Schnelle Evolution:Eidechsen im Windkanal

Lesezeit: 2 min

Eidechse während eines simulierten Hurrikans. (Foto: Colin M. Donihue)
  • Durch zwei Extremwetter-Ereignisse hat eine Eidechsenart in der Karibik in nur zwei Jahren stark ihr Aussehen verändert.
  • Forscher gehen davon aus, dass auch andere Wetterphänomene wie Dürren die Evolution von Tieren oder Pflanzen beschleunigen.

Von Tina Baier

Mit dem Begriff "Evolution" verbindet man normalerweise einen langsamen, Jahrmillionen dauernden Prozess, in dem sich beispielsweise der Mensch aus dem Affen entwickelt hat. Doch bei einer kleinen Eidechsenart, die auf Büschen und Bäumen in der Karibik lebt, läuft die Evolution viel schneller und wie im Zeitraffer ab. Auslöser für die rasanten Veränderungen im Aussehen der Tiere sind Hurrikane, wie ein internationales Forscherteam jetzt in der Zeitschrift PNAS berichtet.

Im Jahr 2017 reiste der Biologe Colin Donihue von der Washington University auf die karibischen Turks- und Caicos-Inseln, um dort den Bestand von Eidechsen der Art Anolis scriptus zu erfassen. Wenige Tage, nachdem er seine Arbeit beendet hatte und abgereist war, fegte Hurrikan Irma über die Inseln, zwei Wochen später folgte Maria. Als Donihue mit seinem Team kurz darauf zurückkehrte, um zu sehen, wie es seinen Forschungsobjekten ging, gab es auf beiden Inseln nur noch wenige Eidechsen. Die Biologen fingen einige der Überlebenden ein und untersuchten sie. Sofort fiel ihnen auf, dass die Tiere im Schnitt größere und griffigere Haftpolster an den Zehen hatten, als die Population, die vor den Stürmen auf den Inseln lebte. Die Haftpolster sind dazu da, dass sich die Tiere an Zweigen "festkleben" und nicht herunterfallen. Eine plausible Erklärung schien deshalb zu sein, dass es Individuen mit kleinen Haftpolstern schlicht weggeweht hatte, weil sie sich nicht so gut festklammern konnten.

Die Füße lassen sogar bei Windgeschwindigkeiten von 170 Stundenkilometern nicht los

Um ihre Theorie zu überprüfen und zu untersuchen, wie sich die Eidechsen bei einem Sturm überhaupt verhalten, machten die Wissenschaftler ein einfaches, aber spektakuläres Experiment: Im Labor installierten sie einen starken Laubbläser, der auf eine Stange gerichtet war, auf die sie jeweils eine Eidechse setzten. Dann schalteten sie den Laubbläser an. Aufnahmen des Experiments zeigen, dass es den Tieren bei geringen Windgeschwindigkeiten noch gelingt, sich mit Vorder- und Hinterfüßen an der Stange festzuhalten. Wird der Wind stärker, lösen sich die Hinterfüße, der Körper flattert wild im Wind, aber die Vorderfüße lassen sogar bei Windgeschwindigkeiten von 170 Kilometern pro Stunde nicht los. Wie lange die Tiere durchhielten, hing von der Größe der Haftpolster an den Zehen ab, berichten die Forscher, die betonen, dass bei ihren Experimenten keine Eidechsen zu Schaden kamen. Es war also wahrscheinlich, dass die beiden Stürme Irma und Maria auf den Inseln diejenigen Eidechsen begünstigt hatten, die zufällig größere Haftpolster an den Zehen hatten und deshalb nicht fortgeweht wurden.

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Doch hatten die Stürme das Aussehen von Anolis scriptus dauerhaft verändert und damit Einfluss auf die Evolution der Eidechsen genommen? Um das herauszufinden, reisten die Forscher 18 Monate nach Maria ein drittes Mal in die Karibik, um die Eidechsenpopulation auf Turks und Caicos zu untersuchen. Inzwischen war eine neue Generation geboren worden und die spannende Frage war, ob die Hurrikan-Überlebenden ihre großen Haftpolster an den Nachwuchs vererbt hatten. Das war tatsächlich der Fall. Nur zwei Extremwetter-Ereignisse hatten also in einem atemberaubenden Tempo von nicht einmal zwei Jahren das Aussehen der Eidechsen verändert. Um ganz sicher zu gehen, vermaß Donihue mit seinem Team anhand von Fotos aus Naturkundemuseen zudem die Füße von 188 verschiedenen Eidechsenarten und setzte sie in Relation zu Wetterdaten, aus denen die Häufigkeit von Stürmen in den jeweiligen Lebensräumen der Tiere hervorging. Der Zusammenhang war eindeutig: Je sturmgebeutelter eine Region, umso größer die Haftpolster der dort lebenden Spezies. Die Forscher gehen davon aus, dass auch andere Extremwetter-Ereignisse wie Dürren die Evolution von Tieren oder Pflanzen beeinflussen.

© SZ vom 30.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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