Frachtcontainer:Das Gift kommt per Schiff

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Etwa 25 Millionen Frachtcontainer sind weltweit im Umlauf. (Foto: De La Rey/AFP)
  • Zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Frachtcontainer sind laut Messungen mit toxischen Gasen belastet.
  • Die Gase werden eingesetzt, um Schädlinge abzutöten. Doch Produkte wie Spielzeug, Matratzen und Kleidung dünsten auch selbst krebserregende Stoffe aus.
  • Akut gefährdet sind Mitarbeiter von Logistikfirmen. Rückstände gelangen auch bis zum Verbraucher.
  • Zuletzt gab es beim Arbeitsschutz mutmaßlich Rückschritte. Anstatt Messungen zu verlangen, leitet etwa der Hamburger Zoll Container häufig direkt weiter.

Von Christoph von Eichhorn

Für die Mitarbeiter der Modefirma im oberbayerischen Poing war es Routine. Ein Container mit Schuhen aus Asien kommt an, muss geöffnet, die Ware sortiert und für den Verkauf verpackt werden. Doch als sich die Türen des Containers dieses Mal öffneten, kam es zu einem Großeinsatz von Feuerwehr, Notärzten und Polizei. Für neun Personen endete der Tag mit Vergiftungssymptomen im Krankenhaus. Bei 51 weiteren behandelten Sanitäter Augenreizungen und Atemwegsbeschwerden vor Ort. Denn neben Schuhen brachte der Container eine weitere, unsichtbare Fracht: einen gasförmigen Chemikaliencocktail.

Viele Logistikunternehmen lassen Container begasen, etwa um Nahrungsmittel haltbar zu machen oder um zu verhindern, dass Insekten über die Weltmeere in fremde Ökosysteme eingeschleppt werden. Doch auch viele Produkte selbst wie Schuhe oder Möbel dünsten beim Transport Chemikalien aus, die sich im Container zu einem unberechenbaren Mix anreichern. Dieser könnte auch Verbrauchern gefährlich werden, warnen einige Experten.

Als der Mann den Container voller Paprikasaucen öffnete, verätzte es ihm die Atemwege

Dass ein Großaufgebot nötig wird wie vor rund vier Jahren in Poing, ist zwar sehr selten, doch die giftige Luft zieht sich quer durch die gesamte Logistikbranche. Schätzungsweise rund 25 Millionen Container sind weltweit in Umlauf, ohne sie wäre die globalisierte Wirtschaft nicht vorstellbar. Doch einer Untersuchung im Fachmagazin Journal of Occupational Medicine and Toxicology zufolge sind zwischen zehn und 20 Prozent von ihnen mit potenziell gesundheitsgefährdenden Gasen belastet, das wären bis zu fünf Millionen Container.

Die Zahlen stammen unter anderem von Xaver Baur von der Europäischen Gesellschaft für Umwelt- und Arbeitsmedizin. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Langem mit den Gesundheitsgefahren für alle, die mit Frachtcontainern zu tun haben, und beriet bis zu seiner Pensionierung unter anderem die WHO. Die Forschung hat bereits einiges bewirkt: So darf das Insektizid Methylbromid seit 2015 wegen seiner starken Giftigkeit für Menschen weltweit nicht mehr zur Begasung von Waren eingesetzt werden. In hohen Dosen kann es zu Koma und Krämpfen führen, auch Todesfälle sind bekannt.

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"Wir haben gehofft, dass jetzt unbedenkliche Stoffe oder Verfahren eingesetzt werden", sagt Baur. Doch in Hamburg, wo mit Abstand die meisten Container in Deutschland umgeschlagen werden, zeigt sich gerade das Gegenteil. Wie der Senat im Januar auf Anfrage der Linken bekannt gab, wurden im Hafen der Hansestadt statt der verbotenen Substanz im vergangenen Jahr mehr als 200 Tonnen des Insektizids Sulfuryldifluorid (SF) verwendet - die zwölffache Menge im Vergleich zu 2015. "Da hat man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, weil das ein Treibhausgas ist", sagt Baur. Und was für eins: Das Insektizid schädigt das Klima rund 4700-mal so stark wie die gleiche Menge Kohlendioxid.

Zugleich ist auch SF "akut toxisch" und "giftig beim Einatmen". Ein Grund für den sprunghaften Anstieg liegt laut Hamburger Senat am gestiegenen Export von Holz ins Ausland. SF ist derzeit das einzige von der Bundesanstalt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zugelassene Begasungsmittel für Stammholz. Auch Staaten wie China oder Australien fordern die Behandlung mit dem Stoff, damit keine Schädlinge eingeschleppt werden. Durch das Verbot von Methylbromid habe es eine Reihe von Verschiebungen zu anderen Substanzen gegeben, sagt Baur - neben Sulfuryldifluorid etwa zu Phosphorwasserstoff, "alle ähnlich gesundheitsgefährdend". Dabei gebe es auch unproblematische Verfahren, sagt der Arbeitsmediziner. So lässt sich Ungeziefer auch mit heißen Temperaturen abtöten, oder indem man den Sauerstoff im Container mit Stickstoff ersetzt. Das erfordert allerdings Investitionen in entsprechende Räumlichkeiten - was viele Firmen scheuen würden, so Baur.

Der Zoll prüft jeden Container vor dem Öffnen mit einem Gerät, das auf viele Gase reagiert

Selbst unverdächtige Container können Risiken bergen. So verätzte sich im April im Hamburger Hafen ein Mann die Atemwege, der einen Container mit Paprikasoßen öffnete. Dabei waren die Gläser selbst unbehandelt. "Der Container selbst war nicht begast, sondern die vorherige Ladung", sagt ein Sprecher der Hamburger Polizei, die in dem Fall wegen Körperverletzung ermittelt. Bevor Nahrungsmittel in dem Container transportiert wurden, seien darin offenbar Gefahrstoffe gewesen, so die Polizei. Der Verlader in der Türkei habe es wohl versäumt, den Container zu säubern, sodass die toxischen Stoffe sich an die nächste Fracht anlagerten.

Obwohl die Risiken bekannt sind, gab es beim Arbeitsschutz zuletzt mutmaßlich Rückschritte. Der Hamburger Zoll hat in den letzten Jahren ein ausgeklügeltes System entwickelt. Jeden Container, den die Zöllner kontrollieren wollen, überprüfen sie erst von außen mit einem Messgerät, das auf viele Gase anschlägt. Dabei gebe es "mehrere Hundert Treffer im Monat", bestätigt ein Sprecher des Hauptzollamts Hamburg. Meldet das Gerät Gefahr, verlangen die Zöllner eine Schadstoffanalyse durch einen externen Prüfer, bevor der Container geöffnet werden darf. Dies dient dem Schutz eigener Mitarbeiter, doch auch die Mitarbeiter der Logistikunternehmen profitierten - zumindest bis Ende vergangenen Jahres.

"Der Zoll hat hier eine Kehrtwende hingelegt", sagt Torsten Ollesch von der Firma Umweltanalytik Hamburg, der als Gutachter in dem Bereich arbeitet. "Wenn der Zoll Container aufgrund hoher Schadstoffbelastung zurückweist, überlässt er es jetzt in aller Regel dem Logistiker, wie er seine Waren vorführt", sagt Ollesch. Schlage das Messgerät des Zolls Alarm, würden die Container nun häufig "an die Logistiker zurückgeschickt". Dort würden die Container dann oft einfach geöffnet, um sie für einige Stunden oder Tage zu belüften oder die Waren gleich zu entnehmen. "Dies geschieht häufig durch Tagelöhner von Drittanbietern, die pro Container bezahlt werden, also im Akkord", schildert Ollesch.

Anschließend führen die Firmen die Waren erneut dem Zoll vor - ohne dass eine Gefahrstoffprüfung stattgefunden hat. "Damit nimmt der Zoll in Kauf, dass sich Mitarbeiter der Logistiker während der Entladung vergiften und kontaminierte Ware an die Einzelhändler bis zum Kunden gelangt", sagt Ollesch . Der Verbraucher könne die Gifte über die Atmung oder die Haut aufnehmen. Betroffen seien etliche Warengruppen vor allem aus chinesischer Produktion, von Schuhen, Textilien über Spielzeug bis hin zu Medizinprodukten. Kontrollen durch Arbeitsschutzämter und Marktüberwachungsbehörden, so Ollesch, fänden praktisch nicht statt, sei es aus Unkenntnis der Lage oder Personalmangel.

Zolldokumente, die der SZ vorliegen, stützen die Darstellung, dass es eine Änderung im Prozedere zulasten des Arbeitsschutzes gegeben hat. So wird in einem Schreiben des Hauptzollamts Hamburg vom Mai 2019, in dem es um den Verdacht auf Schadstoffbelastung eines Containers geht, explizit eine Analyse der Containerinnenluft auf Schadstoffe gefordert, bevor der Container weggebracht werden darf. In einem Schreiben vom Dezember heißt es dann, "sollte keine Messmöglichkeit bestehen, können Sie schriftlich beantragen, dass die Beschau vom Zollhof zu einem anderen Beschauort verlagert wird".

Während der Reise auf dem Schiff gasen Produkte wie Schuhe oder Spielzeug Substanzen aus

Die Behörde räumt auf Anfrage ein, dass seit Kurzem zwischen einem "roten" Alarm (Begasungsmittel) und einem "gelben" (andere Chemikalien) unterschieden werde. "Die Praxis hat gezeigt, dass bei einem gelben Alarm mit einer Entlüftung der Schadstoffgehalt der Container wieder in ein unbedenkliches Niveau gesenkt werden kann." Bei einer hohen Schadstoffbelastung werde gegebenenfalls ein Schadstoffgutachten verlangt. Die Einhaltung der Arbeitsschutzbedingungen obliege aber "den Firmen, die die Arbeiten durchführen. Diese sind als Arbeitgeber für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zuständig."

Allerdings enden die gesundheitlichen Risiken nicht bei den Logistikern. Laut einer Studie im Journal Plos One stellt nicht nur die Begasung von Containern ein Gesundheitsrisiko dar, sondern auch Substanzen, die die Produkte selbst ausdünsten. Während ihrer Reise gasen Produkte wie Schuhe oder Spielzeug flüchtige Substanzen wie Benzen aus, die noch aus der Herstellung stammen. Im abgeschlossenen Container können sich die Stoffe zu einem gefährlichen Gasmix anreichern, berichteten die Forscher um Lygia Budnik von der Universität Hamburg. Die Arbeitsmediziner hatten mehr als 2000 Container untersucht und festgestellt, dass die Benzenkonzentration der Containerluft die empfohlene Belastung im Mittel um das 698-fache überschritt.

Benzen wirkt toxisch auf das Nervensystem und gilt als krebserregend. Vor allem Schuhe sind damit belastet, aber auch Taschen und Accessoires, Möbel oder Autoteile. Etwa die Hälfte der Container mit Schuhen überschreitet zudem die empfohlene Grenze für Ethylendichlorid um das Zehnfache, eine flüchtige Substanz mit schädlicher Wirkung auf die Atemwege. Diese Ausdünstungen sind oft extrem langlebig. Bei einem Puppenhaus stellten die Forscher noch nach drei Wochen im Labor Ethylendichlorid-Werte fest, die den zulässigen Wert um ein Mehrfaches überschritten. Bei einigen Matratzen dauerte es Monate, bis die Gase sich verflüchtigt hatten.

Experten vermuten, dass vor allem die langfristige Wirkung der Chemikalien unterschätzt wird. Selbst vergleichsweise geringe Dosen können über Jahre hinweg zu Krebs führen. Diese Langzeitschäden sind allerdings schwer nachzuweisen. Selbst bei akuten Unfällen lässt sich nicht immer die Ursache feststellen. Nach dem Unfall in Poing beauftragte die Modefirma Experten mit der Untersuchung. Doch den Namen der Giftstoffe fanden sie nicht heraus - und damit gibt es keine Anhaltspunkte, wie sich so etwas verhindern lässt.

© SZ vom 13.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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