Am Anfang standen eine gute Idee und löbliche Ziele: Der vom Smog heimgesuchte Himmel über Nordchina sollte in diesem Winter ein wenig blauer werden, und das Volk in der Folge die Regierung preisen. Am Ende aber standen Chaos und Bürgerzorn, weil so einiges schieflief. Der Apparat ließ das Volk buchstäblich im Kalten sitzen und agierte dazu noch recht gnadenlos.
Chinas Regierung versucht seit einigen Jahren mit allerlei Maßnahmen, den Smog im Norden des Landes zu reduzieren. Bislang ohne allzu großen Erfolg. Vor allem, weil das Land weiter abhängig ist vom größten Luftverschmutzer, der Kohle: China verbrennt noch immer mehr davon als der Rest der Welt zusammen. Im Februar dann stellte das Umweltministerium eine Initiative vor, mit der bis 31. Oktober mehr als drei Millionen Haushalte beim Heizen und Kochen von Kohle auf Gas umsteigen sollten. In 28 Städten - Peking inklusive - sollte die Zahl der Tage mit "schwerer Verschmutzung" um zehn bis 25 Prozent reduziert werden.
Unterricht gibt es teils im Freien: In der Wintersonne ist es wärmer als im Klassenzimmer
Der erste Teil des Plans klappte wunderbar: In den betroffenen Regionen rückten im Sommer und Herbst die Behörden an, und bauten Kohleöfen und -boiler ab. Wie sich nun aber zeigt, hakt es beim zweiten Teil: Bei vielen der betroffenen Familien in den Provinzen Hebei, Shanxi und Shaanxi kam die neue Energiequelle, das Gas, nie an. Mancherorts waren die neuen Leitungen und Geräte noch nicht aufgebaut. Dazu hatten die Behörden offenbar den Bedarf völlig unterschätzt: Teils war das Gas schlicht nicht lieferbar,teils war es Betroffenen - vor allem ärmeren Familien - viel zu teuer. Weil der November sehr kalt war, verschärfte sich die Lage. Wo es Gas gab, schossen die Preise innerhalb weniger Tage um bis zu 30 Prozent in die Höhe. Gleichzeitig fielen die Temperaturen an vielen Orten unter den Gefrierpunkt - und die Menschen saßen in Eiseskälte.
Und so las man Berichte wie jenen über zwei Dörfer nahe Zhuozhou, eine Autostunde von Peking entfernt. Dort ist gerade mal jede dritte Familie ans Gas angeschlossen, alle anderen verbrannten Holz, um die Nächte bei Minusgraden durchzustehen. Weite Verbreitung fand ein Artikel des Autors "Bruder Nachricht" im Messagingdienst Wechat, der Bilder einer Schule in einem Dorf in Shanxi zeigte. Die Kinder wurden im Freien unterrichtet: In der Wintersonne war es noch immer wärmer als drin in den kalten Räumen. "Manche Leute dort klagen, sie könnten vor Kälte nicht einschlafen", hieß es im Artikel, "während mein Problem hier in Peking ist, dass ich nicht einschlafen kann, weil die Zentralheizung hier meine Wohnung überheizt."
"Die Stimme des Volkes ist ihnen egal"
Besondere Empörung lösten bei vielen Kommentatoren Bilder von Propagandabannern in den Dörfern aus, die verkündeten: "Wer weiter Kohle verbrennt, denn stecken wir ins Gefängnis". Nutzer geißelten die Fehlplanung der Regierung, die durch den Übereifer und die Unbarmherzigkeit der lokalen Behörden verschärft wurde. "Die Stimme des Volkes ist ihnen egal", schrieb ein Nutzer auf dem Portal Sina: "Die innere Logik ihres Jobs befiehlt ihnen immer: Gehorche der Stimme von oben!" Wie stets in solchen Fällen brach sich auch Sarkasmus Bahn: "Denkt einfach an den chinesischen Traum!", schrieb einer in Anspielung an den Slogan von Parteichef Xi Jinping: "Und schon wird euch allen warm."
Wie so oft hat die Regierung mit einigen Wochen Verspätung gemerkt, dass da etwas gewaltig schiefläuft. Am Donnerstag meldete die Volkszeitung, das Ministerium habe eine Kehrtwende gemacht. In einem "Dringlichkeitsbrief" seien die Provinzregierungen angewiesen worden, wieder den Gebrauch von Kohle zu erlauben, wenn Gas noch nicht zur Verfügung steht. "Die Menschen im Winter warm zu halten, sollte unsere Priorität sein", heißt es in dem Brief. Ein Problem bleibt: "Viele unserer Kohleöfen wurden schon zerstört", zitiert das Shanghaier Portal "Sixth Tone" einen Bauern in Shanxi: "Wie sollen die Familien denn jetzt mit Kohle heizen?"