Schlechte Zähne steigern Gesundheitsrisiken:Mit Zahnseide gegen den Herzinfarkt

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Wer selten Zähne putzt, riskiert mehr als nur Karies und Zahnschmerzen. Ein schlechtes Gebiss schädigt den gesamten Organismus. Studien haben ergeben, dass sogar die Gefahr eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts steigt.

Moritz Pompl

"Achten Sie auf ein gutes Gebiss, so schützen Sie sich vor Herzinfarkt und Schlaganfall." Mit solchen Worten könnten Zahnärzte ihre Patienten wohl noch eindrücklicher zu einer guten Zahnpflege motivieren als mit dem Klassiker, nur dreimal täglich drei Minuten putzen halte die Karies fern.

"Achten Sie auf ein gutes Gebiss, so schützen Sie sich vor Herzinfarkt und Schlaganfall." (Foto: obs/proDente e.V.)

Unlautere Werbung wäre das nicht: Tatsächlich kann ein schlechtes Gebiss dem ganzen Körper schaden. Wer selten Zähne putzt und mit entzündetem Zahnapparat herumläuft, hat ein erhöhtes Risiko für Hirnschlag und Herzinfarkt.

Allein in Deutschland leidet nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation knapp jeder Fünfte an Parodontitis, einer Entzündung der Zahnverankerung im Kiefer. Doch viele Betroffene meiden den Zahnarzt. Und den wenigsten ist bewusst, dass sich das negativ auf den gesamten Organismus auswirken kann.

Dabei kann womöglich schon eine professionelle Zahnsteinentfernung das Infarktrisiko senken, wie Emily Zu-Yin Chen vom Veterans Hospital in Taipeh kürzlich auf einem Kongress der American Heart Association in Orlando berichtete. Mehr als 102.000 Krankenakten von Erwachsenen hat die Kardiologin untersucht, die bis zum Jahr 2000 keinen Schlaganfall oder Herzinfarkt gehabt hatten. Knapp die Hälfte der Teilnehmer ließ sich in den folgenden sieben Jahren mindestens einmal beim Zahnarzt den Zahnstein entfernen, die andere Hälfte nicht.

Je regelmäßiger die Behandlung, umso seltener erkrankten die Teilnehmer in dieser Zeit an einem Infarkt. "Das Risiko für einen Hirnschlag sank bei jährlicher Zahnsteinentfernung um 13 Prozent und das für einen Herzinfarkt sogar um 24 Prozent", sagt Chen.

Auch bekommen Menschen mit wenigen Zahnlücken und gesundem Zahnfleisch seltener einen Infarkt. Anders Holmlund von der schwedischen Universität Uppsala konnte in einer Studie mit knapp 8000 Teilnehmern zeigen, dass Menschen mit elf oder mehr Zahnlücken ein um 69 Prozent erhöhtes Herzinfarktrisiko trugen. Als Vergleich dienten gleichaltrige Personen mit vollständigem Gebiss. Zudem hatten Patienten mit Gingivitis, also einer Entzündung des Zahnfleischs mit vertieften Zahntaschen und häufigem Zahnfleischbluten, ein um 53 Prozent erhöhtes Infarktrisiko.

Experten kritisieren allerdings, dass weder Chen noch Holmlund die sonstigen Lebensgewohnheiten ihrer Probanden berücksichtigten. So vernachlässigten sie die klassischen Risikofaktoren für einen Gefäßverschluss wie Rauchen, hoher Blutdruck, Diabetes oder erhöhte Blutfettwerte. Auch Alter und Gewicht der Probanden sowie körperliche Betätigung wurden nicht erfasst. Das könnte die Statistik verzerren - zumal es gut möglich ist, dass Menschen auch ihren übrigen Körper vernachlässigen, wenn die Zähne faulen.

Doch die Tendenz der Studien wird von weiteren Erhebungen gestützt, etwa von einer schottischen Analyse aus dem vergangenen Jahr. Demnach war in einer Gruppe von rund 12.000 Probanden das Herzinfarktrisiko um 70 Prozent erhöht, wenn sich Patienten weniger als einmal am Tag die Zähne putzten und ein entsprechend schlechtes Gebiss hatten. Verglichen wurde mit Teilnehmern, die sich mindestens zweimal täglich ihre Zähne reinigten. Auch alle anderen Risikofaktoren für einen Infarkt wurden in der Studie untersucht und herausgefiltert.

Mund, Kiefer und Gesicht muss man als ein Organsystem begreifen, das andere Organe wie das Herz in Mitleidenschaft ziehen kann, wenn es nicht funktioniert", sagt der Kieferchirurg Heinz Kniha von der Universität München. Übermäßiger Zahnbelag könne dazu führen, "dass sich das umliegende Zahnfleisch entzündet und auch die Verankerung des Zahns angegriffen wird", so Kniha. Fallen Zähne aus, bieten die Lücken im Gebiss Bakterien zusätzlichen Platz.

Insgesamt gilt also: Je schlechter das Gebiss, desto häufiger entstehen Entzündungen im Mundraum. "Die natürliche Bakterienflora verschiebt sich dann, sodass gesundheitsschädliche Keime überhandnehmen können und über Verletzungen am Zahnfleisch in die Blutbahn gelangen", sagt Kniha. In der Folge können sich die Bakterien an Verkalkungen in Herz- und Halsgefäßen ansiedeln und letztlich zum Gefäßverschluss mit gravierenden Konsequenzen führen: Herzinfarkt und Schlaganfall.

Gleichzeitig bedeutet jede Entzündung Stress für das Immunsystem. Um die körpereigene Abwehr zu aktivieren, schüttet die Leber eine größere Anzahl sogenannter Akute-Phase-Proteine ins Blut aus, unter anderem das C-reaktive Protein ( CRP) und Fibrinogen. Letzteres aber spielt nicht nur als Entzündungsvermittler eine Rolle, sondern auch bei der Verklumpung von Blutplättchen.

Ein erhöhter Fibrinogen-Spiegel unterstützt also den Verschluss von Arterien in Herz oder Hals, in denen sich ohnehin schon Bakterien abgelagert haben. Damit steigt die Gefahr für einen Infarkt weiter. Ebenso können erhöhte CRP-Werte langfristig die Gefäße schädigen und zur Verkalkung beitragen. Zwar ist hier der genaue Mechanismus unklar, doch CRP ist bekannt dafür, dass es bei bakteriellen Infekten stark ansteigt.

Wenn jemand ein schlechtes Gebiss hat, können aber nicht nur Arterien in Herz oder Gehirn verkalken, sondern auch Nieren- oder Beingefäße.Letztlich kann sich ein chronisches Nierenversagen entwickeln oder auch die für Raucher typische Schaufensterkrankheit, bei der die Betroffenen nach kurzen Gehstrecken starke Schmerzen in den Beinen verspüren und pausieren müssen.

"Wir sehen außerdem, dass Parodontitis das Risiko für Diabetes erhöht, unabhängig von anderen Risikofaktoren", sagt Zahnmediziner Thomas Kocher von der Universität Greifswald. Seit 1997 untersucht Kocher in einer breitangelegten Studie die Auswirkungen von Entzündungen des Zahnhalteapparats auf den Gesamtorganismus. So konnte sein Team zeigen, dass die Blutzuckerwerte nach erfolgreicher Parodontitis-Behandlung deutlich sinken.

Manche Forscher sehen mittlerweile sogar Demenzerkrankungen und Frühgeburten im Zusammenhang mit einem schlechten Gebiss, auch wenn die Belege hierfür noch nicht ausreichend sind.

Besonders gefährdet für Folgekrankheiten sind Patienten, deren Körper bereits geschwächt ist. "Raucher und Diabetiker haben häufiger entzündetes Zahnfleisch oder Parodontitis, und entsprechend ist der Bakterienspiegel im Blut erhöht", sagt Kniha. Bei Patienten mit künstlichen Herzklappen oder angeborenen Herzfehlern können die Bakterien außerdem zu einer Entzündung der Herzinnenhaut führen. Deshalb bekommen sie vor zahnärztlichen Eingriffen ein Antibiotikum verabreicht.

Letztlich bedingen sich die Krankheiten in diesem multikausalen Geschehen gegenseitig", so Kniha. Um so wichtiger sei es, den ganzen Körper in Ordnung zu halten, bei den Zähnen angefangen. "Die professionelle Zahnsteinentfernung führt zu weniger Entzündungen und das wiederum zu weniger kardiovaskulären Krankheiten", ergänzt Chen. Allein in Deutschland starben im Jahr 2010 mehr als 350.000 Personen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Damit zählten sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mit 41,1 Prozent zu den häufigsten Todesursachen, weit vor bösartigen Tumoren.

Womöglich kommen daher künftig ganz neue Aufgaben auf den Zahnarzt zu. "Wir sehen die Hälfte der Bevölkerung zweimal im Jahr und oft früher als andere Arztgruppen. Deshalb hätten wir die Möglichkeit, die Patienten aufzuklären und vielleicht sogar eine kleine Rundum-Vorsorge mit Blutdruckmessung und Blutzuckerbestimmung durchzuführen", sagt Kocher.

Genau das fordern nun auch Mediziner der Universität New York im American Journal of Public Health: In einer aktuellen Studie zeigen sie, dass in den USA rund 20 Millionen Menschen regelmäßig zum Zahnarzt gehen, den Allgemeinarzt aber meiden.

© SZ vom 16.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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