Ähnlich wie Menschen haben Delfine ein komplexes Sozialleben. Sie haben Freunde, mit denen sie oft Flosse an Flosse schwimmen, aber auch Feinde, die sie nicht ausstehen können. Außerdem ist jedes Tier Mitglied in verschiedenen Gruppen, die sich zu bestimmten Anlässen treffen. So wie ein Mensch, der (zumindest in Nicht-Pandemie-Zeiten) morgens mit seiner Familie frühstückt, vormittags seine Klassenkameraden trifft, nachmittags mit der Fußballmannschaft trainiert und abends zu seiner Familie zurückkehrt.
"Große Tümmler bilden die komplexesten Gemeinschaften im Tierreich - Menschen ausgenommen", sagt die Verhaltensbiologin Stephanie King von der britischen University of Bristol. Doch nach welchen Kriterien bilden Delfine, die ja weder zur Schule gehen noch Fußball spielen, diese Gruppen? In einer Studie im Wissenschaftsjournal Nature Communications beschreibt King gemeinsam mit Kollegen von der Universität Zürich und der University of Massachusetts, dass die Fähigkeit zur Kooperation dabei eine wichtige Rolle spielt. Die Untersuchung basiert auf 30 Jahren Beobachtung von Großen Tümmlern in der Shark Bay an der Westküste Australiens und zeigt, dass die Delfine sehr genau wissen, mit welchen Tieren sie in der Vergangenheit gut zusammengearbeitet haben und wer ihnen früher einmal geholfen hat.
Intelligenz bei Tieren:Delfine jagen mit Schneckenhäusern
Delfine benutzen leere Gehäuse als Werkzeug. Wie sie damit umgehen müssen, lernen sie von gleichaltrigen Artgenossen.
Jeder Delfin hat einen charakteristischen Pfiff, an dem er erkennbar ist
Das erfordert gleich mehrere Fähigkeiten, die auch Menschen brauchen, um sich in ihren sozialen Netzwerken zurechtzufinden. Grundvoraussetzung ist, dass sich Delfine wie Menschen gegenseitig als Individuen wahrnehmen. Das dass der Fall ist, weiß man spätestens seit der Entdeckung, dass jeder Delfin einen charakteristischen Pfiff hat, eine Art Namen, an dem die Tiere einander erkennen. Dieser Pfiff bleibt das ganze Leben lang gleich und ist unter anderem Teil eines Begrüßungsrufs, wenn zwei Delfine sich treffen.
Um sich zu erinnern, wer einem wann geholfen hat, sei außerdem ein gutes Langzeitgedächtnis erforderlich, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Untersuchung. Schon länger ist bekannt, dass Delfine Artgenossen, mit denen sie in der Kindheit zu tun hatten, auch nach jahrelanger Trennung wiedererkennen. Das macht es wahrscheinlich, dass sich die Tiere auch an Ereignisse in der Vergangenheit erinnern.
Für ihre Untersuchung kombinierten die Verhaltensforscher Daten, die sie in 30 Jahren Delfinbeobachtung gesammelt hatten, mit Playback-Experimenten unter Wasser, in denen sie einzelnen Tieren die charakteristischen Pfiffe ihrer Artgenossen vorspielten. Aufgrund der langen Beobachtungszeit konnten die Forscher die einzelnen Tiere unterscheiden und wussten, zu welchen Gruppen sie gehörten. "Wir ließen Drohnen über den Delfin-Gruppen fliegen, die aufzeichneten, wie die Tiere auf die Töne reagierten", sagt Simon Allen von der University of Bristol, der an der Studie beteiligt war.
Das Ergebnis der 40 Experimente mit 14 männlichen Delfinen war eindeutig: Immer wenn der Playback-Pfiff von einem Tier stammte, das dem Delfin in der Vergangenheit geholfen hatte, schwamm er begeistert auf das Geräusch zu; auf Pfiffe weniger hilfsbereiter Artgenossen reagierten die Tiere dagegen kaum, stoppten ab, oder schwammen sogar weg.
Unter Hilfe verstehen die männlichen Großen Tümmler in der Shark Bay vor allem Unterstützung dabei, möglichst viele Weibchen zu ergattern. Für dieses Ziel schließen sie sich in einem komplexen Netzwerk aus verschiedenen Gruppen zusammen, deren Zusammensetzung im Lauf der Zeit variiert.
Auf der untersten Stufe dieses Systems kooperieren zwei oder drei männliche Delfine, die nicht miteinander verwandt sind, um Gruppen paarungsbereiter Weibchen zusammenzutreiben. Mehrere dieser Duos und Trios arbeiten dann in größeren Teams von bis zu 14 Delfinen zusammen, wenn es darum geht, Weibchen aus anderen Gruppen zu rauben oder gegen andere Männchen zu verteidigen. "Diese Teams können jahrzehntelang bestehen bleiben und bilden den Kern der sozialen Organisation männlicher Delfine", schreiben die Forscher. Manchmal schließen sich dann auch noch zwei oder mehrere der Teams zu einer Großgruppe zusammen, um sich gegen andere Verbände aus vielen Tieren zu unterstützen.
Das Konzept der Teambildung mit bewährten Kooperationspartnern habe wahrscheinlich auch eine Rolle in der Evolution des Menschen gespielt, sagt King. Der Teamgeist des Menschen ist legendär und gilt vielen Anthropologen als diejenige Eigenschaft, die ihn von allen anderen Tieren unterscheidet.