Forensik:Wie private Ahnenforscher halfen, einen Serienmörder zu jagen

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Hausdurchsuchung bei dem Verdächtigen Joseph James DeAngelo. (Foto: AP)
  • Dem Serienmörder werden zwölf Morde und mindestens 50 Vergewaltigungen zugeschrieben.
  • Eine 37 Jahre alte Erbgutprobe von einem der Tatorte half den Polizisten.
  • Sie rekonstruierten den Stammbaum des mutmaßlichen Täters zurück bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.

Von Hanno Charisius

Als die Ermittler vor seiner Tür standen, war Joseph DeAngelo so perplex, dass ihm nur der Braten einfiel, den er im Ofen hatte. Darum müsse er sich nun nicht mehr sorgen, sagten die Polizisten dem 72-Jährigen. Dann nahmen sie den mutmaßlichen "Golden State Killer" fest.

Die Bezirksstaatsanwaltschaft von Sacramento, Kalifornien, klagt DeAngelo an, zwei Menschen ermordet zu haben, im Februar 1978. Er steht zudem im Verdacht, zwischen 1976 und 1986 weitere zehn Menschen getötet und mindestens 50 Frauen vergewaltigt zu haben. Zusätzlich könnten 120 Einbrüche auf sein Konto gehen.

Nicht Telefon- oder E-Mail-Überwachung hat die Fahnder nach 30 Jahren auf die Spur DeAngelos gebracht. Es gab auch keine Tipps aus der Nachbarschaft, keinen Fingerabdruck. Entfernte Verwandte haben ihn verraten - wohl ohne es zu ahnen.

Die Ermittler hatten sich in einer Datenbank umgeschaut, in der private Ahnenforscher ihre Erbgutinformationen hinterlegen, um über die genetische Ähnlichkeit Angehörige zu finden. Unter den vielen Hunderttausend hinterlegten Profilen waren die Polizisten auf eines gestoßen, das dem sichergestellten Genmaterial von einem der alten Tatorte sehr ähnelte. So sehr, dass es wahrscheinlich zu einem Verwandten des Täters gehörte.

Man gibt nie nur seine Erbinformationen preis, sondern auch die von Verwandten

Von diesem Profil ausgehend, rekonstruierten die Fahnder zunächst den Stammbaum der Familie. Mithilfe ihrer Recherchen in Archiven von Behörden und Zeitungen fanden sie den letzten gemeinsamen Vorfahren des Täters und des Genprofils in der Datenbank. Von dort aus führte sie der Weg schließlich zu DeAngelo in Citrus Heights, einer Stadt nordöstlich von San Francisco, deren wesentliche Attraktionen ein botanischer Garten und eine Shoppingmall sind.

Was vermutlich eine bis dahin ungelöste Serie von Gewaltverbrechen aufklärte, bereitet einigen Experten Unbehagen. Nicht nur, weil die Kunden von Ahnen-Datenbanken einer solchen Nutzung ihrer Erbgutinformationen niemals zugestimmt haben. Wie zweischneidig die Sache ist, spiegelt sich auch in den gemischten Reaktionen von Nutzern solcher genealogischen Webseiten.

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Natürlich beklagt niemand, dass mutmaßlich ein brutaler Serienverbrecher gefasst wurde. Doch macht der Fall vielen klar, dass sie nicht nur ihre eigenen Erbanlagen im Internet preisgeben, sondern auch die ihrer Verwandten. Und wer weiß, was sich künftig noch alles aus den Genen herauslesen lassen wird?

Gedmatch.com heißt die Website, auf der das Ermittlerteam um Cheffahnder Paul Holes fündig wurde. Dort können Nutzer ihre Genomdaten hochladen, die sie bei entsprechenden Dienstleistungsunternehmen haben entziffern lassen. Mehr als 600 000 Menschen haben das getan, darunter auch "ein Cousin dritten, vierten oder fünften Grades oder noch weiter entfernt" von DeAngelo, wie Holes der Zeitung Los Angeles Times sagte - eine Angabe, die von Genetikern, die nicht an dem Fall beteiligt waren, bezweifelt wird. Eine so weite Verwandtschaft würde den verdächtigen Personenkreis unübersichtlich groß machen.

Die Behörden rekonstruierten den Stammbaum des Verdächtigen bis zu dessen Ur-Ur-Ur-Großeltern

Holes jedoch erklärt, sie hätten die Verwandtschaftslinie des Verdächtigen sogar bis zu dessen Ur-Ur-Ur-Großeltern Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt. Seit Anfang dieses Jahres sei klar gewesen, aus welcher Familie der Verdächtige stamme. Im Familienstammbaum sei dann nach dem Verdächtigen gesucht worden, sagt Holes, der seit Jahren mit dem Fall befasst war. Erst vor sechs Wochen stießen die Ermittler auf DeAngelo.

Die Beamten nutzten einfach die Suchfunktion des Gedmatch-Dienstes. Vor 30 bis 40 Jahren, als die Taten des Golden State Killers Kalifornien erschütterten, konnte die Forensik noch keine Erbgutspuren auswerten. Doch bereits vor 37 Jahren wurden bei Vergewaltigungsopfern biologische Spuren sichergestellt, die von dem Täter stammen könnten. Eine dieser Proben lieferte jetzt den Ermittlern die notwendige Erbgutmenge, um daraus ein genetisches Profil des Täters für die Verwandtschaftssuchmaschine zu erstellen.

Die Betreiber von Gedmatch wussten nach eigenen Angaben nichts von der Polizeiaktion. Im Kleingedruckten auf ihrer Website schließen sie jedoch eine "andere Nutzung" der Daten als zur Ahnenforschung nicht aus. In einer Botschaft an die Kunden gingen die Betreiber auf die Polizeiarbeit ein und legten nahe, bestehende Accounts zu löschen, so man mit der eventuellen Nutzung durch die Behörden nicht einverstanden sei.

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Von Hanno Charisius

Die vagen Angaben auf verschiedenen Webseiten zu anderweitiger Nutzung der Genomdaten haben die beiden Ethikerinnen Emilia Niemiec und Heidi Carmen Howard bereits vor zwei Jahren kritisiert. Sie hatten herausgefunden, dass manche Unternehmen die Erbgutdaten ihrer Kunden für nicht genauer genannte Forschungszwecke verwenden oder sie an Dritte weiterreichen. Die Nutzer würden nicht ausreichend aufgeklärt, schrieben die Forscherinnen im Fachblatt Applied & Translational Genomics. Sie halten es für möglich, dass deshalb "die Einverständniserklärungen der Nutzer ungültig sind".

Nach der Festnahme des Verdächtigen und nachdem die ersten Details der Fahndung bekannt geworden waren, distanzierten sich drei der größten amerikanischen Genanalyseanbieter, 23andMe, Family Tree DNA und Ancestry, von dem Fall. Zusammengenommen haben sie weit mehr als 15 Millionen Kundinnen und Kunden. In Europa ist diese Art der Ahnenforschung noch nicht so verbreitet. Gelegentlich bitten die Behörden diese Unternehmen um Auskünfte. Doch soweit bislang bekannt, gab es nur in einem Fall vor einigen Jahren eine Kooperation. Und damals lag ein richterlicher Beschluss vor, die Erbgutdaten aus einer kommerziellen Datenbank abzufragen.

Vorausgesetzt, DeAngelo ist tatsächlich der seit Jahrzehnten gesuchte Golden State Killer, wird dessen Privatsphäre wahrscheinlich kaum jemanden kümmern. Der Fall könnte als leuchtendes Beispiel für die kriminalistische Nutzung öffentlich zugänglicher Erbgutdatenbanken in die Lehrbücher eingehen.

Dass das nicht immer klappt, zeigt jedoch ein anderes Beispiel, das mit demselben Fall verknüpft ist. Im vergangenen Jahr hatten die kalifornischen Fahnder die Polizei in Oregon City um Amtshilfe gebeten. Recherchen in einer anderen Erbgutdatenbank hatten zu einem 73 Jahre alten Mann in Oregon mit einem seltenen genetischen Merkmal geführt, berichtete die Nachrichtenagentur AP am vergangenen Samstag. Auf richterliche Anordnung hin nahm die dortige Polizei eine DNA-Probe von dem Mann. Sie stimmte aber nicht mit den Spuren des Golden State Killers überein.

Solche "falsch positiven" Treffer gibt es oft in der Ahnenkunde. Natürlich könnten auch Hacker die Daten in Genbanken ändern, um den Verdacht auf andere zu lenken. "Und es schleichen sich bei der Erbgutanalyse immer Fehler ein", sagt die Anthropologin Amade M'charek, die an der University of Amsterdam den Studiengang Forensische Wissenschaft gegründet hat. Falsche Verdächtigungen seien das größte Problem bei dieser Art der kriminalistischen Recherche. "Die Polizei muss sehr vorsichtig sein mit den Schlüssen, die sie aus Geninformationen zieht."

Einmal überführte ein Stück Pizza einen Verdächtigen

Um eine Panne wie in Oregon zu vermeiden, hatten die Ermittler vor ihrem Zugriff auf DeAngelo bereits das Erbgut des Verdächtigen untersucht, ohne dass dieser etwas davon mitbekommen hatte. Vielleicht fischten sie eine Zahnbürste aus dem Müll oder fanden DNA an einer ausgetrunkenen Limonadendose. Wie genau sie an die DNA gekommen sind, wollen die Ermittler nicht verraten.

In einem anderen Fall sammelte ein als Kellner getarnter Polizist in einem Restaurant das vom Verdächtigen benutzte Besteck und ein angebissenes Stück Pizza ein. Das genügte den forensischen Genetikern, um Erbgutspuren zu finden, die zum gesuchten Mann passten, ebenfalls ein Serienmörder im Ruhestand.

Hätte die Polizei darauf verzichten müssen, mit einem gefälschten Profil in der Erbgutdatenbank zu recherchieren, aus ethischen Bedenken und um falsche Verdächtigungen auszuschließen? "Das hätten wir sicher auch nicht richtig gefunden", sagt Amade M'charek, "wir wollen, dass die Polizei solche Verbrechen aufklärt, und hätten die Ermittler es nicht gemacht, würde man es ihnen wahrscheinlich irgendwann vorwerfen." Der Gesellschaft müsse jedoch klar sein, welche Konsequenzen die neuen Technologien mit sich brächten. Und dabei denkt sie nicht einmal unbedingt an die irre Idee einer genetischen Vorratsdatenspeicherung aller Bürger, um die Polizeiarbeit zu erleichtern.

"Einen sicheren Weg für Familienforschungsseiten gibt es nicht"

"Wir werden die Menschen nicht davon abhalten, die neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen", sagt M'charek. Deshalb müsse ihnen klargemacht werden, was für Folgen das haben könne. In den Gendaten stecken nicht nur Hinweise auf Verwandtschaftsverhältnisse, sondern auch Informationen über Krankheitsrisiken und psychische Dispositionen. All das gibt man preis, wenn man seine Genominformationen in Datenbanken hinterlegt. Und nicht nur von sich selbst, sondern auch von den Angehörigen.

"Einen sicheren Weg für Familienforschungsseiten gibt es nicht", sagt Thilo Weichert, der bis 2015 Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein war. "Es gibt aber Vorkehrungen. So sollte eine pseudonyme Veröffentlichung selbstverständlich sein." Auch sollte man die Nutzungsbedingungen sehr genau studieren.

Wie auch bei anderen Online-Diensten bleibt man nicht immer in vollständigem Besitz seiner Daten, sondern gibt sie an andere weiter, ohne zu wissen, was dann damit passiert. Im Umgang mit Facebook und anderen sozialen Netzwerken haben sich die Nutzer bereits dran gewöhnt, beziehungsweise haben es verdrängt. Bei der familiären DNA gäbe es noch triftigere Gründe, Vorsicht walten zu lassen.

Immerhin macht die Website Gedmatch kein Geheimnis aus den Datenschutzproblemen: "Wenn Sie wirklich absolute Privatsphäre und Sicherheit brauchen, müssen wir Sie bitten, keine Daten bei Gedmatch hochzuladen. Falls Sie das bereits getan haben, löschen Sie sie bitte."

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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