Wirtschaftsdaten:Chinas Wirtschaft wächst - dank Immobilienblase

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Der Immoblienmarkt in China boomt, wie hier in der Region Chongqing. (Foto: Bloomberg)
  • Die chinesische Wirtschaft wächst, aber Immoblienpreise und die Verschuldung steigen.
  • Um sich eine Stadt wie Peking überhaupt noch leisten zu können, müssen viele in die Randbezirke ziehen.
  • Eingriffe der chinesischen Regierung helfen bisher nicht, die Situation zu verbessern.

Von Christoph Giesen, Peking

Auf den ersten Blick ist alles gut: Chinas Wirtschaft wächst wie von der Regierung verordnet mit einer Rate zwischen 6,5 und sieben Prozent im Jahr. Im dritten Quartal dieses Jahres waren es nun 6,7 Prozent, wie das Pekinger Statistikamt am Mittwoch mitteilte. Das Wachstum fiel damit genauso hoch aus wie in den ersten beiden Quartalen des Jahres und traf exakt die Erwartungen der meisten Analysten. Und dennoch sind viele von ihnen beunruhigt: wegen der Verschuldung und wegen des Immobilienbooms.

Kein Land der Welt gibt derzeit so ungezügelt Geld aus wie China. Auch im zurückliegenden Quartal sind in der Volksrepublik die Schulden wieder einmal schneller als das Bruttoinlandsprodukt gewachsen. Den jüngsten Zahlen der chinesischen Zentralbank zufolge stieg die Summe neu vergebener Kredite allein im September um 1,2 Billionen Yuan (etwa 160 Milliarden Euro). Deshalb schlug zuletzt der Internationale Währungsfonds Alarm; zuvor hatte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vor einer chinesischen Schuldenblase gewarnt.

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Als im Jahr 2008 die Olympischen Spiele in Peking stattfanden, lag die Gesamtverschuldung der Volksrepublik, also die gewährten Kredite für Unternehmen, private Haushalte und das Staatsbudget, bei etwa 145 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Inzwischen dürften es nach Schätzungen von Analysten und Wissenschaftlern mehr als 250 Prozent sein. Da sich die chinesische Wirtschaftskraft in den vergangenen acht Jahren aber mehr als verdoppelt hat, muss sich die Schuldenlast in absoluten Zahlen etwa vervierfacht haben.

Ein Großteil des Geldes fließt in die alte Industrie. Es sind vor allem die Staatsunternehmen, die sich mit billigem Geld verschuldet haben. Insgesamt stehen sie mit umgerechnet mehr als 16 Billionen Euro in der Kreide. Das entspricht gut 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Staatskonzerne produzieren Stahl, Aluminium oder Zement und haben gewaltige Überkapazitäten angehäuft. Ohne den Immobilienboom in Chinas Städten wäre die Auslastung der Staatsbetriebe wohl noch geringer. Doch das führt zum zweiten Problem.

Viele Analysten kommen inzwischen überein, dass etwa die Hälfte der in China getätigten Investitionen mit dem Immobiliensektor zusammenhängt. Angefangen vom Stahl und Zement bis hin zu den Maklergebühren und den Zinsen für einen Kredit. Ohne die große Nachfrage am Häusermarkt wären die nun vorgelegten Wachstumszahlen wohl deutlich schwächer ausgefallen. Schon fragen sich Analysten bange, wie lange der Boom noch anhält.

Allein in Peking sind die Immobilienpreise in diesem Jahr um 25 Prozent gestiegen, in Shanghai um 44 Prozent und in Shenzhen in Südchina gar um 55 Prozent. 55 000 Yuan kostet inzwischen der Quadratmeter in der Hauptstadt, rund 7400 Euro. Bei einem Durchschnittseinkommen von umgerechnet 900 Euro pro Monat.

Mit Mathematik lassen sich viele der Deals nicht mehr begreifen. In Shanghai zum Beispiel werden dieser Tage ganz selbstverständlich Zweizimmerwohnungen für sieben, acht Millionen Yuan angeboten. Die zu erwartende Miete: 7000 bis 8000 Yuan im Monat. Statistisch bräuchte man also 1000 Monate, um die Wohnung abzubezahlen, mehr als 83 Jahre. In Europa wäre das kein attraktives Investment. In China kommt noch eine Verschärfung hinzu: In der Volksrepublik kann niemand eine Wohnung offiziell besitzen, das Bauland gehört dem Staat. Seit der Öffnungspolitik vor knapp 40 Jahren werden Immobilien lediglich für 70 Jahre verpachtet, das ist das chinesische Äquivalent zum Kauf. Was danach geschieht, weiß niemand.

Auch der Mietmarkt hat in den vergangen Jahren angezogen. Gewöhnlich werden in China Ein- oder gleich Zweijahresverträge unterschrieben. Kündigt eine Partei vorzeitig, ist als Vertragsstrafe üblicherweise eine Monatsmiete fällig. Doch was ist schon eine Monatsmiete, wenn man den Vertrag kündigen kann und dieselbe Wohnung demselben Mieter mit 30 Prozent Aufschlag wieder anbieten kann?

Eingriffe der Regierung verpuffen

Um sich eine Stadt wie Peking überhaupt noch leisten zu können, müssen die meisten weit hinaus aus dem Zentrum ziehen. Über hundert Minuten dauert deshalb in Chinas Hauptstadt die durchschnittliche Anreise zum Arbeitsplatz. In keiner Stadt wird länger gependelt.

Die Regierung versucht, den enormen Preiskampf zu dämpfen. In Peking zum Beispiel müssen Erstkäufer von Wohnungen seit Anfang Oktober 35 statt 30 Prozent Eigenkapital vorweisen. Für eine Zweitwohnung müssen 50 Prozent des Kaufpreises angezahlt werden.

Ähnliche Eingriffe in anderen Städten verpufften wirkungslos. Denn für viele Chinesen gibt es keine Alternative zum Immobilienmarkt, um Geld anzulegen. Auf den Sparkonten ist die Rendite gering, die großen Staatsbanken halten die Zinsen klein. Vom Aktienmarkt haben sich viele Anleger nach dem Crash im vergangenen Sommer zurückgezogen. Und wegen der strikten Devisenkontrollen dürfen Chinesen nicht mehr als 50 000 Dollar pro Jahr ins Ausland transferieren.

Was den Markt noch zusammenhält, ist das Urvertrauen in Chinas Regierung.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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