Koalitionsverhandlungen:Eine einmalige Chance

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Die nächste Regierung will die Klimawende einleiten. Anders als früher sind nicht die Unternehmen das Problem, die sind teilweise schon weiter als die Politik. Die muss nun liefern.

Von Marc Beise

Eine Klimaregierung hat die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach der Bundestagswahl versprochen, von einem Politikwechsel spricht die FDP, ein "Neustart" wurde beim SZ-Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung in dieser Woche in Berlin verhandelt. Nach zahlreichen Gesprächen auf allen Ebenen kann man zusammenfassen: Der Wille zum Neuanfang nach 16 zuletzt lähmenden Merkel-Jahren ist überall zu spüren. Am wenigsten vielleicht noch beim wahrscheinlich nächsten Regierungschef Olaf Scholz (SPD) selbst, der - seinem Naturell entsprechend - zurückhaltend bleibt, man könnte auch sagen: ambitionslos.

Dafür vibriert es bei den Grünen und der FDP, in unterschiedlicher Art und Weise und für unterschiedliche Themen - wie sollte das auch anders sein. Die FDP will sich als Hüter der Staatsfinanzen profilieren, aber auch als Treiber bei der Digitalisierung. Die Grünen werden weiterhin vor allem mit ihrem Kernthema Klimawende assoziiert, was das Spitzenpersonal von seinem Anspruch her deutlich unterfordert.

Auffällig ist, mit wie viel Wohlwollen die Unternehmensvertreter das politische Spiel betrachten. Kein Vergleich mit der Situation von vor vier Jahren, als die Wirtschaft regelrecht geschockt war vom Scheitern der Jamaika-Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen und das Gewürge der sich dann notgedrungen etablierenden großen Koalition mit einer Mischung aus Spott und Verärgerung kommentiert wurde.

Die Grünen sind kein Wirtschaftsschreck mehr

Namentlich die Grünen können sich einer für sie ungewöhnlichen Konstellation erfreuen. Galten sie lange als Wirtschaftsschreck, so wird ihnen und namentlich ihrem Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck heute viel Sympathie entgegengebracht. Dass Baerbock im Wahlkampf kurzzeitig in der Pole-Position war und sogar das Kanzleramt nahe war, ist schon fast vergessen. Die Grünen werden als klare Nummer zwei wahrgenommen und auch angenommen. Damit sind auch viele Erwartungen verbunden.

Vor allem ist das Kernanliegen der Grünen in vielen Führungsetagen akzeptiert: dass die deutsche Wirtschaft ökologisch umgebaut werden muss. Man kann sogar sagen: Viele Unternehmen sind hier schon weiter als die Politik, sie trimmen ihre Geschäftsmodelle auf mehr Nachhaltigkeit - aus ökologischer Einsicht, aber auch, weil sie Geschäfte wittern. Und sie wünschen sich nun die Unterstützung der Politik.

Ein Beispiel für viele ist die Deutsche Post. Der weltweit tätige und rekorderfolgreiche Logistiker trägt mit Hunderten Frachtfliegern zur Klimabelastung bei und plant mehrere Milliarden Euro ein, um umweltverträglichen Kraftstoff zu tanken - wenn er denn in der Welt in ausreichendem Umfang angeboten werden würde. Die Forderungen an die Politik sind dringend, mehr Grünstrom zu ermöglichen.

Ein anderes Beispiel ist die Stiftung 2 Grad, die der Handelsunternehmer Michael Otto zusammen mit anderen Großfirmen bereits vor vielen Jahren gegründet hat und die immer mehr Zuspruch erhält, am Mittwoch propagierte sie in Berlin eine Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität. Die Stiftung greift, wie andere Organisationen und Verbände auch, mit Positionspapieren in die Koalitionsverhandlungen ein und formuliert klare Ziele an die Politik, unter anderem für mehr ökologische Infrastruktur: Windparks, Solarzellen, Stromleitungen.

Der Staat will ermöglichen

Die Politik wiederum nimmt diese Herausforderung an, sie versucht gar nicht erst das "Blame Game" ("Tut ihr doch mal was!"), sondern anerkennt, dass sie nun liefern muss. Diskutiert wird nur noch - auch zwischen den potenziellen Regierungspartnern -, wie das Verhältnis sein soll von Regeln und Verboten, steuerlicher Förderung und dem Schaffen eines Gestaltungsrahmens.

Viel spricht dafür, dass der Staat sich vor allem aufs Ermöglichen konzentriert, dass er beispielsweise auch Verfahren verkürzt und Bürokratie abbaut und Zukunftstechnologien großzügig finanziell fördert. Denn anders als früher muss die Wirtschaft in der Summe nicht zu Investitionen in Nachhaltigkeit gezwungen werden, sie will ja investieren - wenn es ihr denn möglich ist. Bessere Ausgangsbedingungen kann eine neue Koalition, die sich als Reform- und Wendeprojekt versteht, gar nicht bekommen. Sie darf diese Chance jetzt nicht verspielen.

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