Gary Shapiro ist vollständig klar, was jetzt von ihm erwartet wird. Er muss so richtig aufdrehen. Die Frau, die gleich auf die Bühne kommen wird, ist schließlich der heimliche Stargast seiner Messe. Also macht Shapiro, der dem Branchenverband der amerikanischen Verbraucherelektronik vorsteht, was von ihm erwartet wird.
Die nächste Rednerin sei bekannt dafür, "außerhalb der gewohnten Bahnen zu denken", verkündet er. Ihre Karriere sei beeindruckend. Sie zähle zu den einflussreichsten Frauen weltweit. Er sei sehr froh sie hier bei der Consumer Electronics Show zu haben, ruft Shapiro: "Bitte heißen Sie Marissa Mayer willkommen!" Und in der Tat ist das, was sich an diesem Dienstagnachmittag in Las Vegas abspielt, eine kleine Überraschung.
Seit 17 Monaten ist Marissa Mayer Chefin bei Yahoo. Eine Zeit, in der sich in dem Unternehmen aus dem kalifornischen Sunnyvale viel verändert hat. Allerdings verzichtete sie dabei auf die ganz große Öffentlichkeit. Wenn Yahoo in den zurückliegenden anderthalb Jahren für Schlagzeilen sorgte, dann selten, weil die Chefin persönlich in der Öffentlichkeit auftrat.
Mayer weiß, dass sie Google und Co. nicht schlagen kann
Auf der CES in Las Vegas nun aber war für die Yahoo-Präsentation gleich eine ganze Stunde eingeplant. Der Auftritt interessierte so viele Menschen, dass nicht einmal die 1400 Sitzplätze im LVH Theater ausreichten. Dabei hätte das, was Mayer ihren Zuhörern vorstellte, viel besser auf eine Medien- als auf eine Technikkonferenz gepasst.
Weil Mayer weiß, dass sie Google, Facebook oder Amazon in deren Geschäftsfeldern nicht schlagen wird, versucht sie Yahoo dort stark zu machen, wo andere die jüngsten Entwicklungen verschlafen: Yahoo soll zum ernsthaften Konkurrenten für etablierte Medienhäuser werden.
"2017 werden 3,8 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein, das sind zwei Milliarden mehr als heute", rechnet Mayer vor. Ein Wandel, der zum Großteil auf die wachsende Beliebtheit von Smartphones und Tablets zurückzuführen sei und der auch den Medienkonsum verändere. Yahoo ist deshalb mit einer Reihe von Neuerungen zur Hand. Die wichtigste: die Gründung zweier digitaler Magazine.
Mit Yahoo Food und Yahoo Tech führt das Unternehmen zwei Special-Interest-Magazine ein, die von eigenen Redaktionen produziert werden. Das Technikmagazin wird von dem renommierten Journalisten David Pogue geleitet, der einst bei der New York Times unter Vertrag stand.
Pogues Konzept: Technikjournalismus, für alle verständlich. Die großen amerikanischen Technologie-Blogs richteten sich viel zu sehr an eine Fachleserschaft, kritisiert er. Außerhalb der Technik-Hotspots Kalifornien und New York verstehe kein Mensch, worüber dort geschrieben werde.
Optisch sind beide Publikationen mit ihren großen Bildern so gestaltet, dass sie vor allem auf Smartphones und Tablets angenehm zu lesen sind. Bannerwerbung, wie es sie bei nahezu allen Online-Medien gibt und mit der Yahoo als Vermarkter selbst ordentlich Geld verdient, soll es nicht geben. Stattdessen finanzieren sich die Angebote über sogenanntes Native Advertising, also Werbeanzeigen in Artikelform. Das ist zwar nicht so aufdringlich, für den Leser aber auch schwerer als Reklame zu identifizieren.
Wer alle Artikel gelesen hat, ist fertig
In einem anderen Fall verzichtet Yahoo sogar ganz auf Werbung. Bei der ebenfalls neu vorgestellten Smartphone-App namens Yahoo News Digest setzt das Unternehmen auf die automatisierte Aggregation von Nachrichten. Hinter dem vorerst nur in den Vereinigten Staaten erhältlichen Programm steckt die Idee von einer Tageszeitung und Tagesschau für das mobile Webzeitalter. Zweimal pro Tag wird sie aktualisiert. Einmal morgens, einmal abends. Mit Text, Video, Infografiken, Hintergrundinformationen - alles, was es heute eben so gibt. Wer alle Artikel gelesen hat, ist fertig und muss auf die nächste Ausgabe warten. Verantwortlich für die Entwicklung ist der 18-jährige Nick d'Aloisio, Chef des von Yahoo aufgekauften Start-ups Summly.
Die App ist ein vertrautes Gegenkonzept zu den allgegenwärtigen und nie endenden Nachrichtenströmen, wie sie in den meisten Online-Ausgaben von Tageszeitungen, auf Twitter und Facebook zu finden sind. Möglicherweise eines mit Zukunft: Der Journalist Alexis Madrigal kam erst kürzlich in einer Analyse zu dem Schluss, dass die Zeit der nie endenden Neuigkeiten sich dem Ende zuneige und stattdessen die Flüchtigkeit an Bedeutung gewinne. Genau diese Idee setzt Yahoo nun um.
Überraschend ist, dass die Ankündigung auf der CES erfolgte. Medienthemen stehen dort üblicherweise nicht auf der Agenda. Zu technisch und hardwarelastig ist die Veranstaltung. Dennoch lässt der Medienwandel auf der Messe eindrucksvoll beobachten. Technik-Blogs wie The Verge, Engadget oder Gizmodo dominieren die Berichterstattung. Sie sind mit Heerscharen von Reportern vor Ort und berichten über jede Neuigkeit in einer Ausführlichkeit, die sich keine Tageszeitung leisten kann und für die keine Computerzeitschrift Platz hat. Auch sie haben nun einen neuen Konkurrenten: Yahoo.