Taxonomie:Max Musterhai

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Auch Wissenschaftlern passiert das manchmal: Sie wollen Ordnung schaffen und finden dabei vergessene Schätze im Keller. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auch Paläontologen müssen hin und wieder Ordnung schaffen. Zum Beispiel dann, wenn drei verschiedene Arten fossiler Raubfische aus Versehen denselben Namen bekommen haben.

Von Sebastian Herrmann

Das Chaos legt sich in Sedimentschichten über den Alltag. Behörden schicken Briefe, Unternehmen senden Informationen und irgendwie sind diese Unterlagen für irgendwas wichtig, nur bleibt unklar, wofür eigentlich, dazu müsste man sie ja genau lesen. So stapelt sich Post und wartet darauf, sortiert zu werden. Im Digitalen wuchert ein zweites Knäuel aus Apps, Passwörtern und Dateien und verheddert die Ordnerstruktur. Versuche, sich aus dem Chaos freizuschwimmen, verschlimmern die Situation, zumindest dann, wenn der Ordnungssinn mittelmäßig ausgeprägt ist. Auf der Suche nach einem Dokument, wenn es doch gebraucht wird, zeigt sich: Man hat in mehreren Ordnern die gleichen Kategorien angelegt und in einer Illusion von Ordnung das Chaos nur vergrößert. Und auf dem Rechner tragen die Dateien abstrakte, ähnliche, manchmal gar dieselben Namen.

Damit in die Welt der Paläontologie. Dort hat sich gerade ein Vorgang ereignet, der Berührungspunkte mit dem Alltagschaos hat, und deshalb freundliches Mitgefühl auslöst. Also: In einer fernen Zeit vor etwa 310 Millionen Jahren lebten Haie der Gattung Orthacanthus in Binnengewässern. Seit dem ersten Fund 1843 haben Forscher an zahlreichen Lagerstätten Fossilien vieler verschiedener Arten dieser aalförmigen Raubfische entdeckt. Ja, und da ist es irgendwie passiert, dass Wissenschaftler drei verschiedenen Arten dieser Urzeithaie denselben Namen gegeben haben: Orthacanthus gracilis. Das hat unter Paläontologen Verwirrung ausgelöst, die nun Loren Babcock, Direktor des Orton Geological Museums in Ohio mit einigem Aufwand aufgelöst hat.

Die Lösung klingt banal, war aber mit großem Aufwand verknüpft

Der erste Fund der genannten Art tauchte 1848 in Deutschland auf. Damals wurde der Name Orthacanthus gracilis erstmals vergeben. In den Jahren 1857 und 1875 stieß der amerikanische Paläontologe John Strong Newberry in den USA auf Fossilien verwandter Urhaie und taufte sie beide Male auf den da bereits vergebenen Namen Orthacanthus gracilis. Wie konnte dem Forscher das passieren? "Wahrscheinlich hat er es einfach vergessen", wird Babcock in einer Pressemitteilung der Ohio State University zitiert. Zwischen Newberrys erstem und zweitem Fund seien fast 20 Jahre vergangen. Da kann man schon mal durcheinanderkommen.

Ein Name für drei verschiedene Urhai-Arten einer Gattung, das erschwert Paläontologen natürlich die Forschung. Nun endlich ist der Fehler korrigiert. Die 1848 in Deutschland entdeckte Art behält ihren Namen, die beiden anderen heißen jetzt Orthacanthus lintonensis und Orthacanthus adamas. Klingt banal, war aber mit großem Aufwand verknüpft: Babcock musste sich durch einen komplexen Verwaltungsvorgang im Rahmen der Regeln der Internationalen Kommission für Zoologische Nomenklatur arbeiten. Immerhin hatte die Sache einen feinen Nebeneffekt: Im Laufe der Arbeit stieß Babcock auf einen reichen Fossilienschatz, der in den Kellern seines Museums vergessen eingestaubt war und den er nun im Journal of Vertebrate Paleontology beschrieben hat. Genauso ist es auch zu Hause im Chaos des Alltags: Auf der Suche nach irgendwelchen Unterlagen stößt man stets auf ganze andere, dafür interessante Dinge.

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