Atomendlager Gorleben:Ergebnis politischer Mauschelei?

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Seit 30 Jahren wird um Gorleben gestritten wie um kein zweites Bauprojekt. Und seit anderthalb Jahren erforschen Abgeordnete, wie es zur Entscheidung für den Standort kam. Was sie feststellen, ist ernüchternd.

Michael Bauchmüller

Was genau sich zugetragen hat in jenem November 1976, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Deutschland sucht damals einen Standort für ein Atomendlager, samt Wiederaufarbeitungsanlage. Lange ist unklar, wo das sein soll.

Tief unter der Erdoberfläche sollen dereinst im Salzstock bei Gorleben Atomabfälle eingelagert werden. Doch der Standort ist umstritten. (Foto: dpa)

Doch dann ist Gorleben im Spiel, nach einem Treffen diverser Bundesminister mit Vertretern der niedersächsischen Landesregierung. "Hier gelingt es mir, Lüchow-Dannenberg als 4. Möglichkeit aufnehmen zu lassen", notiert der damalige niedersächsische Finanz- und Wirtschaftsminister Walther Leisler Kiep nach dem Treffen in seinem Tagebuch. Wenig später legt sich das niedersächsische Kabinett auf Gorleben fest, obwohl die Bundesregierung lange Vorbehalte gegen den DDR-nahen Ort hat. So nehmen die Dinge ihren Lauf.

Nun sitzt der 85-Jährige, der auch im CDU-Spendenskandal eine Rolle gespielt hatte, im rundlichen Sitzungssaal des Gorleben Untersuchungsausschusses: sauber gescheitelt, grauer Anzug, den Siegelring am kleinen Finger. Und sagt erst einmal, dass er nichts sagen kann. "Ich führe ein sehr genaues Tagebuch", sagt Kiep. "Aber heute bin ich schlecht dran, weil ich mit der Gorleben-Geschichte nichts zu tun habe."

Eintragungen zum Thema Gorleben habe er nicht vorgenommen. Und dem Treffen habe er auch nicht beigewohnt. "Ich kann mich nicht erinnern", sagt Kiep. "In meinem Alter lässt natürlich auch das Gedächtnis nach. Da verblasst vieles."

Zeugen weit jenseits des Pensionseintrittsalters, begrenztes Erinnerungsvermögen: Die Suche nach der Wahrheit Gorlebens ist schwierig. Seit anderthalb Jahren tritt der Untersuchungsausschuss am Donnerstag jeder Sitzungswoche zusammen, um Zeugen zu vernehmen: Minister, Beamte, Wissenschaftler. Sie sollen klären, unter welchen Bedingungen die Entscheidung für den Salzstock im Wendland fiel - seit 30 Jahren umstritten wie kein zweites Bauprojekt.

"Diese Arbeit ist schon wichtig, um der Demokratie in Gorleben weiterzuhelfen", sagt Grünen-Obfrau Sylvia Kotting-Uhl. Der Verdacht: Gorleben war nicht Ergebnis wissenschaftlicher Expertise, sondern politischer Mauschelei.

Das zumindest legten jene Unterlagen nahe, die bei der Gründung des Ausschusses Pate standen. 1983 hatte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt demnach Gutachten über die potentielle Eignung Gorlebens so lang abgewandelt, bis einer Erkundung des Salzstocks nichts mehr entgegenstand; kurz darauf fällte die Bundesregierung von Helmut Kohl eine entsprechende Kabinettsentscheidung. Doch mittlerweile hat sich in den rund 1800 Aktenordnern des Ausschusses noch das eine oder andere gefunden.

Etwa, dass die Bundesregierung ganz ausdrücklich keine weiteren Standorte außer Gorleben mehr prüfen wollte. Oder dass die Behörden schon früh von Gasvorkommen unter dem Salzstock wussten, diese aber nonchalant übergingen. "Es ist manchmal eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt die Linken-Abgeordnete Dorothée Menzner.

Inzwischen hat der Ausschuss das Jahr 1983 zu den Akten gelegt, es geht jetzt um die Vorauswahl durch die niedersächsische Landesregierung. Bis heute ist unklar, wie plötzlich der Standort Gorleben in die Auswahl kam.

Der Verdacht liegt nahe, dass einfach gerade die Randlage von Lüchow-Dannenberg den Ausschlag gab, weil es so dünn besiedelt war. Eine Studie, die angeblich damals schon Gorleben mit anderen Standorten verglichen hatte, ist heute unauffindbar. "Das zentrale Beweisargument ist damit ein Phantom", sagt SPD-Obfrau Ute Vogt. Schließlich hatten Befürworter des Salzstocks stets beteuert, Gorleben sei schlicht am besten geeignet gewesen.

Selbst die Union räumt mittlerweile Versäumnisse ein. "Es wäre schon damals für die Ergebnisoffenheit besser gewesen, auch an anderen Standorten obertägige Erkundungen vorzunehmen", sagt etwa Unions-Obmann Reinhard Grindel. "Aber irgendwann sollten wir uns nun auch wieder der aktuellen Politik zuwenden."

Schließlich koste so ein Ausschuss auch Steuergeld. Vorher allerdings wird die Opposition noch eine ehemalige Umweltministerin vernehmen wollen: Angela Merkel. Die befasste sich in den neunziger Jahren mit Gorleben. Und kann sich bestimmt noch erinnern.

© SZ vom 30.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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