Von den Materialklassikern Kunststoff und Metall war Charlett Wenig schnell gelangweilt. Die Industriedesignerin experimentierte für ihre Masterarbeit mit Tierknochen, fand dabei Gefallen an der Arbeit im Chemielabor und promoviert zurzeit am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam zum Thema Rinde. "Mit Rinde wird bisher kaum etwas angestellt. Oft wird sie nur zu Dämmplatten verpresst oder zum Heizen verbrannt", sagt Wenig. Dabei fallen in der Holzindustrie weltweit jedes Jahr rund 60 Millionen Tonnen Rinde an.
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Rinde besteht in der Regel aus einer inneren Bastschicht, deren Fasern Nährstoffe transportieren, und aus Borke, den abgestorbenen Bastzellen. Wie eine Haut schützt sie den Baum vor Regen, Sonne und Trockenheit. Gerbstoffe und andere pflanzeneigene Substanzen helfen bei der Abwehr von Tieren, Pilzen und Krankheitserregern. Wenig untersucht gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Materialwissenschaft, der Biophysik und dem Design Rindenproben von verschiedenen Baumarten und unterschiedlichen Standorten. Sie nimmt die Struktur, Chemie und physikalische Eigenschaften genauer unter die Lupe und setzt parallel dazu Anwendungsideen in die Praxis um.
Dafür musste das Material erst einmal geschmeidiger werden. "Baumrinde trocknet superschnell und zerbröselt dann regelrecht. Deshalb haben wir versucht, die Baumrinde zu flexibilisieren", sagt die Forscherin. Geholfen habe schließlich eine Mischung aus Wasser und pflanzlich gewonnenem Glyzerin, das sonst unter anderem Lebensmittel feucht hält. Nach mehreren Stunden in einer solchen Lösung bekamen manche Rindenproben eine Haptik "irgendwo zwischen Holz und Leder". Am besten funktionierte das Verfahren mit der sogenannten Spiegelrinde von Kiefern, wie Biologen die rötlich braune Rinde mit einer dünnen Borke am oberen Teil des Baumstamms nennen. Die Gründe dafür sind noch unklar.
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Der Prototyp sah gut aus, war aber viel zu steif
Aus der flexibilisierten Kiefernrinde fertigten Wenig und die Modedesignerin Johanna Hehemeyer-Cürten eine Jacke. Der Prototyp war sehr steif und wurde einem männlichen Model regelrecht auf den Leib geschneidert. "Die Jacke sah toll aus, aber der junge Mann konnte nicht mal die Arme heben", erzählt Wenig. Für eine geschmeidigere Version webten sie dann bandnudeldünne Rindenstreifen zu einem lederartigen Stoff, der sich nicht nur für Jacken eignet, sondern auch für Tapeten, Läufer oder Möbel. Gerade prüfen die beiden Designerinnen, ob er sich auch architektonisch nutzen lässt, als Außenhaut für Messepavillons oder Festivalzelte zum Beispiel. Selbst für die Asche verbrannter Rinden hat die Industriedesignerin Verwendungsideen. "Weil die Rinden so verschieden sind, liefern sie ein breites Farbspektrum, sodass man mit ihnen zum Beispiel Keramik oder Wolle färben kann", sagt sie.
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Für ihre Untersuchungen muss Wenig immer mal wieder in den Wald. Dort trennt sie die Rinde frisch gefällter Bäume mit einem Schäler vom Stamm, der grob an ein Stemmeisen erinnert, aber eine scharfe Kante hat. Dabei komme es auf die Technik und den richtigen Zeitpunkt an. "Der Baum muss gerade in vollem Saft stehen. Es muss also ausreichend geregnet haben", so die Forscherin. Um Rinde für Textilien in großem Stil zu ernten, müsse die Holzindustrie ihre Prozesse entsprechend anpassen. Technisch sei das aber wahrscheinlich machbar, etwa mit Maschinen, mit denen auch Holzfurniere geschnitten werden.
Zunächst möchte Wenig die Eigenschaften und das Potenzial der verschiedenen Rindenarten noch genauer untersuchen. "Das ist Grundlagenforschung, denn bisher ist nur wenig über Rinden bekannt, über ihre Quell- und Schwindeigenschaften, ihre Dichten und Oberflächenrauigkeiten", bedauert sie. Auch welcher Teil welcher Rinde besonders zugfest, druckfest oder biegsam sei, gelte es noch herauszufinden. Sie wünscht sich, dass noch mehr Forscher auf das Thema aufspringen. "Ich glaube, wir brauchen gar nicht so viele neue Hightech-Materialien. Besser wäre es, die Natur zu verstehen und dann entsprechend zu nutzen", sagt die Industriedesignerin.