Astronomie:Warnung vor dem großen Sonnensturm

Sonnensturm

Kleinere Sonnenstürme wie dieser Anfang September 2017 kommen relativ häufig vor. Ein Sonnen-Hurrikan könnte die Weltwirtschaft dagegen massiv beeinträchtigen und Schäden von bis zu 2,6 Billionen Dollar verursachen.

(Foto: picture alliance/NASA/GSFC/SDO)

Gegrillte Transformatoren, Nordlichter auf Kuba: Etwa alle 2000 Jahre trifft ein Sonnenhurrikan die Erde. Weite Teile des Planeten wären dann ohne Strom, die Schäden gewaltig.

Von Alexander Stirn

Wenn die Sonne rülpst, wird es auf der Erde ungemütlich. Dann schleudert der Stern, der so ruhig und harmlos am Himmel zu leuchten scheint, ohne Vorwarnung große Teile seiner Atmosphäre ins All. Dann machen sich Unmengen Strahlung und geladener Teilchen auf den Weg in die Weiten des Sonnensystems. Dann können auf der Erde Funkverbindungen abbrechen, Navigationssysteme versagen und Stromnetze kollabieren.

"Sonnenstürme" nennen Astronomen die bedrohliche Teilchenflut, die in der Vergangenheit ein ums andere Mal über die Erde hinweggerollt ist - bislang zum Glück ohne größere Schäden zu hinterlassen. Doch während unbestritten ist, welche Verwüstungen ein starker Sturm heutzutage anrichten kann, besteht über das genaue Ausmaß der Bedrohung noch immer Uneinigkeit. Mit statistischen Modellen, mit Blick auf historische Wetteraufzeichnungen, auf Baumringe und auf das Licht der Sterne, versuchen Forscher daher, die Häufigkeit solcher Stürme abzuschätzen. Noch sind die Ergebnisse mit großen Unsicherheiten verbunden. Es wird jedoch zunehmend klar: Die Erde ist auf einen Sonnenschluckauf, einen sogenannten Flare, ziemlich schlecht vorbereitet.

Während eines Sturms 1859 sprühten Telegrafennetze Funken

"Innerhalb von tausend Jahren könnte die Menschheit Zeuge eines Superflares mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft und die technische Infrastruktur werden", sagt Avi Loeb, Leiter der Astronomie-Fakultät an der amerikanischen Harvard-Universität. Die Eruption könnte so heftig ausfallen, dass ihre Schäden selbst das heutige weltweite Bruttoinlandsprodukt überträfen, berichtet der Forscher im Fachblatt im Astrophysical Journal.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Manasvi Lingam hat Loeb dort die Erdgeschichte nach möglichen Sonnenstürmen durchsucht. Radioaktive Atome in Baumringen deuten zum Beispiel darauf hin, dass im Jahr 775 eine starke Teilchenwelle über die Erde hinweggerast ist. Aus Daten des Kepler-Weltraumteleskops, das auf der Suche nach fernen Planeten mehr als vier Jahre lang das Licht von gut 145 000 sonnenähnlichen Sternen vermessen hat, haben die Forscher zudem Zahlen zur Häufigkeit solcher Stürme ermittelt. Auch wenn, wie Loeb betont, die Datenlage schlecht und die Unsicherheit groß ist, könnten ähnliche Sonneneruptionen wie im Jahr 775 demnach etwa alle 2000 Jahre auftreten.

Schwächere Ausbrüche mit etwa einem Zwanzigstel der Energie eines Superflares dürften sogar deutlich häufiger sein: Als Prototyp eines solch kleineren Sturms gilt unter Astronomen der sogenannte Carrington-Event, eine starke Sonneneruption aus dem Jahr 1859, die vom britischen Astronomen Richard Carrington detailliert beschrieben worden ist. Telegrafennetze sprühten damals Funken. Nordlichter waren bis hinunter nach Kuba, Jamaika und Hawaii zu beobachten.

"Das war auf alle Fälle ein gewaltiger Sturm", sagt Daniel Baker, Weltraumwetterexperte an der Universität von Colorado in Boulder. "Würde das Gleiche heute passieren, wären die Folgen wohl fatal." In den langen Stromleitungen, die den Globus überziehen, dürfte solch ein geomagnetischer Sturm immense Spannungsspitzen erzeugen. "Hunderte große Transformatoren könnten gegrillt werden", sagt Baker. Weite Teile der Erde, je nachdem, wo der Sturm einschlägt, würden im Dunkeln sitzen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften in Washington rechnet in einer Studie mit Schäden von ein bis zwei Billionen Dollar. Der Versicherer Lloyds geht in einer eigenen Untersuchung sogar von 2,6 Billionen Dollar aus. Vier bis zehn Jahre könnte der Wiederaufbau dauern.

Das Szenario ist bei Weitem nicht so abwegig, wie es zunächst klingen mag. Pete Riley, wissenschaftlicher Leiter beim Forschungsunternehmen Predictive Science im kalifornischen San Diego, schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde in den nächsten zehn Jahren von einem Sturm der Carrington-Kategorie heimgesucht wird, auf beachtliche zehn Prozent. Riley hat dazu die Daten vergangener Sonnenaktivitäten mit verschiedenen statistischen Modellen ausgewertet; alle kamen zum etwa gleichen Ergebnis. "Als ich die Zahl zum ersten Mal gesehen habe, war ich selbst überrascht, aber die Statistik scheint zu stimmen", sagt Riley, als er seine Ergebnisse vergangenes Jahr beim Treffen des US-Wissenschaftsverbands AAAS präsentiert. "Es ist eine sehr ernüchternde Zahl."

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