Blutegel:Vampire für die Artenvielfalt

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Ein Saola in der Provinz Bolikhamsai, Laos, 1996 (Foto: William Robichaud)

Im Dschungel Vietnams ist die Suche nach seltenen Tierarten abenteuerlich und fordernd. Jetzt bekommen die Forscher Hilfe von unerwarteter Seite: Blutegel geben gute Arten-Detektive ab.

Von Kai Althoetmar

Das Saola ist ein rätselhaftes Tier. Äußerlich ähnelt es einer Antilope, dabei handelt es sich eigentlich um ein kleines Dschungelrind, beheimatet im Grenzgebiet zwischen Laos und Vietnam. Aber was heißt schon beheimatet? Das größte Rätsel rund um das Saola nämlich lautet: Wie viele Exemplare dieser erst vor gut 20 Jahren entdeckten Art leben überhaupt noch?

Bei der Suche nach einer Antwort bekommen Wissenschaftler und Artenschützer nun ungewöhnliche Hilfe: von Blutegeln. Diese Würmer speichern in ihrem Magen monatelang die DNA all ihrer Wirte, deren Blut sie angezapft haben. Die winzigen Vampire der Wälder haften an allen Warmblütern an, die durch die Tropen stapfen. So können sie, einmal eingesammelt und im Labor untersucht, Auskunft geben, wo in den Tropen welches Tier heimisch ist. Die Blutegel könnten, so hoffen Forscher, nicht nur Klarheit über den Verbleib des Saolas bringen, sondern zum Beispiel auch über den des indochinesischen Tigers und anderer gefährdeter Spezies. Der WWF Vietnam setzt Blutegel daher nun erstmals großflächig zur Arten-Inventur ein.

Im Blut der Egel finden Forscher wertvolle Fremd-DNA

Erstmals berichteten Wissenschaftler im Jahr 2012 von der ungewöhnlichen Methode. Forscher der Uni Kopenhagen hatten Ziegenblut an medizinische Blutegel verfüttert und anschließend die Ziegen-DNA im Magen der Egel nachgewiesen. Anschließend ließen sie in Vietnams Annamiten-Gebirge 25 Blutegel der Gattung Haemadipsa einsammeln. Im Blut von 21 der Egel fanden sie Fremd-DNA, unter anderem vom seltenen Annamitischen Streifenkaninchen. So entstand die Idee, Blutegel als kostengünstiges, effektives und standardisiertes Verfahren einzusetzen, um in Tropenwäldern die noch vorhandene Fauna zu ermitteln.

In Vietnam erprobt der WWF dies derzeit. In 710 Blutegeln aus der Wildnis der Annamiten waren Erbgutspuren der verschiedensten Tiere zu finden: von Allerweltsarten wie Kuh, Wasserbüffel, Hausschwein, Kaninchen und Ratte - und dem Menschen -, aber auch etwa vom Sambarhirsch, Rhesusaffe und Bärenmakak, berichtet Anh Le Thuy. Sie leitet beim WWF Vietnam den Bereich Zentrale Annamiten.

Die ermittelte Fremd-DNA gibt damit einen kleinen Querschnitt der Tierwelt Indochinas wieder. Nachgewiesen wurden in den Egeln auch Spuren vom Kurzschwanz-Stachelschwein, Indischen Muntjak, Chinesischen Sonnendachs und Kleinen Mungo, von der Hoary-Bambusratte und der Weißbauchratte, dem Chinesischen Schuppentier, dem Pallashörnchen, und dem ziegenartigen Südlichen Serau. Bloß das Saola hatte keine Blutprobe gegeben.

Zumindest in den Tropen und Subtropen, wo Blutegel omnipräsent sind, eignen sie sich gut als Arten-Detektive. Die Würmer docken an fast allem an, was durch Wald und Wiese wandert, selbst Vögel verschmähen sie als Wirt nicht. "Wir konnten auf diese Weise bedrohte Arten nachweisen, wo andere Methoden nicht erfolgreich waren", sagt Anh Le Thuy.

Die neue Methode lässt sich weltweit in den Tropen anwenden - vom Amazonas bis zu den Annamiten. Zudem brauchen Wildhüter keine großen Kenntnisse, um die Tiere für die Forschung zu sammeln, betont die Forstwissenschaftlerin.

Nachteilig sei, dass die Egel sich in den Sommermonaten rar machten. Auch vor falschen Umkehrschlüssen müssen sich Forscher hüten: Wird eine bestimmte Tierart nicht via Blutegel nachgewiesen, heißt das noch nicht, dass sie in der untersuchten Gegend nicht vorkommt. Vor allem bei seltenen Primaten, die meist in den Bäumen leben, wird der Nachweis durch die am Boden lebenden Blutegel schwieriger. Kamerafallen sind dann eine sinnvolle Ergänzung, um die regionale Fauna zu bestimmen.

Analysieren ließ der WWF die Blutegel-Proben unter anderem vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen. In öffentlich zugänglichen Datenbanken finden sich die DNA-Sequenzen von fast jeder Tierart. "Wir würden aus den vietnamesischen Blutegel-Proben praktisch jedes Tier herausfinden", sagt der DPZ-Genetiker Christian Roos. Maximal drei Monate hält sich Fremd-DNA im Magen des Egels, sagt Roos: "In den ersten zwei Wochen sind es noch 90 Prozent, nach drei Monaten nur noch zwei bis fünf Prozent." Genug Zeit, um die trägen Egel in den Tropen aufzulesen und nach Göttingen zu transportieren.

© SZ vom 14.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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