Deutscher Astronaut Alexander Gerst:Überleben bei 28.000 km/h

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Der Druck fällt plötzlich ab, der Bordcomputer streikt: In Russland trainiert der deutsche Astronaut Alexander Gerst für seine Reise ins All unter extremen Bedingungen. Doch die härteste Prüfung gilt es außerhalb des Simulators zu bestehen.

Von Alexander Stirn

Probleme, nichts als Probleme. Seinen Rückflug von der Internationalen Raumstation ISS hat sich der deutsche Astronaut Alexander Gerst ganz anders vorgestellt. Ruhiger, weniger kompliziert. Doch erst fällt der Druck im Wohnmodul seiner Sojus-Kapsel ab, dann lässt sich ein Ventil nicht öffnen und nun zickt auch noch das Triebwerk des Raumschiffs. Es verspricht, ein ruppiger Ritt zurück zur Erde zu werden.

Zum Glück für Gerst liegen noch keine 400 Kilometer zwischen der Sojus und dem Erdboden, sondern lediglich sechs Treppenstufen. Sie sind mit rotem Teppich ausgeschlagen und führen hinauf zum Sojus-Simulator des Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrums unweit von Moskau. Hier, im sogenannten Sternenstädtchen, steht ein detailgetreuer Nachbau der engen Raumkapsel und des kugeligen Wohnmoduls. Und hier erhält Alexander Gerst den letzten Schliff für seinen ersten Start ins All, wo er sechs Monate lang bleiben soll. Ende Mai dieses Jahres soll es losgehen.

Oder, wie Gerst es ausdrückt: "Noch 110 Tage."

Kurz vor neun Uhr hat sein Arbeitstag an diesem kalten Wintermorgen begonnen, wie immer, wenn der 37-Jährige in Russland trainiert. Gerst hat den blauen Overall, den die Astronauten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa tragen, gegen einen russischen Sokol-Raumanzug getauscht - einen weißblauen Druckanzug für Start und Landung, der insbesondere am Gesäß nicht wirklich körperbetont geschnitten ist. Er hat sich in den rechten Sitz der Sojus gequetscht, in eine extra an seinen Rücken angepasste Sitzschale. Er hat Knieschützer angelegt. Er hat mit seinen beiden Kollegen, dem russischen Kommandanten Maxim Surajew und dem US-Astronauten Reid Wiseman, gescherzt.

Niemals die Nerven verlieren

Allerdings nicht lange. Schon nach fünf Minuten, die Crew ist gerade dabei, von der Raumstation abzulegen, tritt der erste Fehler auf. Nicht Schlimmes, nichts Lebensbedrohliches, aber doch etwas, das die Mannschaft aus dem gewohnten Trott bringt - gefolgt von gleich dem nächsten Problem. Es ist das typische Prozedere hier im Sternenstädtchen, wo die Russen seit mehr als 50 Jahren ihre Kosmonauten drillen. Die Raumfahrer sollen langsam an ihre Grenzen gebracht werden. Sie sollen lernen, mit Fehlern klarzukommen, die gehäuft und in den unpassendsten Momenten auftreten können. Sie müssen Prioritäten setzen. Sie müssen Probleme ruhig, schnell und geordnet abarbeiten. Sie dürfen niemals die Nerven verlieren.

"Am Anfang des Trainings ist man zeitlich oft überlastet, gerade wenn mehrere Fehler in schneller Reihenfolge eingespielt werden", sagt Gerst. Mit zunehmender Erfahrung wird dann klar, worauf vorrangig zu achten ist, welches Crewmitglied sich um welches Problem kümmert und wen man im Notfall darauf hinweisen muss, ein defektes Ventil zu schließen.

Gerst, der gelernte Geophysiker, hat aufgehört zu zählen, wie oft er schon im Simulator gelandet ist. Vielleicht 30 Mal, vielleicht 40 Mal, vielleicht schon viel öfter. Die Crew ist mittlerweile eingespielt, die Aufgaben sind klar verteilt: Surajew und Wiseman, beide ausgebildete Militärpiloten, kümmern sich um die Flugsysteme, um die Navigation, um den Bordcomputer. Gerst, von Haus aus Forscher, behält die vielen Parameter des Lebenserhaltungssystems im Blick.

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