Am 23. Mai 1967, mitten in den nervösen Jahren des Kalten Krieges, geriet das US-Militär in Panik. Die Radargeräte, mit denen man in Alaska, Grönland und Großbritannien nach Sowjet-Raketen Ausschau hielt, spielten verrückt; elektromagnetische Strahlung störte die Überwachung. "So ein intensiver, nie zuvor beobachteter Radio-Ausbruch wurde als 'Jamming' interpretiert", erinnern sich Atmosphärenforscher und pensionierte Offiziere des Wetterdienstes der US-Luftwaffe im aktuellen Fachmagazin Space Weather. Als absichtliche Störung also. Militär-Kommandeure im Kalten Krieg betrachteten so etwas als potenzielle Kriegshandlung.
Im Detail können die Autoren nicht berichten, wer daraufhin wie reagierte. Schließlich waren die Air-Force-Angehörigen unter ihnen beim militärischen Wetterdienst tätig und nicht im Pentagon. Aus anderen Dokumenten schließen sie aber, dass die Frühwarnung die "höchsten Regierungsebenen" erreichte und mit Nuklearwaffen beladene Flugzeuge in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Zusätzlich zu jenen, die in den paranoiden Sechzigerjahren ohnehin in der Luft waren.
Die halbe Sonne ist weggeflogen: Das beruhigte die Generäle
"Das war eine ernsthafte Situation", sagt Co-Autorin Delores Knipp, Atmosphärenforscherin an der University of Colorado, in einem Schreiben der American Geophysical Union AGU. "Aber hier dreht sich die Geschichte: Die Dinge laufen schrecklich falsch, und dann läuft etwas richtig." Denn in jenen Jahren wusste man bei der US Air Force bereits, dass Sonnenstürme Funk und Radar beeinträchtigen können. Man hatte sogar eine Einheit beim Wetterdienst eingerichtet, die die Sonne im Blick behielt. Dort hatte am 23. Mai Colonel Arnold Snyder Dienst. Er erinnert sich laut AGU, dass das Luftraum-Verteidigungskommando Norad ihn fragte, ob es besondere Aktivitäten gebe. "Ja, die halbe Sonne ist weggeflogen", habe er aufgeregt geantwortet. Damit war auch den Generälen klar, dass ein Sonnensturm Ursache der Störung war. Der Alarm wurde gestoppt.
Tatsächlich hatten sich schon von Mitte Mai 1967 an immer deutlichere Flecken und Eruptionen auf der Sonne gezeigt. Am 23. Mai schließlich schleuderte die Sonne einen solchen Schwall heißes Plasma ins All, dass es mit bloßem Auge sichtbar war. Begleitet war die Eruption vom heftigsten Mikrowellen-Strahlungsblitz des 20. Jahrhunderts; kein Wunder, dass die Radargeräte versagten. Am 25. Mai erreichte der mit Sonneneruptionen einhergehende Sturm geladener Teilchen die Erde; Nordlichter waren bis New Mexico sichtbar.
Man muss sich wohl nicht wundern, dass im Wahnsinn des Kalten Kriegs schon ein Flackern der Sonne ausreichte, um das Militär einer Supermacht in Panik zu versetzen. Aber gruselig ist es doch, was die Forscher berichten. Und es war ja längst nicht der einzige Zwischenfall. Im Oktober 1962, mitten in der Kuba-Krise, löste ein Bär einen Alarm aus, als er in einen Luftwaffen-Stützpunkt in Minnesota einbrechen wollte. Im Jahr 1983 sah man sich in der Sowjetunion zweimal von Interkontinentalraketen angegriffen - bis sich herausstellte, dass nur hohe Wolken Sonnenlicht reflektiert und das System genarrt hatten.
"Es gibt kein Jahrzehnt des Kalten Krieges, in dem nichts dergleichen vorgekommen ist", sagt der Historiker Bernd Greiner, der das Berliner Kolleg Kalter Krieg leitet. "Das Ganze spielt sich ab vor dem Hintergrund der beiderseits bewusst herbeigeführten Unsicherheit." Es sei ja der Teil der Strategie auf beiden Seiten gewesen, den Gegner stets das Schlimmste annehmen zu lassen. Hinzu kam die Nervosität, was die Zuverlässigkeit der Technik anging: "Da wiegt ein Fehlalarm umso schwerer."