Ernährung:Bittersüß

Calm In Bucharest As Thousands Call For Government To Step Down

Softdrinks waren einmal Symbol von Wohlstand. Heute werden sie hingegen eher als Gesundheitsgefahr betrachtet.

(Foto: Getty Images)

Lebensmittelampel, Werbeverbote oder Selbstverpflichtungen der Industrie: Wissenschaftler haben systematisch ausgewertet, wie sich der Konsum stark gezuckerter Softdrinks reduzieren lässt.

Von Berit Uhlmann

Hunderttausende Jahre lang stillte der Mensch seinen Durst mit Wasser. Seit einigen Tausend Jahren brüht er sich gelegentlich einen Tee auf, in jüngerer Zeit gerne auch einen Kaffee; außerdem kennt er seit Langem Fruchtsäfte und diverse Alkoholika. Vor etwas mehr als 100 Jahren jedoch betrat Coca-Cola den Markt und veränderte Trinkgewohnheiten wie Körperformen der Menschen rasant. "Vielleicht liegt es daran, dass der Mensch evolutionär nicht daran gewöhnt ist, Kalorien in flüssiger Form aufzunehmen", sagt Peter von Philipsborn, Wissenschaftler der Pettenkofer School of Public Health an der LMU München. Vielleicht ist auch ausschlaggebend, dass Zucker und Koffein die Belohnungszentren im Gehirn aktivieren und das Sättigungsgefühl ausschalten. Sicher ist: Süßgetränke erhöhen das Risiko für Fettleibigkeit und deren Folgekrankheiten ebenso wie für Karies. Fachgesellschaften der ganzen Welt fordern daher, den Konsum einzudämmen.

Wie das aber gelingen kann, ist Stoff heftiger Debatten, die aktuell auch in Deutschland geführt werden. Philipsborn ist dieser Frage gemeinsam mit Kollegen des als besonders streng geltenden Wissenschaftlernetzwerks Cochrane nachgegangen. Knapp 60 Studien mit Daten von mehr als einer Million Menschen haben die Forscher detailliert ausgewertet.

Als eine der wirksamsten Maßnahmen erwiesen sich diverse Formen der Lebensmittelampel, also farbige, intuitiv zu verstehende Kennzeichnungen auf der Verpackung. Mehrere Studien zeigten, dass Menschen weniger Süßgetränke kaufen, wenn ihnen deren hoher Zuckergehalt in Signalfarbe verdeutlicht wird. Prominentestes Beispiel ist der in Frankreich entwickelte Nutri-Score, der den Nährwertgehalt mit bunten Buchstaben - von grünem A bis zum rotem E - bewertet. Das Label ist bereits in mehreren europäischen Ländern in Gebrauch. Fast 22 000 Menschen haben bislang eine Petition unterzeichnet, die seine europaweite Einführung fordert. "Wir brauchen endlich ein mehrfarbiges Kennzeichnungssystem in Deutschland", sagt auch Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, eines Zusammenschlusses von mehr als 20 Fachgesellschaften und Forschungseinrichtungen, die sich ebenfalls für den Nutri-Score aussprechen.

Auch nach Ansicht des bundeseigenen Max-Rubner-Instituts für Ernährungsforschung erfüllt der Nutri-Score die Anforderungen an eine effektive Kennzeichnung besser als fast alle anderen gebräuchlichen Kennzeichnungen. Dennoch zögert das deutsche Ernährungsministerium und arbeitet stattdessen an einem eigenen, auffällig farblosen Label.

Eine weitere hilfreiche Maßnahme hat in Deutschland ebenfalls einen eher schweren Stand: Dem Cochrane-Artikel zufolge ist es effektiv, wenn Schulen die Colaautomaten mit Wasserspendern ersetzen. "Leider sind wir hiervon in Deutschland noch weit entfernt", sagt Philipsborn. An 41 Prozent der Schulen werden Softdrinks angeboten; Wasserspender sind nur an 23 Prozent der Einrichtungen installiert.

Ebenfalls positiv bewerteten die Autoren, wenn Supermärkte die gesünderen Getränke sichtbarer platzieren und wenn Restaurants Kindermenüs standardmäßig mit zuckerarmen Getränken statt mit Cola oder Limo anbieten. Auch Preisanhebungen sind prinzipiell wirkungsvoll. Allerdings hat die aktuelle Studie Erkenntnisse zur Zuckersteuer nicht berücksichtigt, da sie in einer gesonderten Arbeit bewertet werden sollen.

Hingegen fanden die Forscher keinen Nachweis für das, was Ernährungsministerin Julia Klöckner so vehement verteidigt: freiwillige Verpflichtungen der Industrie. In ihrer im Winter verabschiedeten "Nationalen Reduktionsstrategie" für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten setzt die Ministerin allein auf den guten Willen der Branche.

Drei Studien haben die Cochrane-Autoren zu diesem Ansatz gefunden; zwei zeigten einen geringfügig positiven Effekt; die dritte Arbeit ergab dagegen, dass mehr Softdrinks gekauft wurden, als auf Basis der bestehenden Marktentwicklung zu erwarten gewesen wäre. Methodisch allerdings waren alle drei Untersuchungen fragwürdig, die Sicherheit der Evidenz bekam die Einschätzung "sehr niedrig".

Die Ziele des deutschen Ernährungsministeriums sind wenig ehrgeizig

Hinzu kommen grundsätzliche Zweifel an der Strategie. So ist in die Verhandlungen zur Begrenzung ungesunder Nahrungsmittel auch der Zentralverband der deutschen Zuckerindustrie involviert. "Ich halte es nicht für sehr realistisch, dass dieser freiwillig auf eine Verringerung des Zuckerabsatzes in Deutschland hinarbeiten wird", sagt Philipsborn. Ohnehin seien die Ziele des Ernährungsministeriums nicht sehr ehrgeizig: "So soll zum Beispiel der Zuckergehalt von Erfrischungsgetränken bis 2025 um 15 Prozent reduziert werden. In Großbritannien führte hingegen die Ankündigung einer Süßgetränkesteuer dazu, dass Hersteller wie Coca-Cola den Zuckergehalt in ihren Softdrinks innerhalb kurzer Zeit um bis zu 50 Prozent reduzierten", sagt der Mediziner.

Stefan Lhachimi vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen forderte Ernährungsministerin Klöckner auf, "die vorhandene Evidenz endlich zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln". Dies bedeute, "nicht mehr lediglich auf Selbstverpflichtungen der Industrie zu pochen".

Nun ist nicht ausgeschlossen, dass auch Kritiker staatlicher Eingriffe Futter in der 400 Seiten starken Auswertung finden. Zu vielen Maßnahmen gibt es nur wenige aussagekräftigen Studien, zu Werbebeschränkungen gar keine. Die Qualität der Evidenz wird bestenfalls als "moderat" eingeschätzt, weil die Erkenntnisse überwiegend aus Beobachtungsstudien stammen. Der Goldstandard der Forschung aber setzt den Vergleich zwischen Probanden voraus, die nach dem Zufallsprinzip entweder eine Vorsorgemaßnahme erhalten oder nicht. Nur muss man berücksichtigen, dass sich diese Methode oft nur schwer für die Bewertung flächendeckender Präventionsmaßnahmen anwenden lässt.

Ohnehin gehen Fachleute davon aus, dass es nicht die eine, durchschlagende Maßnahme gibt, sondern eine Kombination vieler Schritte nötig ist, um den beständigen Anstieg des Übergewichts zu stoppen. Ohne "umfassende und gezielte Anstrengungen" lasse sich der Trend nicht umkehren, sagt der Münchner Ernährungsmediziner und Mitautor Hans Hauner. Doch nach diesen Anstrengungen sieht es in Deutschland derzeit nicht aus.

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