Hans-Werner Bertelsen ist Zahnarzt. Allerdings kein gewöhnlicher. Seit 20 Jahren transplantiert er Zähne. Er versetzt sie im Gebiss eines Patienten von einer Stelle des Kiefers an eine andere, etwa um mit ursprünglich weit hinten sitzenden Zähnen Lücken im vorderen Teil der Zahnreihen zu schließen. Die Methode hat sich bewährt, Studien zufolge ist die Erfolgsquote hoch. Der Bremer Mediziner hatte bislang keinen Anlass, seine Arbeit in Frage zu stellen.
Dann stieß er auf eine Broschüre des Bundesverbandes der naturheilkundlich tätigen Zahnärzte (BNZ). Was dort stand, ließ ihm keine Ruhe mehr. Zwischen den Zähnen, so hieß es dort, bestehen wechselseitige Beziehungen mit den einzelnen Organen und Körperteilen. Bereits im alten China, so erfuhr Bertelsen, habe man dies erkannt und moderne Analyseverfahren hätten es bestätigt.
Demnach hängt ein Zahn unter anderem mit der Lunge zusammen, ein anderer mit dem Magen, dieser mit Gallenblase und Hüfte, jener mit Dickdarm und Immunsystem. Kommt es zu Zahnkrankheiten wie Parodontose oder Karies, müsste man deshalb berücksichtigen, dass die Zahnschäden ihre Ursache in erkrankten Organen haben können und nicht nur Folgeerscheinungen von schlechter Pflege oder falscher Ernährung sind. Und umgekehrt könnten kranke Zähne zu Beschwerden an anderen Körperstellen führen.
Dies übersehen zu haben, wäre ja schon ärgerlich genug, fand Bertelsen. Doch er behandelt ja nicht nur Zähne - er versetzt sie. Was aber passiert im Körper, wenn man einen Zahn mit Beziehung zur Leber an die Stelle eines anderen setzt, der mit dem Herzen "korrespondiert"? Kommen die "Projektionen" da nicht völlig durcheinander? Welche langfristigen Folgen kann das für die Patienten haben? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, wandte sich Bertelsen an den Vorstand des BNZ, Werner Becker, Professor an der rumänischen Ovidius-Universität in Constanta.
Fatale Dreiecksbeziehung
Was, so Bertelsens Frage an den Zahnarzt und Heilpraktiker, hat eine 23-jährige Patientin (Sternbild Widder) zu befürchten, deren oberer Weisheitszahn (Nummer 28) auf die Position des Backenzahns im Unterkiefer (Nummer 36) transplantiert wurde?
Die Antwort: Die Beziehung mit dem Körper bleibe erhalten, auch wenn ein Zahn nicht mehr vorhanden ist. Allerdings nehme ein versetzter Zahn seine angestammte Beziehungsqualität mit, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt wie im ursprünglichen Platz. Ein transplantierter Zahn habe also in jedem Fall "zwei Beziehungskisten".
Ein transplantierter Zahn mit zwei Beziehungskisten - die Information war Bertelsen zu vage. Bedeutete das etwa, dass sich die Anzahl der Projektionsorgane verdoppelt? Und sollten Patienten nach einer Transplantation sicherheitshalber eine Begleittherapie erhalten?, fragte er nach.
Zu erwarten wären mit Sicherheit energetische Schwächungen sowohl des Bezuges vom transplantierten Zahn wie auch vom Odonton des Transplantatorts - also der unmittelbaren Umgebung des Zahns, wurde ihm erklärt.
Professor Becker empfahl Organotherapie ( Frischzellentherapie), sogenannte energetische Verfahren wie z.B. Magnetfeldtherapie, Bioresonanz oder homöopathische Komplexmittel sowie orthomolekulare Präparate (hochdosierte Vitamin- und Mineralstoffpräparate).
Energetische Schwächungen? Der besorgte Zahnarzt Bertelsen wollte es nochmals genauer wissen - und wandte sich an zwei weitere Experten, die ihm von der Internationalen Gesellschaft für Ganzheitliche ZahnMedizin empfohlen wurden.
Der erste Fachmann wies ihn auf die morphischen Felder nach Rupert Sheldrake hin. Der zweite Experte riet zu regulationsmedizinischen Tests und zur angewandten Kinesiologie - eine Art Muskeltest. Es sei zu befürchten, dass sich wegen der vertauschten Projektionsorgane Probleme ergeben.
Bertelsens Sorgen sind demnach berechtigt - könnte man meinen. Allerdings waren seine Recherchen nicht ernst gemeint. Mit seiner Eulenspiegelei wollte er lediglich darauf aufmerksam machen, wie absurd die Vorstellung der Zahn-Organ-Wechselbeziehungen ist. Denn die ganzheitlichen Zahnärzte greifen für die Zuordnungen auf die Meridiane der traditionellen chinesischen Medizin zurück - " Energiebahnen", über die verschiedene Körperteile miteinander verbunden sein sollen.
Bekannt sind diese Bahnen vor allem aus der Akupunktur. Vor mehr als 50 Jahren hatte der deutsche Arzt Reinhold Voll begonnen, mit einem von ihm selbst entwickelten Gerät den Energiefluss in den Meridianen zu messen. Auf ihn und den Zahnarzt Fritz Kramer geht der Katalog der Wechselbeziehungen zwischen Zähnen und Organen zurück, auf den sich die ganzheitlichen Zahnheiler berufen.
Doch wenn man genauer hinschaut, stößt man auf eine Menge Ungereimtheiten. Zuallererst konnten Naturwissenschaftler im menschlichen Körper bislang keine Meridiane aufspüren. Was aber hatte Reinhold Voll gemessen, und was prüfen Zahnheiler mit der " Elektroakupunktur nach Voll" (EAV) heute noch immer? Nichts anderes als den Leitungswiderstand der Haut, ähnlich wie ein Lügendetektor.
Der gemessene Widerstand hängt vor allem davon ab, wie sehr man schwitzt und wie stark die Testelektroden auf die Haut gedrückt werden. Es ist deshalb leicht nachvollziehbar, wieso bislang jeder verlässliche Nachweis fehlt, dass die Methode tatsächlich funktioniert. Die Patienten müssen sich auf die Behauptungen der paramedizinischen Heiler verlassen, die sagen, Tests auf alternative Heilmittel und deren Einsatz hätten einen Wert.
Neben der EAV gilt das übrigens auch für alle anderen " regulationsmedizinischen" oder sonstigen Behandlungs- oder Diagnoseverfahren, die Bertelsen empfohlen wurden: Sowohl Bioresonanz, angewandte Kinesiologie, Organotherapie (Frischzellentherapie), Magnetfeldtherapie als auch orthomolekulare Medizin konnten ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nicht belegen.
Sie entbehren außerdem der wissenschaftlichen Grundlage und sind medizinisch nicht anerkannt. Und dass die von Becker empfohlenen homöopathischen Arzneimittel besser wirken als Scheinmedikamente, konnte bislang ebenfalls nicht belegt werden.
Auf die EAV angesprochen betonte Becker, dass das Verfahren in den entsprechenden Fachgesellschaften gelehrt und geprüft werde und "über jede Negativ-Kritik erhaben" sei. "Es gibt im menschlichen Körper eben Dinge, die zur Zeit noch nicht mit schulmedizinischen Methoden nachweisbar sind", erklärte er Süddeutsche.de. "Sie laufen im Bereich der energetischen und frequenztechnischen Betrachtungen ab."
Gerade solche Erklärungen aber irritieren Kritiker der sogenannten naturheilkundlichen Verfahren: Es werden Dinge behauptet, die sich mit den wissenschaftlich bewährten Methoden nicht nachweisen lassen. Diesen bewährten Methoden - Beobachtungen, Analysen, Experimente und deren Reproduktion - stellen die Heiler ihre subjektiven Erfahrungen gegenüber, als hätten diese die gleiche Aussagekraft. Die Fortschritte der Naturwissenschaften und der modernen Medizin zeigen aber, dass genau das nicht der Fall ist. So lassen sich die behaupteten Wirkungsmechanismen etwa der Homöopathie nicht in Übereinstimmung bringen mit den physikalischen Eigenschaften von Wasser.
Was Hans-Werner Bertelsen allerdings besonders ärgert: Mit Behauptungen wie der, dass Zähne Darm- oder Rückenbeschwerden verursachen können, versuchen manche seiner Kollegen den Patienten für Hunderte von Euro ganzheitliche Anamnesen oder EAV-Tests zu verkaufen.
Und wem das zu teuer ist, dem empfiehlt der Bundesverband der naturheilkundlich tätigen Zahnärzte (BNZ) einen besonderen Schutzbrief, der eine entsprechende Behandlung deutlich billiger macht. Dass es keinen Beweis für die behaupteten Wechselwirkungen zwischen Zähnen und Organen gibt, geht aus der entsprechenden Broschüre nicht hervor. Und wenn die aus eigener Tasche oder über einen solchen Schutzbrief finanzierte Behandlung nichts bringt, können die Patientinnen und Patienten nichts tun, kritisiert Bertelsen. "Sie sind weitgehend rechtlos, weil keine Standards definiert sind, die es erlauben würden, bei Versagen eine Klage einzureichen."
Zwar haben Mediziner inzwischen herausgefunden, dass Entzündungen im Zahnfleisch und Zahnlücken das Risiko für Gefäßverkalkungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen oder Diabetes erhöhen können. Das hängt allerdings mit der Zunahme an gesundheitsschädlichen Keimen zusammen, die aus dem Mund in die Blutbahn gelangen können, sowie mit dem krankheitsbedingten Stress, der sich auf das Immunsystem auswirken kann. Mit Meridianen hat das nichts zu tun. Genauso wenig, wie die paramedizinischen Methoden mit Medizin.