Windenergie:Boom zur See

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Der Offshore-Windpark "Butendiek", etwa 30 Kilometer vor der Insel Sylt in der Nordsee. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Auf Nord- und Ostsee sollen so viele Windräder Platz bekommen, dass sie viermal so viel Strom erzeugen wie jene, die jetzt schon da stehen. Das ist noch nicht alles.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wer lange nicht mehr die Nordsee von oben gesehen hat, erkennt das Meer stellenweise nicht wieder. In langen Reihen stehen hier mittlerweile die Windräder, dazwischen immer wieder Plattformen, von denen aus der Strom an Land fließt. Insgesamt 1537 Windräder zählt die Bundesnetzagentur mittlerweile in Nord- und Ostsee, bei gutem Wind bringen sie die Leistung von acht sehr großen Kraftwerken: 8,1 Gigawatt. Und das ist erst der Anfang.

Seit Freitag gibt es einen neuen Plan, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat ihn vorgelegt. Vor allem in der Nordsee legt er neue Flächen fest, in denen in den nächsten Jahren Windparks errichtet werden können. Würden alle Flächen, die der Plan ausweist, tatsächlich mit Windparks bebaut, ließe sich dort viermal so viel Strom erzeugen wie bisher: Schätzungsweise 36,5 Gigawatt Leistung stünden hier. Zum Vergleich: Alle Windräder an Land zusammen kommen derzeit auf 58 Gigawatt Kapazität. Ein "Meilenstein für die Ausbauziele 2030" sei erreicht, jubelt der Branchenverband BWO. Das Ziel liegt bei 30 Gigawatt. 2045 sollen sogar Windräder mit 70 Gigawatt Leistung in der deutschen See stehen. Fast zehnmal so viel wie heute.

Mehr als ein Jahr dauerten die Vorarbeiten an dem Plan, er soll insbesondere die Interessen der Schifffahrt berücksichtigen. Für sie bleiben feste Korridore. Auch ist die "Ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ) Deutschlands, in der die Windparks entstehen sollen, ein geografisches Unikum. Spitz zulaufend ragt sie in die Nordsee, ihrer Form wegen trägt sie den Namen "Entenschnabel". Die meisten der festgelegten Flächen liegen, um im Bild zu bleiben, nicht im Schnabel, sondern im Kopf dahinter, aber immer noch fernab vom Festland. Auch in der Ostsee liegen die neuen Flächen meist am Rand der AWZ.

Noch nie war der Bau neuer Windräder so einfach wie heute

Der Plan ist nicht nur Voraussetzung für den Bau von Windrädern, sondern auch der nötigen Stromnetze. Idealerweise wird die Steckdose im Meer zum gleichen Zeitpunkt fertig wie die Windparks. Die Veröffentlichung des Plans zeige, "dass wir Planungsbeschleunigung ernst meinen", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) - "nun geht es an die Umsetzung".

Die Gelegenheit ist günstig, denn nie war der Bau neuer Windräder so einfach wie heute. Eine Neufassung des Ökostrom-Gesetzes spricht der Errichtung neuer Anlagen ein "überragendes öffentliches Interesse" zu. Das macht Genehmigungen einfacher. Erst am Donnerstag hatte das Verwaltungsgericht Köln mit Hinweis auf diese neue Regel einen Eilantrag des Naturschutzbundes Nabu zurückgewiesen - er hatte den Windpark Butendiek vor Sylt stoppen wollen, der dort vorkommenden Seetaucher wegen, einer Vogelart. Einstweilen darf der Windpark nun weiterlaufen. Und auch auf europäischer Ebene stehen die Zeichen derzeit auf Beschleunigung: Anfang des Jahres ist die "Notfall-Verordnung" der EU in Kraft getreten, sie soll den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben - als Antwort auf die Energiekrise. Sie sieht, befristet auf 18 Monate, ebenfalls Ausnahmen vor. In Vorranggebieten können so aufwendige Umweltprüfungen entfallen - auch zur See.

Viel spricht für einen neuen Run auf Windprojekte - zumal in diesem Jahr so viele Kapazitäten ausgeschrieben werden wie nie. Insgesamt 8,8 Gigawatt neue Leistung sollen in zwei Ausschreibungsrunden die nötigen Investoren finden. Davon sind sieben Gigawatt noch nicht voruntersucht, müssen also noch einen zusätzlichen Genehmigungsprozess durchlaufen. Ursprünglich sollte per Ausschreibung ermittelt werden, wie viel garantierte Förderung Windräder für den eingespeisten Strom bekommen. Doch bei jüngsten Runden verzichteten die Wind-Investoren auf jegliche Förderung: Die Sache rechnet sich auch so. Nicht ausgeschlossen, dass Interessenten demnächst zahlen müssen, um einen Zuschlag zu bekommen. Die deutsche See boomt.

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