Verrückte Studien:Gier nach Fliegensexgeschichten

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Illustrationen: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Sex, Fliegen, Ruhm: Wissenschaftler quer durch alle Disziplinen buhlen um Aufmerksamkeit. Doch nicht die bisweilen absurd steilen Thesen sind das Problem.

Von Christian Weber

Ganz schlimm sind die Evolutions- und die Sozialpsychologen, aber auch die Paläoanthropologen sind nicht ohne. Manchmal können es selbst die Biochemiker nicht lassen. Nicht dass die Physiker unbedingt bessere Menschen wären. Aber würden die eine Schlagzeile hinkriegen wie: "Sex-Entzug treibt Fruchtfliegen in den Alkohol"?

So lautete das Ergebnis einer Studie, die amerikanische Biochemiker vor zwei Jahren in Science veröffentlichten. Niemand wunderte sich, dass es die Meldung bis ins Meininger Tageblatt schaffte.

Das sind die neuen Geschichten aus der fröhlichen Wissenschaft: "Stripperinnen bekommen während des Eisprungs höhere Trinkgelder", "Die Größe der Unterschrift eines Chefs korreliert mit Gehalt und Ego", "Tratschen fördert die Karriere". Und weiß man, woher wir Menschen unsere Gesichter haben? Die Männchen unserer noch sehr haarigen Vorfahren von der Gattung Australopithecus haben sich vor drei Millionen Jahren so viel geprügelt, dass sich die Schädel entsprechend evolvierten; nämlich so, dass sie Faustschläge ins Gesicht besser abkonnten. So las man es vor wenigen Wochen im Fachmagazin Biological Reviews.

Nein, das ist nicht notwendigerweise Quatsch. Es kann sinnvoll sein, das Sexualverhalten der Fliegen zu untersuchen, an einfach strukturierten Gehirnen lassen sich grundlegende Mechanismen leichter untersuchen als in Primatenorganen. Man muss ja deshalb nicht auf unterkomplexe Weise auf den Menschen extrapolieren. Nicht die Fliegensexforschung ist das Problem, sondern die Gier der Leser nach Fliegensexgeschichten.

Das kapieren auch immer mehr Wissenschaftler.

Publish or perish? Das ist ein Spruch aus der Dampfmaschinenzeit

"Publish or perish" lautet angeblich der Arbeitsauftrag des Systems an die Forscher, "publiziere oder geh zugrunde". Doch das ist ein Spruch aus der Dampfmaschinenzeit. Bei derzeit 1,4 Millionen wissenschaftlichen Publikationen pro Jahr ist es nicht mehr so wahnsinnig schwierig, einen Aufsatz irgendwo unterzubringen. Dem Wissenschaftsjournalisten John Bohannon etwa gelang es im vergangenen Jahr, einen von ihm selber verfassten Fake-Aufsatz rund 180 von über 300 Online-Magazinen anzudrehen. Dabei verwendete er einen erfundenen Namen, die Adresse eines nicht existierenden Forschungsinstituts in Asmara, Eritrea. Und auch der Inhalt des Aufsatzes bestand aus zusammengestümpertem Unsinn über ein angebliches neues Krebsmittel aus der Litschi-Frucht.

Gerade wegen der Überfülle an Publikationen wird es für Wissenschaftler immer wichtiger, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Denn nur, wer wahrgenommen wird, den zitieren die Fachkollegen; und nur wer viel zitiert wird, erzielt gute Ergebnisse in den immer ausgefeilteren Algorithmen, die zunehmend über die akademische Karriere entscheiden. Hilfreich ist es dabei, in High-Impact-Journalen wie Science, Nature oder PNAS zu publizieren, die ihre Bedeutung dadurch gewinnen, dass sie am meisten zitiert werden auf der Welt.

Lieber Geld- und Glücksforschungen als Fortschritte in der Kohlenstoff-Chemie

Doch auch hier gilt: Platz in diesen Magazinen bekommt nur, wer Aufmerksamkeit generiert. Im Idealfall erzielt ein Wissenschaftler Beachtung allein durch die Qualität seiner Forschung. Tatsächlich spielt heutzutage auch die Laien-Öffentlichkeit eine große Rolle. Der derzeit schwer angesagte Pariser Ökonom Thomas Piketty schaffte es vor Kurzem mit einem langen Aufsatz über seine Ungleichheits-These in Science - allerdings erst nachdem ihn die Feuilletons der Welt über Wochen gefeiert hatten.

Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit erzielt aber eher, wer eine steile These formuliert oder einen großen Durchbruch ankündigt - auch wenn er dafür ein bisschen die Daten schubsen oder sehr kühne Regressionsgeraden ziehen musste. Wen wundert's, dass der Sozialwissenschaftler Daniele Fanelli von der University of Edinburgh nachwies, dass in mehreren Fächern der Anteil von positiven Studien von 1990 bis 2007 um 33 Prozent zugenommen hat? Die methodisch sorgfältige Präzisierung, Replikation oder gar Widerlegung eines Ergebnisses mag wissenschaftlich wichtiger sein. Die steile These bringt mehr im Zitate-Score, selbst oder gerade dann, wenn sich alle Kollegen von ihr distanzieren: Auch die Kritiker müssen ja zitieren! Also behauptet man, so wie vor einigen Jahren der US-Genetiker Dean Hamer, man habe das Schwulen- und das Gottes-Gen gefunden. Sehr großer Unfug, der ihn weltberühmt machte.

Selbst wenn die Forschung solide ist, findet sich in vielen Journals ein Trend zum Boulevard. Alte Dinosaurier-Skelette, Neues von den Schimpansen, vorgeschichtliche Knochensplitter, ziemlich mutige paläoanthropologische, evolutionspsychologische oder neuroökonomische Spekulation, Geld- und Glücksforschungen sind halt sexyer als Fortschritte in der Kohlenstoffchemie oder der Photonik - wichtige Disziplinen, deren Bedeutung den meisten Menschen vollkommen unklar ist. Wissenschaft wird in der Öffentlichkeit häufig nicht mehr nach Relevanz, sondern nach Unterhaltungswert beurteilt.

Zugleich setzt die Ökonomie der Aufmerksamkeit falsche Anreize: Sie belohnt nicht wissenschaftliche Kärrnerarbeit wie eben die Replikation von Studien. Sie verführt Forscher zu Schlamperei und Fälschung. Das gilt selbst in - einigermaßen - harten Fächern wie der Medizin. Nature berichtete zum Beispiel 2012, dass Pharmazeuten nur sechs von 53 Grundlagen-Studien aus der Krebsmedizin replizieren konnten. Noch schlimmer ist es in den eher weichen Fächern, wo über Emotionen, Gedanken und Verhalten von Menschen geforscht wird. Seitdem der berühmte Sozialpsychologe Diederik Stapel von der Universität Tilburg im Jahr 2012 wegen offenkundiger Fälschungen ein paar Dutzend Studien zurückziehen musste, geht es rund in der Disziplin.

Wer also mal wieder über total lustige Forschungsergebnisse aus dem Menschenpark liest, über weibliche Risikofreude und Boxershorts, Facebook-Likes und Krankenhaus-Mortalität, Todestag und Erbschaftsteuer, sollte seinen kritischen Verstand anschalten. Hilfreich ist dabei die Lektüre eines klassischen Textes des Epidemiologen John Ioannidis von der Stanford University, leicht zu finden im Netz. Er lautet: "Warum die meisten veröffentlichten Forschungsergebnisse falsch sind."

© SZ vom 26.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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