Ein liebliches Lied? Von wegen. Kaum hörte das Vogelweibchen den Gesang seiner Artgenossin aus dem Lautsprecher, konterte es mit enormer Aggressivität und schmetterte der Konkurrentin ein Kriegslied entgegen. Die Hauszaunkönigin wollte klarstellen, wer hier die Chefin ist. Ob sie Erfolg hatte?
Mit ihrem Verhalten erschütterte sie auf jeden Fall vermeintliche Gewissheiten - die über friedfertige Weibchen. So stehen weibliche Singvögel im Ruf, all ihre Energie in die Aufzucht der Jungen zu stecken. Singen höre man sie nur im Liebesduett mit ihrem Partner, keinesfalls aber wie die Männchen in kämpferischer Absicht. Für Zank und Prahlerei bleibe Weibchen weder Zeit noch Energie. So sieht es die Rollenverteilung vor, die der Mensch in der Vogel- und übrigen Tierwelt ausgemacht haben will. Doch die Weibchen des Hauszaunkönigs halten sich nicht daran, spielt man ihnen Lieder einer Geschlechtsgenossin vor, reagieren sie mit aggressivem Gegengesang (Animal Behaviour, Bd. 113, S. 39, 2016).
Berichte von angriffslustigen, rivalisierenden, zuweilen gar tötungswilligen Weibchen gibt es auch von vielen anderen Arten. Sie alle entlarven die Geschichte vom "friedlichen Geschlecht" als Mythos: Kampf und Rivalitäten sind kein reines Männerding. Auch Weibchen verhalten sich aggressiv gegenüber ihresgleichen, stechen sich im Wettbewerb um Reviere, Futter, Partner und den sozialen Status aus. "Männliche und weibliche Aggressivität unterscheidet sich quantitativ, aber nicht qualitativ", sagt der Zoologe Tim Clutton-Brock von der University of Cambridge. Mit Kollegen hat er in einer Schwerpunktausgabe der Philosophical Transactions of the Royal Society B gezeigt, wie wenig die Zweiteilung in kompetitive, aggressive Männchen auf der einen und wählerische, friedfertige Weibchen auf der anderen Seite der Realität entspricht.
Höhere Angriffslust als bei den Männchen
Angesichts der in der Fachzeitschrift zusammengetragenen Beispiele überrascht es eher, wie es überhaupt zu der Mär vom friedlichen Geschlecht kommen konnte. Zahlreiche Spezies fallen durch Weibchen auf, deren Angriffslust die der Männchen überragt. Weibliche Goldhamster, Tüpfelhyänen und Kattas (eine Lemuren-Art) zum Beispiel kennen wenig Erbarmen mit ihresgleichen. Den Weibchen der Springspinne Phidippus clarus haben Biologen der University of California gar eine "Desperado-Kampftaktik" bescheinigt: Geraten zwei Rivalinnen aneinander, ist am Ende meistens eine tot. Ihre männlichen Pendants kämpfen ritualisierter und mit weniger Verletzungsfolgen.
Auch wenn es nicht gleich um den direkten, potenziell tödlichen Kampf geht, zeigen Weibchen oft ausgeprägtes Dominanz- und Konkurrenzgebaren. "In vielen solitär oder monogam lebenden Spezies können Weibchen in Territorialstreitereien ebenso aggressiv sein wie Männchen", schreiben Clutton-Brock und seine französische Kollegin Elise Huchard. Doch wer denkt bei dem Ausdruck "sein Revier markieren" schon an Weibchen? Zu Unrecht wird dieses Verhalten häufig nur Männchen zugeschrieben.
Dabei zeigt nicht nur das Beispiel der aggressiv singenden Hauszaunköniginnen, wie viel Energie auch Weibchen in die Verteidigung ihres Territoriums investieren. Weibliche Wiesenwühlmäuse und Zebramangusten etwa setzen zahlreiche Duftmarken, um ihre Revieransprüche durchzusetzen. Selbst die akrobatischen Verrenkungen, die einige Männchen für besonders effektive Geruchsmarkierungen in Kauf nehmen, finden sich zuweilen beim anderen Geschlecht. Die Weibchen des südamerikanischen Waldhundes schwingen sich fast bis zum Handstand auf, um möglichst weit oben am Baum markieren zu können. Je höher ein Waldhund seinen Duft verbreitet, desto angesehener ist er - oder sie.