkalkulieren müssen, mit Zins und Zinseszins. Die Staaten werden die Verknappung der Brennstoffe vorwegnehmen müssen, indem sie ihren Einsatz künstlich verteuern. Und zwar deutlich.

Doch das wird umso schwieriger, je länger sich Gesellschaften damit Zeit lassen. Ernüchternd langsam nur kommt die US-Regierung mit ihrem neuen Klimagesetz voran - das doch eigentlich ganz oben auf der Agenda Barack Obamas stehen sollte.

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Wenn nicht bald gehandelt wird, ist ein gravierender Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Doch die Konzepte der meisten Staaten werden der Bedrohung nicht gerecht.

Doch der Kampf gegen die Erderwärmung ist eben auch der Kampf einer neuen gegen eine alte Welt - die sich zu verteidigen weiß. Kohlelobby, Farmer, Autoindustrie - sie alle bremsen die Ambitionen. Wenn die Europäer im Klimaschutz den Musterschüler geben dürfen, dann nur, weil sie den Wandel früher einleiteten. Sie haben jetzt schon die nötigen Patente, um die Weltmärkte für saubere Technologien zu erobern - was etwa die deutsche von der amerikanischen Industrie unterscheidet.

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Es liegt in der Natur der Sache, dass ein anderer Umgang mit Energie, ein Plan für den Abbau globaler Kohlendioxid-Emissionen nur gemeinsam gelingen kann, eben weil er auf die kurze Sicht viel kostet. Verweigern sich gewichtige Industriestaaten, halten sie sich nicht an die Regeln, ist das gemeinsame Versprechen wertlos. Vor allem deshalb verpuffte das Kyoto-Abkommen, das schon vor zwölf Jahren die Wende hätte markieren sollen. Ohne die USA, ohne China und Indien konnte es keine Antwort geben.

Balanceakt in Kopenhagen

Insofern ist es ein Fortschritt, dass die USA und China erstmals Zahlen nennen. Brasilien, Mexiko, Indonesien, Südafrika - viele große Schwellenländer haben inzwischen Pläne vorgelegt, wie sie ihre wirtschaftliche Entwicklung mit weniger Energieverbrauch gestalten wollen. Wann, wenn nicht in Kopenhagen, soll eine neue Ära im Klimaschutz beginnen?

Längst steht mehr auf dem Spiel als nur der Kampf gegen die Erderwärmung. Am Erfolg oder Misserfolg in Kopenhagen erweist sich die Fähigkeit der Staaten, gemeinsam globale Probleme anzugehen. Die Welt wird diese Fähigkeit noch brauchen: im Kampf gegen die Überfischung der Meere, die Ausbreitung der Wüsten, die Verknappung von Süßwasser, den Verlust von Tier- und Pflanzenarten.

Manche dieser Probleme hängen direkt oder indirekt mit dem Klimaproblem zusammen, andere verlangen nach einer eigenen Lösung. Aber alle eint dasselbe Phänomen: Ihre Bekämpfung kann für gegenwärtige Generationen Einbußen an Wohlstand oder Wachstum bedeuten - doch für künftige Generationen wird Wohlstand so erst möglich.

Kopenhagen wird zum Balanceakt. Einerseits reichen die Angebote vieler Industriestaaten nicht aus für ein ehrgeiziges Abkommen. Die Wissenschaft fordert schon bis 2020 ein Treibhausgas-Minus von bis zu 40 Prozent - die USA bieten gerade mal vier Prozent. Es wird schwierig werden, Washington mehr abzuringen, ohne damit den gesamten Gipfel zu gefährden. Gleichzeitig werden andere Staaten das Schleichtempo Amerikas zum Vorwand nehmen, selber wenig zu leisten.

Riesenchance im Klimaschutz

Kann die Konferenz unter diesen Bedingungen überhaupt ein Erfolg werden? Ja, sie kann - wenn die Staaten die Freiwilligkeit durch die Verpflichtung ersetzen, wenn sie sich zu festen Zielen bekennen, wenn sie Mechanismen vereinbaren, die langfristig vom fossilen Weg wegführen.

Ein solches Versprechen zum kollektiven Umbau ist der einzige Weg, die absurde Logik der Klimapolitik zu durchbrechen, nach der das meiste Geld der verdient, dem die Zukunft egal ist - bis dann das Unheil seinen Lauf nimmt.

Es wäre die erste Verabredung zur gemeinsamen globalen Umkehr überhaupt. Oder aber das blanke Gegenteil: Verlassen die vielen Staats- und Regierungschefs Kopenhagen in alter Unverbindlichkeit, dann haben sie mehr verspielt als nur eine Riesenchance im Klimaschutz.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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