350 Jahre Royal Society:Das erste World Wide Web

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Die britische Royal Society ist als Gelehrtenvereinigung das Maß aller Dinge. Sie wurde bereits 1660 von zwölf "Naturphilosophen" gegründet - als "Gesellschaft zur Verbesserung des Wissens um die Natur".

Alexander Menden

Am 19. Juni 1712 begab sich Ralph Thoresby, ein Historiker aus Leeds, zu einer Veranstaltung im Londoner Gresham College. "Besuchte die Royal Society, wo Dr. Douglas einen Delphin sezierte, der kürzlich in der Themse gefangen worden war; zugegen waren der Präsident, Sir Isaac Newton, beide Sekretäre, die beiden Professoren aus Oxford, Dr.Halley und Keil, mit anderen, deren Gesellschaft wir uns auch im griechischen Kaffeehaus erfreuten."

Eine Laus, wie sie das Mitglied der Royal Society Robert Hooke 1667 in seinem Buch Micrographia dargestellt hat. Hooke war einer der ersten, der die Welt durch das Mikroskop betrachtete. Er entdeckte und benannte die Zelle. (Foto: oh)

Ein kleiner Tagebucheintrag, der einen frühen, lebendigen Einblick in den praktischen Alltag der Royal Society gibt, die an diesem Dienstag ihr 350-jähriges Bestehen feiert. Er deutet zugleich die Verwurzelung der Institution in drei Traditionen an: der praktischen, disziplinübergreifenden Forschung, der allgemein zugänglichen Volksbildung (jeder durfte ihre Vorträge besuchen) und des Austauschs von Ideen im kleinen Kreis, für den im 17.und 18. Jahrhundert das Kaffeehaus den besten Rahmen bot.

Man kann wohl ohne Übertreibung feststellen, dass die britische Akademie der Wissenschaften als Gelehrtenvereinigung das Maß aller Dinge ist. Ihre Mitglieder haben insgesamt 272 Nobelpreise in allen Disziplinen erhalten. Die Society selbst verleiht hoch angesehene akademische Auszeichnungen wie die Copley-, die Darwin- und die Hughes-Medaille und vergibt diverse dotierte Vorlesungen.

Sie verantwortet Fördermittel in Höhe von jährlich rund 50 Millionen Euro und gibt sieben referierte Fachzeitschriften heraus. Darunter sind die von dem Deutschen Heinrich Oldenburg gegründeten Philosophical Transactions of the Royal Society, die älteste kontinuierlich publizierte wissenschaftliche Zeitschrift der Welt.

Bei politischen Entscheidungen, die wissenschaftliches Wissen erfordern, ist die Royal Society ganz selbstverständlich erste Anlaufstelle der britischen Regierung. Zu ihren Präsidenten gehörten Sir Isaac Newton und der Entdecker des Elektrons, Joseph J. Thomson, zu den Fellows Albert Einstein, Francis Crick und Stephen Hawking. Will man aber ergründen, woher die Rolle der Royal Society als eine Art wissenschaftliches Gewissen der Nation, woher ihr enormer Einfluss, ihre feste gesellschaftliche Verankerung und ihre Bedeutung über Großbritannien hinaus rührt, muss man an ihre Anfänge zurückkehren.

Ein gutes halbes Jahrhundert vor dem Besuch Ralph Thoresbys im Gresham College, am 30. November 1660 (manche Quellen nennen den 28. November), hielt ein junger Architekt namens Christopher Wren dort vor einer Gruppe gleichgesinnter "Naturphilosophen" einen astronomischen Vortrag. Im Anschluss kam die zwölfköpfige Gruppe überein, eine "Gesellschaft zur Verbesserung des Wissens um die Natur" zu gründen. Ihr Vorbild war Francis Bacon, der in seinem utopischen Roman "New Atlantis" eine experimentelle, praktische Erforschung der Natur formuliert und gefordert hatte.

Man traf sich wöchentlich. Meist führte der universalbegabte Kurator Robert Hooke Experimente in so unterschiedlichen Bereichen wie Schwerkraft, Astronomie oder Mikrobiologie vor, danach zog man sich zum Dinner zurück, um das Gesehene zu besprechen. Dass die Fellows sich für dieses reichlich informelle, mithin sehr englische Unternehmen kaum zwei Jahre später die Schirmherrschaft König Charles II. sichern konnten, lag nicht zuletzt an ihrem erklärten Ziel, mittels wissenschaftlicher Erkenntnisse dessen Macht und Einkünfte zu mehren.

Diese Hoffnung ging zunächst nicht in Erfüllung. Doch die Royal Charter ermöglichte es der Royal Society, unbehelligt von zensorischer Überwachung ihren Forschungen nachzugehen und diese systematisch zu veröffentlichen. Es gab hier weder gesellschaftlichen noch disziplinären Dünkel. Herkunft und Stand der Beitragenden war einerlei, soweit die Beiträge interessant waren - so hatte der Fellow Benjamin Franklin, Erfinder des Blitzableiters und einer der Gründer der Vereinigten Staaten, kaum formelle Bildung genossen. Es ging auch nie um die institutionelle Beglaubigung etablierter Figuren, sondern vor allem um die Förderung junger Talente: Als etwa Charles Darwin 1839 Mitglied wurde, lag sein großer Ruhm noch in weiter Zukunft.

Ebenso umfassend war das Interesse an den unterschiedlichsten Themen. Sie reichten von Bluttransfusion und Waldwirtschaft über die Entwicklung der Taschenuhr und den Anbau der Kartoffel bis zur Ausdehnung von Glas unter verschiedenen Temperaturbedingungen. Der Philosoph John Locke trug ein Traktat über giftige Fische der Karibik bei. Der Astronom Edmond Halley errechnete anhand der Geburts- und Sterberegister der Stadt Breslau erstmals Durchschnittswerte zur Lebenserwartung der Bevölkerung von Schlesien.

Was die Royal Society von Beginn an einflussreich machte und ihr Grundkonzept bis heute modern erscheinen lässt, ist der Umstand, dass sie nicht nur ein urbritisches, sondern zugleich ein dezidiert internationales Unterfangen war: Die besten Köpfe Kontinentaleuropas wie der italienische Anatom Marcello Malpighi oder der Astronom Christiaan Huygens und der Mikroskopie-Pionier Antoni van Leeuwenhoek in Holland waren frühe Korrespondenten. Die Royal Society wurde zum "zentralen Umschlagplatz wissenschaftlicher Information" und damit, wie es der Autor Bill Bryson jüngst in einer Festrede formulierte "eine Art frühe Version des World Wide Web".

An der Stelle des ersten Sitzes der Royal Society in Bishopsgate erhebt sich mittlerweile der höchste Wolkenkratzer der City of London. Sie selbst residiert heute in einem eleganten, klassizistischen Gebäude John Nashs an der Carlton House Terrace nahe dem Piccadilly Circus. Neben ihrer Verknüpfung mit 91Forschungsinstituten weltweit tut sie auch unter ihrem 59. Präsidenten, dem königlichen Astronomen Sir Martin Rees, viel für die breitenwirksame Vermittlung von Wissenschaft. Rees selbst hat mehrere populäre Bücher über Astronomie verfasst; für die weithin beliebte "Summer Science Exhibition" öffnet die Royal Society alljährlich ihre Türen.

Die Society hat sich ihre egalitäre, meritokratische und internationale Ausrichtung bewahrt. In einem Interview mit dem Daily Telegraph gab Lord Rees jüngst auf die Frage, was Wissenschaft für ihn bedeute, eine Antwort, der die Gründerväter der Royal Society gewiss ihr Placet gegeben hätten: "Wissenschaft ist ein Teil der Kultur", so Rees. "Es ist sogar die einzig wahre globale Kultur, denn Protonen und Proteine sind auf der ganzen Welt gleich."

In Zeiten zunehmender Spezialisierung von Wissen und der Aufspaltung der Gesellschaft in einander kaum berührende Sphären ist es diese universale Grundhaltung, die auch nach 350 Jahren die anhaltende Relevanz der Royal Society untermauert.

Homepage der britische Akademie der Wissenschaften: Royal Society

© SZ vom 30.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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