Geschichte:Das Tischgerät des Teufels

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"Gott behüte mich vor dem Gäbelchen", schrieb Martin Luther über das Besteck (Foto: N/A)

Mit der Gabel zu essen, galt lange Zeit als gottlos. Auslöser der Hysterie war eine Prinzessin aus Byzanz.

Von Hubert Filser

Messer, Gabel, Löffel. Praktisch jedes Kind in Deutschland kennt das klassische Besteck. Doch nur ein Sechstel der Weltbevölkerung isst damit, ein Drittel nutzt Stäbchen, der Rest nimmt wie seit Urzeiten immer noch die Finger. Aber auch in der westlichen Welt gibt es den Dreiklang zu Tisch noch gar nicht so lange, erst vor etwa 200 Jahren ist die Gabel als letztes Mitglied am Tellerrand angekommen - deutlich nach Messer und Löffel. Das Messer ist als menschliches Urwerkzeug aus der Feuersteinklinge entstanden, es begleitete bereits die Steinzeitmenschen. Auch Löffel oder Kellen gibt es, seit die Menschen vor ungefähr 11 500 Jahren sesshaft wurden. Sie ersetzten Muscheln oder die hohle Hand beim Schöpfen von Flüssigkeiten.

Doch die Geschichte der Gabel ist die bei weitem interessanteste. Es gibt eine schöne Anekdote zu ihren Anfängen, der Soziologe Norbert Elias erzählt sie in seinem Buch "Über den Prozess der Zivilisation": Als ein Mitglied der Dogenfamilie zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Venedig eine Prinzessin aus Byzanz heiratete, habe die junge Dame mit Namen Argillo eine Sitte mitgebracht, die sie aus ihrer Heimat gewohnt war. Sie führte jegliche Nahrung mit einem zweizinkigen Gäbelchen zum Munde, um sich die Hände beim Essen nicht schmutzig zu machen. Das sorgte für Empörung am Hof, es gab einen regelrechten Eklat. Wie konnte es jemand wagen, die göttlichen Speisen nicht mit den von Gott gegebenen Händen anzufassen?

Die Gabel ist, wenn man dieser Geschichte glaubt, mindestens 1000 Jahre alt und stammt aus Byzanz. Petrus Damiani, einer der einflussreichsten Kirchenlehrer seiner Zeit, wetterte bereits Mitte des 11. Jahrhunderts gegen die neue Sitte und die Frau dahinter - die er vermutlich gar nicht kannte. Der Bischof schrieb, die Prinzessin würde nur in Tau baden und Eunuchen müssten ihr die Gerichte in kleine Stücke schneiden, die sie dann mit einem Gäbelchen aus Gold in den Mund schob. Damiani sorgte dafür, dass die Gabel als Teufelswerk verdammt wurde. Hildegard von Bingen sah ein Jahrhundert später im Gabelgebrauch eine Verhöhnung Gottes. Daher stammt wohl auch die Tischregel, die Gabel nicht mit den Zacken nach oben zu halten, um die Engel nicht aufzuspießen. Martin Luther schließlich soll sich mit den Worten "Gott behüte mich vor dem Gäbelchen" gegen das neue Tischgerät gewandt haben. Die Gabel hatte bis zu dieser Zeit das Image des Verweichlichten und Gottlosen.

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Trotzdem breitete sie sich ab dem 17. Jahrhundert von Italien aus, dem damals reichsten Land Europas, auf dem ganzen Kontinent aus. Der Aufstieg der Gabel ist eng an den Zivilisationsprozess Europas gekoppelt, sie wandelt sich dabei vom Symbol der Gotteslästerung zu einem der Tugend. Die Gesellschaft differenzierte sich immer mehr, Arbeitsteilung im Leben spiegelte sich auch bei der Arbeitsteilung auf dem Tisch wieder. Die Gabel erhielt eine neue Funktion. Mit ihr ließen sich die immer kleinteiliger und ausgeklügelter aufbereiteten Speisen leichter zum Mund führen als mit dem Messer.

Gleichzeitig wurde das Verhalten zu Tisch immer wichtiger. Man achtete verstärkt auf gute Manieren. Im 18. Jahrhundert wurde es zunächst bei adeligen Familien peinlich, sich die Finger beim Essen schmutzig zu machen. Wer die Gabel nicht richtig zu gebrauchen wusste, galt als Tölpel. Plötzlich erschien es gefährlich, sich das Essen mit dem Messer in den Mund zu schieben. Das ist bis heute so.

Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich das Design der Gabel, als sie im Zuge der Industrialisierung ein Massenprodukt wurde. Sie bestand aus günstigem Edelstahl, bekam zwei Zacken mehr und wurde etwas breiter und gewölbter, so dass sie auch Funktionen des Löffels übernehmen konnte. Von da an war die Gabel endgültig dem Messer ebenbürtig.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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