Coronavirus:Ethikrat gespalten über Immunitätsbescheinigungen

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Antikörpertests könnten theoretisch eine Immunität nachweisen. In der Praxis fehlt es aber noch an Zuverlässigkeit. (Foto: Lee Jin-Man/dpa)
  • In einem Positionspapier lehnt das Gremium derzeit eine Einführung von Immunitätsausweisen ab und fordert die Bevölkerung zu gemeinwohlorientiertem Verhalten auf.
  • Begründet wird die Absage mit den fehlenden Kenntnissen über die Dauer der Immunität und mit den Mängeln der verfügbaren Antikörpertests.
  • Sollten Wissensstand und Testqualität es jedoch erlauben, sieht die Hälfte der Mitglieder durchaus einen Anlass für derartige Bescheinigungen.

Von Julia Bergmann und Kathrin Zinkant, Berlin

Als Jens Spahn vor knapp fünf Monaten das neue Infektionsschutzgesetz auf den Weg brachte, schrieb der Bundesgesundheitsminister einen Brief. Er bat den Deutschen Ethikrat darin um eine Bewertung der sogenannten Immunitätsausweise. So wie ein Impfpass einem Menschen bescheinigt, immun gegen Masern oder Ähnliches zu sein, sollte der Corona-Ausweis bestätigen, dass der Träger Covid-19 bereits durchgemacht habe und keine Gefahr für andere mehr darstelle. Doch es gab viel Kritik an Spahns Idee, sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch der Politik. Man wisse nicht, wie lange eine Immunität überhaupt anhalte, hieß es. Die verfügbaren Antikörpertests seien nicht zuverlässig. Und was würde so ein Ausweis letztlich für das gesellschaftliche Miteinander bedeuten?

Fast bis Oktober hat sich der Ethikrat Zeit gelassen, Spahns Bitte um eine Einschätzung nachzukommen. Nun legen die 24 Experten aus Recht, Ethik, Medizin und Kirche in einer 55 Seiten umfassenden Stellungnahme ihre überraschend uneinheitliche Position dar. Zwar herrscht im beratenden Gremium der Bundesregierung Konsens darüber, dass weder der Wissensstand zur Immunität nach einer Corona-Infektion noch die Qualität der verfügbaren Tests für eine Einführung von Immunitätsausweisen derzeit ausreichen. "Angesichts erheblicher Unsicherheiten" rät der Ethikrat von solchen Bescheinigungen ab und betont die "Notwendigkeit, auf andere Maßnahmen eines effektiven Infektionsschutzes zu setzen". Die Aufklärung der Bevölkerung über solche Maßnahmen und die medizinische Forschung zur Immunität sollten gefördert werden.

Eine Hälfte des Ethikrats hält Ausweise in der Theorie für sinnvoll

Doch für den Fall, dass die Tests eines Tages zuverlässiger und die Dauer einer Immunität gegen Sars-CoV-2 bekannt würden, ist der Rat klar gespalten. Die Debatte um Immunitätsnachweise sei eine der kontroversesten gewesen, die das Gremium sein langem geführt habe, hieß es am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Berlin. "Wir haben wirklich gerungen", sagte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Natürlich wolle der Ethikrat mit Blick auf die Beratung der Politik möglichst einheitliche Ergebnisse anbieten, auch weil diese einfacher umzusetzen seien. "Wir haben uns gerade in diesem Fall sehr lange, sehr intensiv bemüht eine Kompromisslösung auszuarbeiten. Wir haben dann aber festgestellt, wir können sie nicht erreichen."

Die Stellungnahme formuliert deshalb eine "Position A" und eine "Position B". Demnach vertritt eine Hälfte des Ethikrats die Auffassung, dass ein Immunitätsausweis unter konkreten Auflagen sinnvoll wäre und auch keine diskriminierenden Effekte für jene haben müsse, die keinen solchen Ausweis tragen. Gesetzliche Regelungen und Beschränkungen auf Personen, die in steter körperlicher Nähe zu anderen Menschen stehen, Pflegekräfte etwa, könnten einen solchen verträglichen Umgang sicherstellen. Selbst eine erhöhte Abwehrkraft statt absoluter Immunität würde hier den Einsatz der betreffenden Personen in kontaktreichen Positionen rechtfertigen - und sogar zur verstärkten Mithilfe verpflichten. "Wer mehr kann, der kann mehr tragen", sagte Ethikratmitglied und Arbeitsgruppensprecher Carl Friedrich Gethmann am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Zudem sollte sichergestellt werden, dass allgemeine Schutzmaßnahmen durch die Ausweisträger nicht kompromittiert würden. Demnach müssten auch die Inhaber einer Bescheinigung sich an Abstandsregeln und andere Auflagen halten - selbst wenn sie selbst weder gefährdet sind noch andere gefährden. Es gehe eben nicht darum, dass sich "die Leute sich die Maske herunterreißen könnten", sagte die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx. Und schließlich umfasst Position A des Ethikrats auch eine umfassende zeitliche Beschränkung, sowohl hinsichtlich der Gültigkeit der Immunitätsausweise selbst als auch ihrer gesetzlichen Grundlage.

Demgegenüber lehnt die andere Hälfte der Ratsmitglieder Immunitätsbescheinigungen konsequent ab. Staatlich kontrollierte Ausweise dürften "im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nicht für die Wiedergewährung von Freiheitsrechten beziehungsweise das Auferlegen besonderer Verpflichtungen verwendet werden", heißt es in Position B der Stellungnahme. Der Kampf gegen die Pandemie sei demnach mit den bislang erfolgreichen Mitteln zu verstärken. So sollten Testungen ausgeweitet und besonders anfällige Einrichtungen wie Schlachthöfe, Pflegeheime, Asylbewerberheime und Werkstätten umstrukturiert werden, um eine Verbreitung des Virus zu stoppen. Lediglich bei Angehörigen und Fürsorgenden sieht Position B eine Möglichkeit, einen zuverlässigen Nachweis von "Nichtinfektiosität" auf Grundlage eines Gesetzes zu nutzen, um diesen Menschen Zugang zu besonders gefährdeten Personen zu sichern.

Ethikratmitglied Judith Simon betonte am Dienstag in Berlin jedoch die Gefahr, dass Menschen sich mutwillig einem Infektionsrisiko aussetzen könnten, um Immunität und damit auch mehr Freiheiten zu erlangen. Die Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg sieht dabei die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn ein Immunitätsausweis zur Bedingung für "gewisse Aktivitäten", wie Reisen oder Besuche würde.

Letztlich ist jedoch klar, dass die Voraussetzungen für die zwei unterschiedlichen Positionen derzeit gar nicht gegeben sind. So gibt es in der Breite keine zuverlässigen Antikörpertests, die eine Immunität sicher nachweisen. Der Ethikrat fordert deshalb auch eine strengere Regulierung von kommerziell erhältlichen Tests und eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit über Immunität. Das Gremium appelliert geschlossen an die Verantwortung der Bevölkerung: Es gehe beim eigenen Verhalten und der Einhaltung von Maßnahmen darum, "stets auch den Mitmenschen und das Gemeinwohl im Blick zu haben".

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