Klimawandel:Jeder zweite Gletscher könnte bis 2100 verloren gehen

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Mit Vlies abgedeckte Skipisten vor Pers- und Morteratschgletscher in der Schweiz: Bei einer Erderwärmung um drei Grad droht Europa ein komplettes Abschmelzen der Gletscher. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Selbst in einem optimistischen Klimaszenario dürften laut neuen Berechnungen viele kleinere Gletscher komplett abschmelzen. Dennoch hat der Mensch noch Spielräume, den Eisverlust zu bremsen.

Wasserknappheit, steigende Meeresspiegel, veränderte Flora und Fauna: Das fortschreitende Schmelzen der Gletscher aufgrund der Klimaerwärmung hat zum Teil gravierende Auswirkungen. Nun zeigt eine im Fachjournal Science veröffentlichte Studie, dass selbst im günstigsten Fall ein großer Teil der Gletscher verschwinden wird. Demnach dürften etwa 49 Prozent der rund 215 000 berücksichtigen Gletscher bis 2100 schmelzen - auch wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird. Die Autoren haben aber auch eine positive Botschaft: Sofortige Maßnahmen zum Klimaschutz und jedes zehntel Grad eingesparte Erwärmung können den Prozess verlangsamen.

Der Studie des internationalen Teams um David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh zufolge steht das Schmelzen der Gletscher in linearem Zusammenhang mit dem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg. Bei einem Anstieg um zwei Grad, dem im Pariser Abkommen vereinbarten Ziel für die maximale Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts, könnten knapp 70 Prozent der Gletscher mit einer Größe von bis zu einem Quadratkilometer verschwinden. Von den Gletschern, die zwischen einem und zehn Quadratkilometer groß sind, würden fast 20 Prozent komplett abschmelzen. Gletscher sind große Massen aus Schnee, Firn und Eis, die meist von Bergen langsam in Richtung Tal strömen.

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Mit seinen Berechnungen bestätigt das Team bisherige Erkenntnisse zum Ausmaß der Gletscherschmelze. "Die Studie hat diverse Prozesse, die bisher nicht betrachtet werden konnten, sehr detailliert angeschaut. Aber es ist nicht so, dass etwas völlig Neues aus der Studie herauskommt, was vorher nicht bekannt war", sagt der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, der nicht an der Untersuchung beteiligt war.

Falls die im Rahmen der UN-Klimakonferenz COP26 im Jahr 2021 gegebenen Klimaziele eingehalten werden, würde das bis Ende des Jahrhunderts auf einen Temperaturanstieg um 2,7 Grad hinauslaufen. Bei einer Erwärmung um etwa 3 Grad würden Gletscher in vielen Regionen nahezu ganz verschwinden, wie es in der Studie weiter heißt. Dazu zählten die in den europäischen Alpen, im westlichen Kanada, den Vereinigten Staaten sowie Neuseeland.

"Die deutschen Gletscher werden 2050 vermutlich nicht erreichen."

Die deutschen Gletscher sind nach Eisens Worten nicht mehr zu retten: "Das Thema ist durch." Im vergangenen Jahr sei der Südliche Schneeferner weggeschmolzen, somit gebe es in Deutschland nur noch vier Gletscher. "Die wird das gleiche Schicksal ereilen", sagte Eisen. Wie schnell die Schmelze in Deutschland vorangehe, hänge lediglich von den Temperaturen in den kommenden Wintern ab. "Wenn wir solche Winter kriegen wie 2020 oder 2021, als es im Frühjahr kalt und nass war, dann werden sie vielleicht noch ein Jahrzehnt länger halten, aber die deutschen Gletscher werden 2050 vermutlich nicht erreichen."

Bei einem durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg von vier Grad würden der Studie zufolge vier von fünf Gletscher weltweit bis 2100 verschwinden. Die Eismasse aller Gletscher würde um 41 Prozent zurückgehen. Das hätte dramatische Folgen. Denn das Schmelzen der Gletscher lässt den Meeresspiegel ansteigen. Im Falle einer Erwärmung um 1,5 Grad läge der Beitrag der Gletscher zum Meeresspiegelanstieg bei 90 Millimetern, bei einer Erwärmung um 4 Grad bei mehr als 150 Millimetern. "Jeder Millimeter mehr Meeresspiegelanstieg führt zu mehr Überschwemmungen an den Küstengebieten, und die Gletscher sind eben einer der Hauptantriebe des Meeresspiegelanstiegs", sagte Fabien Maussion von der Universität Innsbruck, Co-Autor der Studie.

Außerdem seien die Gletscher natürliche Süßwasserspeicher. "Wenn sie weg sind, heißt es zwar nicht, dass wir kein Wasser mehr haben, aber dass das Wasser nicht mehr dann kommt, wenn es benötigt wird - nämlich in trockenen, heißen Sommermonaten", teilte Co-Autor Matthias Huss von der ETH Zürich mit. Wenn das Eis weg sei, sei vor allem in Dürrephasen mit Wasserknappheit zu rechnen. "Das ist ein Problem für Bewässerung, Trinkwasser, Warentransport, Fauna und Flora und so weiter", so Huss.

Trotzdem unterstreicht das Team um Rounce: Es sei durchaus möglich, die Schmelze durch sofortige und umfassende Klimaschutzmaßnahmen auf globaler Skala mittelfristig zu verlangsamen. "Auch wenn wir die Gletscher nicht so retten können, wie sie aktuell aussehen, bewirkt jedes Zehntelgrad eingesparter Erwärmung einen geringeren Rückgang und damit auch geringere negative Auswirkungen", so Huss.

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