Kivusee:Dieser See bedeckt eine tödliche Gift-Blase

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Trotz aller Gefahren wirkt der Kivusee manchmal wie eine Idylle, hier am Südufer bei der Stadt Bukavu. (Foto: Alfredo Falvo/Contrasto/laif)

Im Kivusee zwischen Kongo und Ruanda schlummern 300 Kubikkilometer Gas. Wenn es entweicht, könnten Millionen Menschen umkommen.

Von Judith Raupp, Goma

Der See ist mir unheimlich, er kann töten", sagt Kazana Ragi. Etwas im Wasser ziehe Netze in die Tiefe, bedecke die Haut mit Schleim und bringe die Sardinen um, erzählt der 28 Jahre alte Fischer. In seinem Dorf Nzulo kennen die Menschen düstere Geschichten über den vermutlich mehrere Millionen Jahre alten Kivusee. Nicht immer sind sie stichhaltig. Aber die Furcht ist verständlich.

Im Kivusee, zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda gelegen, schlummern 260 Kubikkilometer Kohlendioxid (CO₂) und 55 Kubikkilometer Methan (CH4). Würde das Gemisch austreten, könnte das CO₂ je nach Wind und Gaskonzentration zwei bis vier Millionen Menschen im Kongo, Ruanda und Burundi ersticken. "Es wäre eine Naturkatastrophe von bisher ungesehenem Ausmaß", sagt der Umweltwissenschaftler Martin Schmid von der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, der lange in der Region geforscht hat.

Ein Kohlendioxid-Unglück alarmierte Wissenschaftler bereits in den 1980er-Jahren. Damals war das Gas aus den Seen Monoun und Nyos im westafrikanischen Kamerun entwichen, 1750 Menschen starben. Der Kivusee misst mit einer Fläche von 2650 Quadratkilometern ein Vielfaches dieser winzigen Gewässer. Er ist fünf Mal größer als der Bodensee.

Könnte ein Erdbeben das Gas hervorbrechen lassen?

Hinter dem Gasausbruch in Kamerun steckte eine Übersättigung: Der Druck des Kohlendioxids in den unteren Wasserschichten hatte den Druck des Wassers darüber überstiegen. Je größer das Gasvolumen wird, und je näher es an die Wasseroberfläche reicht, desto größer wird das Risiko, dass das Gas nach außen schießt. Im Kivusee ist das Volumen von Kohlendioxid und Methan in den vergangenen 30 Jahren um 15 Prozent gewachsen. Unterirdische Quellen führen Gase der nahen, aktiven Vulkane Nyiragongo und Nyamuragira zu. Außerdem produzieren Bakterien und der Zerfall von Mikroorganismen Gase im Wasser.

Derzeit lagere das Gemisch aus Kohlendioxid und Methan in einer "sicheren" Tiefe von 60 Metern unter der Wasseroberfläche abwärts, erklärt Mathieu Yalire. Der Chef der Abteilung Geochemie beim vulkanologischen Observatorium in der Provinzhauptstadt Goma hält eine Übersättigung des Sees im Hauptbecken frühestens gegen Ende des Jahrhunderts für möglich. Auch den Ausbruch eines Vulkans sieht er im Moment gelassen. Der Lavastrom würde längst erkaltet sein, bis er das Gas in der Tiefe des Sees erreiche. Unklar seien aber die Folgen eines schweren Erdbebens. Oder was passiert, wenn einer der Krater im Seebecken ausbricht. Darüber streiten die Forscher. "Man weiß noch zu wenig", sagt Martin Schmid.

Am Golf von Kabuno findet sich das Gas bereits zwölf Meter unter der Wasseroberfläche

Zunehmend Sorgen bereitet vor allem die Heimat von Fischer Ragi. In seinem Dorf, am Golf von Kabuno im Nordwesten des Kivusees, ist das Wasser nur 150 Meter tief. Im Hauptbecken des Sees sind es 480 Meter. Methan gibt es im Golf fast nicht, aber um so mehr Kohlendioxid. Und das ist der Bevölkerung schon sehr nahe gekommen. 2008 war es bis auf 25 Meter unter die Wasseroberfläche gestiegen, derzeit sind es zwölf Meter. "Wir müssen es entfernen, bevor eine Katastrophe passiert", warnt Geochemiker Yalire. Eine Gasblase würde neben den Dörfern am Ufer auch die Millionenstadt Goma und die Kasernen der UN-Friedenstruppe erreichen.

Die kongolesische Regierung investiert nun drei Million Dollar in ein Pilotprojekt. Ingenieure der französischen Firma Limnological Engineering installieren derzeit ein Rohr im Golf, das gashaltiges Wasser aus 90 Meter Tiefe fördern soll. Das CO₂ wird an der Oberfläche in kleinen Dosen in die Luft abgegeben, das entnommene Wasser zurück gepumpt. "Wir müssen es tief genug in den See lassen, sonst wird die Biozone an der Oberfläche zerstört", erklärt Yalire. Der See besteht aus drei in sich stabilen Wasserschichten mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung. Stoffe aus dem Tiefenwasser oder Reste von CO₂ würden die Fische im Oberwasser töten. Nahrung und Einkommen der Bewohner am Golf von Kabuno wären gefährdet.

Im Juni wollen die Techniker erstmals Kohlendioxid entnehmen. Das Unterfangen ist heikel. So muss noch geklärt werden, wie viel Gas pro Tag in die Luft entweichen darf, ohne Mensch und Umwelt zu gefährden. Nach der Pilotphase in einem Jahr sollen dann drei weitere Rohre installiert werden. "Langfristiges Ziel ist es, den Golf stetig zu reinigen, damit der Zustrom des Gases durch die unterirdischen Quellen nicht zur Übersättigung führt", erklärt Pierre Lebrun, Projektleiter bei Limnological Engineering. Der Abbau des CO₂ würde der Schicht mit sauerstoffhaltigem Wasser mehr Raum geben. Fische würden sich vermehren, verspricht Lebrun.

Die Verantwortlichen des CO₂-Projekts müssen der Bevölkerung gut zureden. Die Menschen fürchten das Gas. "Ich sehe Vögel, Kühe und Ziegen sterben", erzählt der Bauarbeiter Mutabazi Isa. Vor Kurzem hat er eine Sickergrube für eine Toilette ausgehoben. Dabei fühlte er sich schlapp und sein Herz raste. "Das war das Gas", sagt er. Immer, wenn er müde wurde, sei er schnell aus der Grube geklettert.

Forscher Yalire gibt ihm recht. Er selbst hat am Grund der Grube einen Anteil von 48 Prozent Kohlendioxid in der Luft gemessen. "Normal sind 0,038 Prozent", erklärt er. Allerdings habe das Gas in der Grube nichts mit jenem im See zu tun, betont Yalire. Es stamme aus einer Erdspalte am Ende eines erkalteten Lavastroms.

Diese Erkenntnis beruhigt die Menschen in der Region jedoch kaum. Rund um Goma und Kabuno haben die Wissenschaftler des Observatoriums 150 Senken mit erhöhter CO₂-Konzentration gezählt. Yalire warnt vor den Todesfallen: "Man darf dort nicht auf dem Boden liegen." Nach Angaben der Bürgervereinigung der Provinz Nord Kivu sind in den vergangenen zehn Jahren mindestens zwei Ziegenhirten und eine Familie erstickt. Früher waren die gefährlichen Stellen markiert. Aber Dorfbewohner haben die Schilder gestohlen und damit Hütten gebaut.

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Um das Gas zu absorbieren, will die Regierung nun 360 Hektar Land mit 560 000 Eukalyptusbäumen bepflanzen. "Aufforsten ist Teil des Projekts am Golf von Kabuno", sagt Anselme Kitakya, Provinzminister für Energie und Wasser. Man wolle so wenig CO₂ wie möglich als Treibhausgas in die Atmosphäre blasen. Allerdings werden die Bäume nicht alles schlucken können, zumal sie anfangs noch klein sind. Doch die Regierung hat keine Wahl. Sie muss die Bevölkerung vor einer Katastrophe schützen. Aus diesem Grund müsse längerfristig auch das Gas im Hauptbecken des Kivusees reduziert werden, stellt Kitakya klar.

Ob das gemeinsame Projekt die befürchtete Naturkatastrophe verhindern kann, weiß niemand

Anders als beim Golf von Kabuno will der Kongo dort das Methan fördern. Dieses drückt fünf Mal stärker als Kohlendioxid gegen die Wasserdecke. Es könnte deshalb beiden Gasen den Weg an die Oberfläche öffnen. Wird das Methan reduziert, so die Idee, sinkt auch der Druck des Gasgemischs und somit die Gefahr. Beim Methan-Abbau führen Rohre das CO₂ teilweise wieder in tiefe Schichten des Wassers zurück. Ein kleinerer Teil entweicht in die Atmosphäre. Die Prozedur erfordert eine ausgefeilte Technik und stetige Kontrolle, damit nicht zu viel von dem Gas entweicht oder die Biozone an der Oberfläche des Sees zerstört wird.

Kongos Nachbarland Ruanda fördert seit vergangenem Dezember Methan in größerem Stil, nach einer mehrjährigen Versuchsphase. Das Gas speist ein Kraftwerk mit einer Kapazität von 26 Megawatt. Es soll helfen, den Strommangel in dem Land zu beheben.

Auch der Kongo will mit dem Methan die notorischen Stromausfälle bekämpfen. Die Stadt Goma zum Beispiel bräuchte eine Leistung von 50 Megawatt, aber nur ein Zehntel steht zur Verfügung. Die meisten Menschen nutzen Holz. 90 Prozent der Energie im Kongo stammt aus dieser Quelle. Umweltschützer sehen deshalb den Bestand des weltweit zweitgrößten Tropenwaldes gefährdet.

Die Not im Energiesektor ist so groß, dass der Kongo und Ruanda kooperieren wollen, obwohl die Länder verfeindet sind und mehrere Kriege geführt haben. Eine Zwei-Staaten-Kommission erarbeitet gerade die technischen, ökologischen und ökonomischen Vorgaben für ein Gemeinschaftsunternehmen. Nach Auskunft der Regierung der Provinz Nord Kivu soll in drei Jahren eine ruandisch-kongolesische Anlage im Kivusee Methan fördern und Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 100 Megawatt speisen.

Ob das Methan-Projekt auf lange Sicht die Naturkatastrophe verhindern kann, weiß niemand genau. Wissenschaftler Yalire sagt: "Wir können nur das Risiko senken, aber wir können keine Garantie geben."

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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