Verhaltensbiologie:Supermännchen am Nest

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Früher lebten Amseln zurückgezogen im Inneren dichter Wälder, vor knapp 200 Jahren begannen sie, in die Städte zu ziehen. Heute folgen ihnen andere Singvögel. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Singvögel werden aggressiver, wenn sie in städtische Räume ziehen. Doch wider Erwarten schadet das nicht der Qualität ihrer Elternschaft.

Von Christian Weber

Ein Umzug ist immer eine Herausforderung, gerade wenn dabei die gewohnten Lebensräume wechseln. Man stelle sich vor, die Menschen müssten zurück auf die Bäume! Viele Vögel verlassen dagegen die Bäume oder zumindest die Wälder, um in engen städtischen Parks oder gar auf Balkonen zu nisten. Und auch bei ihnen ist der Wohnraum begrenzt. Entsprechend aggressiver werden sie nach außen, um ihre neuen Territorien zu verteidigen, das haben Ornithologen bereits bei mehreren eingewanderten Arten beobachtet. Doch welche Folgen hat das für die innere Nestgemeinschaft? Ein Team um Samuel Lane von der North Dakota State University hat dieses Verhalten an Singammern untersucht, einer in Nordamerika weit verbreiteten Singvogelart. Das Team meldet nun im Fachmagazin Frontiers in Ecology and Evolution unerwartete Ergebnisse.

"Bislang dachten wir, dass männliche Singvögel in gemäßigten Breiten ihre elterliche Fürsorge reduzieren, wenn sie aggressiver werden", erläutert Studienautor Lane laut einer Mitteilung seiner Universität. "Doch in unserer Studie zeigen wir, dass sich städtische männliche Singammern sogar mehr um ihre Jungen kümmern." Entgegen der Erwartungen der Forscher flogen die Vögel ihre Nester häufiger an. Und sie waren erfolgreichere Eltern als ihre ländlichen Verwandten.

Fehlt die für die Verteidigung investierte Zeit bei der Brutpflege? Offenbar nicht.

Es ist eine überraschende Erkenntnis, schließlich müssen sich die Singvögel in einer neuen Umgebung bewähren, sie müssen, so nahm man zumindest bislang an, mehr Zeit und Energie insbesondere in die Verteidigung ihrer Territorien investieren. Das sind Ressourcen, die bei der Aufzucht des Nachwuchses fehlen könnten.

Doch die Feldstudien des Teams an sechs Orten in Virginia, abgehalten über vier Brutsaisons, kamen zu anderen Resultaten. Die städtischen Männchen besuchten die Nester demnach häufiger als die auf dem Land lebenden Artgenossen, fütterten die Nestlinge bereits früher am Abend und steckten überhaupt mehr Zeit in die Brutpflege, etwa die Abwehr von Parasiten. "Es zeigte sich, dass die städtischen Männchen Supermännchen sind, fähig ihr Territorium zu verteidigen und sich um die Jungen zu kümmern."

Die Forscher und Forscherinnen warnen davor, ihre Ergebnisse vorschnell auf andere Vogel- und Tierarten zu übertragen. Dennoch regen sie an, sich mehr mit den Vorteilen städtischer Räume für wilde Tiere zu beschäftigen. "Unsere Studie trägt zu der wachsenden Erkenntnis bei, dass manche Singvögel von der urbanen Umgebung sogar profitieren, wenn der Grünraum dort genügend Fressen und Raum bereitstellt."

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