Umwelt:Wie Kläranlagen kleiner und besser werden können

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Kläranlagen schaffen es nicht, alle PFAS aus dem Abwasser zu holen. (Foto: Markus van Offern /imago)

Eine neue Anlage reinigt Abwasser mit Bakterienklümpchen statt wie bisher mit Belebtschlamm - erstmals auch in Deutschland. Dass das viel Platz spart, ist nicht der einzige Vorteil.

Von Andrea Hoferichter

In Altena im Sauerland ist Platz ein knappes Gut. Die Häuser im Tal reihen sich dicht an dicht entlang der Lenne und die Kläranlage der Stadt liegt eingekesselt zwischen Fluss und Bahnschienen. Yvonne Schneider vom Ruhrverband zeigt das bananenförmige Grundstück auf einer Luftaufnahme. "Der Platzmangel war durchaus ein Problem, als vor ein paar Jahren klar war, dass Technik und Betonbecken erneuert werden müssen. Zumal der Betrieb ja parallel weitergeführt werden sollte", sagt die Leiterin des Geschäftsbereichs "Zentrale technische Abteilungen".

Ein Planungsteam rechnete verschiedene Sanierungsmöglichkeiten nach Wirtschaftlichkeitskriterien durch. Auch die Aufgabe des Standorts stand zur Debatte. Am besten schnitt schließlich eine in den Niederlanden patentierte Technologie ab, die nur wenig Fläche braucht und weltweit schon in mehr als 20 Anlagen im Einsatz ist, in Deutschland aber bisher nicht. Sie ersetzt das gängige Belebtschlammverfahren, jene biologische Reinigungsstufe, die das Wasser mithilfe von bräunlichen Bakterienflocken klärt. Voraussichtlich im Sommer startet der Betrieb in Altena mit einer vorläufigen Genehmigung für eine zweijährige Testphase. Das Bundesumweltministerium fördert das Projekt mit 1,4 Millionen Euro.

Im Zentrum des neuen Verfahrens stehen ebenfalls Bakterien, allerdings zu kompakten Kügelchen verpackt, dunkelbraun und klein wie Linsen. Diese sogenannten Granula sind eine Art Drei-in-Eins-Kombiprodukte, denn jedes Kügelchen enthält verschiedene Bakterien mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Im Zusammenspiel bauen sie Fäkalien und Urin zu Kohlendioxid und Biomasse um, entschärfen Stickstoffverbindungen und ziehen Phosphate aus dem Wasser. Da dies alles in einem Rutsch passiert, werden weniger Betonbecken gebraucht. Auch auf die üblichen Chemikalien zum Phosphorentzug kann der Betreiber zumindest zu einem großen Teil verzichten. "Und wir erhoffen uns Energieeinsparungen, weil weniger gepumpt und gemischt werden muss", ergänzt Schneider. Das helfe auch bei der Energiewende.

In der neuen Anlage werden die Bakterienklümpchen in drei sieben Meter hohen Betonreaktoren von unten mit dem Abwasser durchströmt und das Gemenge immer mal wieder mit Luft aufgesprudelt. Der Wechsel von Sauerstoffzufuhr und -entzug sorgt dafür, dass in jedem Zyklus alle Bakterienarten einmal aktiviert werden. Und die Gasblasen schleifen die kugeligen Mikrobengemeinschaften regelrecht glatt, machen sie dadurch stabiler. Für einen kontinuierlichen Betrieb arbeiten die Reaktoren zeitversetzt.

"Viele Kläranlagen müssen saniert oder ausgebaut werden, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen"

Mari Winkler von der Washington University in Seattle ist schon lange ein Fan der Mikrobengemeinschaften. "In den USA müssen nicht nur viele Kläranlagen saniert, sondern auch ausgebaut werden, weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen. Doch oft fehlt Platz dafür oder man muss in intakte Natur eingreifen", erklärt sie. Die Abwasserreinigung mit Granula könne solche Probleme lösen und lasse sich auch in bestehende Verfahren integrieren. "In den Granula haben wir sehr viele Mikroorganismen auf kleinstem Raum. Allein das macht die Abwasserreinigung schon effektiver", sagt sie. Zudem sinken die kompakten Kugeln schneller zu Boden als die leichten Flocken in Belebtschlammanlagen und lassen sich nach getaner Reinigungsarbeit leichter entfernen. Die riesigen runden Absetzbecken klassischer Kläranlagen werden schlicht nicht mehr gebraucht. Eine Platzersparnis bis zu 75 Prozent sei möglich, berichtete die Forscherin kürzlich im Wissenschaftsjournal Science.

Die Bakterien für das neue Verfahren sind im Abwasser enthalten und müssen nicht zugesetzt werden, sobald der Prozess einmal in Gang gesetzt ist. Damit die Mikroben statt Flocken Kügelchen bilden, muss aber ein bisschen nachgeholfen werden. "Das funktioniert durch eine Art forcierte Selektion", sagt Winkler. Kompakte Bakterienformationen, die schon nach wenigen Minuten am Boden liegen, werden immer wieder in den Reinigungsprozess eingeschleust, alles was länger im Wasser schweben bleibt, verworfen. Auch eine besonders gehaltvolle Abwasserkost hilft, denn sie fördert vor allem die langsam wachsenden, Klümpchen bildenden Bakterientypen. Bis mit solchen Tricks eine betriebstaugliche Granula-Charge gewonnen wird, kann es allerdings dauern. In Altena wird der Prozess deshalb mit sogenanntem Impfschlamm gestartet, mit stabilen Granula aus niederländischen Anlagen.

Die Technologie könnte bald einen zusätzlichen Schub bekommen, denn spätestens im nächsten Jahrzehnt müssen europäische Kläranlagen laut Klärschlammverordnung phosphorhaltige Stoffe nicht nur aus dem Abwasser entfernen, sondern auch recyceln. "Die Granula lassen sich relativ leicht eindicken und setzen das Phosphat auch wieder frei", sagt Winkler. Dann könnte es mit einem vergleichsweise kleinem Chemikalienaufwand zu Düngermitteln aufgearbeitet werden. "Das ist aber noch Zukunftsmusik", betont sie.

"Die Zeit war einfach reif für eine Innovation"

Harald Horn vom Karlsruher Institut für Technologie hat die Abwasserreinigung mit Granula bereits vor vielen Jahren vorangetrieben und in einer Pilotanlage in Garching erfolgreich getestet. "Die Zeit war einfach reif für eine Innovation, die dem Technologiestandort Deutschland auch sehr gut getan hätte", sagt er. Schließlich sei das klassische Belebtschlammverfahren schon über 100 Jahre alt. Der Forscher hätte sich damals mehr Offenheit der deutschen Abwasserwirtschaft gewünscht.

"Dann wäre eine Anlage wie in Altena schon vor zehn Jahren möglich und Fördergelder aus Innovationstöpfen auch angemessen gewesen. Heute ist das Verfahren weltweit am Markt etabliert." Gleichwohl eignet es sich nicht für jede Kläranlage, zum Beispiel nicht für Abwasser, das durch einsickerndes Grundwasser stark verdünnt ist. Eine gut gewartete Kanalisation sei eine wichtige Voraussetzung, so Horn.

In Altena ist der Bau der neuen Anlage mittlerweile abgeschlossen. Die nötige Technik und die drei Reaktoren stecken in einem langen, schmalen Gebäude neben den bestehenden Klärbecken. Der Betrieb soll voll automatisiert und ferngesteuert laufen. Und er wird in den ersten Jahren von einer Messkampagne begleitet, um die Qualität von Wasser und Granula immer wieder genauestens zu prüfen. "Für uns ist das Ganze eine Art Pilotprojekt", sagt Yvonne Schneider. "Wir wollen sehen, ob die Technologie unsere Erwartungen erfüllt, und sie gegebenenfalls zur Nachahmung für andere Kläranlagen empfehlen."

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