Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat im Fall Wirecard eine Grundsatzentscheidung getroffen, die die Aufklärung von Wirtschaftsskandalen erleichtert. Die Wirtschaftsprüfer der Prüfgesellschaft EY, die fast ein Jahrzehnt lang die Bilanzen des Finanzkonzerns für in Ordnung befunden hatten, wollen nunmehr im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags reden. Der 19. März ist vorgesehen. Die Prüfer hatten im Herbst unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach unklare Rechtslage die Aussage verweigert. Zwei Prüfer sollten deshalb jeweils 1000 Euro Ordnungsgeld zahlen, was der BGH nun zurückwies (Aktenzeichen StB 44/20).
Laut Bundesgerichtshof genügt es, wenn nach einer Konzernpleite wie bei Wirecard der Insolvenzverwalter die Prüfer von ihrer strengen Schweigepflicht entbindet. Frühere oder noch amtierende Konzernvorstände müssen nicht gefragt werden. Nach Ansicht des BGH entsprach das bisher schon der Rechtslage. Die EY-Prüfer waren aber unsicher gewesen und hatten deshalb auf eine höchstrichterliche Entscheidung gedrungen, um sich wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Schweigepflicht nicht strafbar zu machen.
Prüfer hätten "zahllose Fragen an sich abprallen" lassen
Die rechtlichen Bedenken bei EY hatten zu einer grotesken Situation geführt. Unter Umständen hätte aus Sicht von EY auch die alte Konzernspitze um Markus Braun und Jan Marsalek die Prüfer von deren Schweigepflicht entbinden müssen. Braun sitzt in Untersuchungshaft; Marsalek ist untergetaucht, nach ihm wird weltweit gefahndet. Ihnen werden Bilanzfälschung, Betrug in Milliardenhöhe und weitere Vergehen vorgeworfen. Braun weist das zurück.
Die vier EY-Prüfer, die im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags die Aussage verweigert hatten, waren dafür von Abgeordneten heftig kritisiert worden. Das sei ein "Versteckspiel hinter einer angeblichen Verschwiegenheitspflicht". Zwei EY-Prüfer bekamen ein Ordnungsgeld von jeweils 1000 Euro "aufgebrummt". So berichtete das der Bundestag auf seiner Homepage; mit dem Hinweis, diese beiden Spitzenmanager hätten "zahllose Fragen an sich abprallen" lassen.
Einer der beiden Prüfer wehrte sich über seinen Anwalt Björn Gercke beim Bundesgerichtshof. Dieser Prüfer hatte bereits im Bundestag gesagt, er wolle aussagen, er wolle aber zuvor Rechtssicherheit haben. Das ist nun der Fall. Anwalt Gercke spricht von einer "historischen Entscheidung", mit der nun Rechtssicherheit geschaffen werde. Gercke hatte dem Bundestag selbst vorgeschlagen, den Weg über das Bußgeld und den BGH zu gehen, um für Klarheit zu sorgen. Der Bundesgerichtshof befand nun, die EY-Zeugen im Bundestag hätten eigentlich keinen rechtlichen Grund gehabt, die Aussage zu verweigern. Die Gefahr einer Strafverfolgung habe nicht bestanden. Die EY-Prüfer hätten aber "nicht schuldhaft das Zeugnis" verweigert.
Ein Ordnungsgeld setze eine Schuld voraus, so der BGH. Dies fehle, wenn der Betroffene sich in einem "unvermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens" befunden habe. Der BGH verwies darauf, dass in dieser Sache unterschiedliche Entscheidungen von Oberlandesgerichten vorliegen würden; bisher habe eine höchstrichterliche Entscheidung gefehlt. Eine solche liegt nun vor.