Archäologie:Ohne Hindernis zu den Göttern

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Der Zeus-Tempel in Olympia war einst über zwei Rampen zugänglich. (Foto: Maria Maar/imago images/Westend61)

Über steinerne Rampen gelangten beeinträchtigte Mitbürger in viele antike Tempel. War die Barrierefreiheit beabsichtigt?

Von Julian Rodemann

Menschen mit Behinderung treffen im Alltag auf eine Reihe von Hindernissen. So stoßen zum Beispiel viele Blinde auf Geldautomaten ohne Sprachausgabe - Bargeld abzuheben, kann für sie so zur Odyssee werden. Rollstuhlfahrer blicken mancherorts noch immer auf breite Kirchentreppen ohne Rampe, über die sie ins Gotteshaus kommen könnten. Dabei waren schon einige antike Tempel barrierefrei; die alten Griechen nahmen beim Bau ihrer Tempelanlagen vermutlich sogar bewusst Rücksicht auf Zeitgenossen, die körperlich eingeschränkt waren. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls die Archäologin Debby Sneed von der California State University in Long Beach in ihrer Studie, die in der Fachzeitschift Antiquity erschienen ist.

Dass manche der Heiligtümer neben Treppen auch Rampen aufweisen, über die man in den Innenhof der Tempel gelangt, war bekannt. Bisher gingen viele Archäologen jedoch davon aus, dass diese Rampen vor allem dem Transport von Opfertieren für Riten und Bräuche sowie von Baumaterial dienten. Debby Sneed widerspricht in ihrem Artikel: "Es ist unwahrscheinlich, dass diese Rampen für den Transport von Opfertieren gedacht waren: Opferrituale fanden meist auf den Altären vor den Tempeln statt."

Auch dienten die Rampen der Archäologin zufolge wohl kaum dazu, Baumaterial herbeizuschaffen. Schließlich hätten diese Zugänge dann auch Teil anderer großer Gebäuden sein müssen, was nicht oder nur selten der Fall sei. "Für diese temporäre Nutzung waren Steinrampen außerdem eine zu große Investition", sagt Sneed. Stattdessen geht sie davon aus, dass die Griechen während der Bauarbeiten Steine und anderes Material über Rampen aus Holz auf den Tempel beförderten. Plinius der Ältere berichtet vom Einsatz solcher Holzrampen beim Bau des Tempels der Artemis in Ephesos.

Die Tempel des Gottes der Heilkunst verfügen über besonders viele Rampen

Sneed hat eine Reihe griechischer Kultstätten aus dem 4. Jahrhundert vor Christus untersucht; sie studierte Ausgrabungsprotokolle, besuchte aber auch etliche erhaltene Tempel persönlich. Ihr fiel dabei auf, wie ungleich die Steinrampen verteilt waren: Während etwa der riesige Zeustempel in Olympia nur zwei solcher Rampen aufweist, zählte Sneed am Asklepios-Heiligtum von Epidaurus insgesamt elf Rampen an neun verschiedenen Gebäuden. Auch ein Tempel in Korinth, der Asklepios gewidmet ist, ist mit überdurchschnittlich vielen Rampen ausgestattet.

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Laut Sneed ist das kein Zufall: Asklepios ist der Gott der Heilkunst. Die Archäologin ist sich sicher, dass besonders Menschen mit Behinderung die Asklepios-Tempel in der Hoffnung aufsuchten, geheilt zu werden - und die Griechen deshalb die Kultstätten mit Rampen ausstatteten. Dafür sprechen auch zahlreiche Votivgaben, die in solchen Tempeln gefunden wurden und Beine oder Füße abbilden.

Natürlich schoben die alten Griechen ihre Freunde und Verwandten nicht in modernen Rollstühlen die Rampen hinauf. Wahrscheinlicher ist, dass sie auf Sänften oder Bahren getragen wurden - was auf einer breiten Rampe leichter möglich ist als auf Treppenstufen. Sneeds Argumente überzeugen indes nicht alle Fachkollegen. So zitiert das Nachrichtenportal des Fachmagazins Science die deutsche Archäologin Katja Sporn: "Die Rampen helfen allen, auch behinderten Menschen, einfacher in die Tempel zu gelangen. Aber ich halte es nicht für überzeugend, dass sie nur für Menschen mit Behinderungen gebaut wurden." Sporn glaubt eher an einen zeitlich und örtlich beschränkten architektonischen Trend. Die Historikerin Jane Draycott von der University of Glasgow hingegen hält Sneeds Sichtweise für einleuchtend, die Argumente seien plausibel.

Ob intendiert oder nicht - Menschen mit Behinderung kamen im antiken Griechenland jedenfalls leichter in die Asklepios-Tempel als so mancher Deutscher heute in die Bahn oder in ein Restaurant. Natürlich seien die damaligen Sichtweisen von Behinderungen überhaupt nicht mit heutigen vergleichbar, schreibt Sneed. Dennoch: "Wenn schon die antiken Griechen ihren behinderten Mitbürgern Aufmerksamkeit schenkten, ist es wichtig, dass wir das auch tun."

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