Die Metropolen in Deutschland wachsen und wachsen. Wie aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hervorgeht, können Großstädte ab 500 000 Einwohnern und Ballungsräume im Gegensatz zu ländlichen Gebieten mit einem deutlichen Plus an Neubürgern rechnen. Das Ausmaß der Binnenwanderung hat selbst Experten überrascht. Was das für die Belastung der Infrastruktur bedeutet, ist überall zu beobachten. Und weil zwar gebaut wird, aber nie genug, nimmt der Wohnungsmangel zu, und die Mieten steigen. Immer mehr Bewohner äußern ihre Bedenken, dass jedes freie Fleckchen, jedes Stückchen Grün zugebaut wird. Sie stellen die Wachstumsziele der Städte generell infrage.
Die Planungsreferate und Bauträger haben sich mittlerweile daran gewöhnt: Überall, wo neue Wohnungen entstehen sollen, regt sich Widerstand. Mithilfe von Unterschriftensammlungen und Rechtsanwälten kämpfen Bürger vehement gegen kleine wie große Projekte sowie städtebauliche Entwicklungen - obwohl die Bürgerbeteiligung in den Planungsprozessen eine immer größere Rolle spielt. Zum Beispiel in Hamburg: Dort hatten massive Bürgerproteste bewirkt, dass die Bayerische Hausbau die maroden Esso-Häuser auf St. Pauli nicht wie geplant durch neue Eigentumswohnungen und Gewerbeimmobilien ersetzen konnten. Erst nach einem aufwendigen Bürgerbeteiligungsverfahren, das die Hamburger Steuerzahler 250 000 Euro kostete, wurde im vergangenen Jahr ein Kompromiss erzielt. Die Bayern verloren drei Jahre, mussten ihr Konzept grundlegend ändern und teure Zugeständnisse machen. Gegen ein weiteres Großprojekt, das riesige Einkaufszentrum in der Hafencity von Unibail Rodamco, formierte sich spät, aber um so nachdrücklicher der Protest der Bürger. Inzwischen wurde ein Eilantrag gegen die Genehmigung der Baugrube für das südliche Überseequartier eingereicht.
"Es wird dazu kommen, dass Münchens letzter Quadratmeter zugebaut wird."
Der Protest gegen neue Vorhaben stößt bei manchen auf nur wenig Verständnis. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust schreibt von einer Verhinderungsdemokratie und Hamburgs scheidender Oberbaudirektor Jörn Walter klagte, dass es immer schwieriger werde, architektonisch Außergewöhnliches zu planen. Die Elbphilharmonie und die Hafencity (vom damaligen Bürgermeister Voscherau im Geheimen geplant) hätte es, da sind sich Immobilienexperten einig, nicht gegeben, wenn man die Hamburger um ihre Meinung gebeten hätte.
Es sind aber keineswegs nur Partikularinteressen von betroffenen Anwohnern, die hinter der zunehmenden Wachstumsskepsis stehen. Naturschutzverbände protestieren gegen das ihrer Meinung nach planlose Wachsen der Städte ohne Rücksicht auf die Natur. In Hamburg startet noch in diesen Jahr eine Volksinitiative als Vorbereitung für einen Volksentscheid gegen die weitere Bebauung von städtischen Grünflächen mit Wohnungen. Die Initiative "Hamburgs Grün erhalten" will das städtische Grün nach Fläche, Volumen und Naturwert mindestens erhalten. Das heißt, es sollen keine Naturflächen mehr bebaut werden dürfen, wenn nicht an anderer Stelle im gleichen Umfang neues Grün durch Renaturierung entsteht.
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) will den Protest professionell organisieren, Bündnispartner werden gesucht. Der Erfolg scheint sicher zu sein. Bei mehr als 20 000 Mitgliedern dürfte es nur eine Frage von Tagen sein, die nötigen 10 000 Unterschriften zusammenzubekommen. Mithilfe anderer Umweltschutzverbände dürfte auch die Hürde von 60 000 Unterschriften für ein Volksbegehren locker genommen werden. Hamburgs Grün- und Baumverluste haben sich durch den Wohnungsbau gerade in den vergangenen fünf Jahren zugespitzt, so der Nabu. Allein zwischen 2011 und 2016 wurden 246 Hektar Grünflächen für Neubauten verbraucht, es gab insgesamt 110 Bebauungspläne. Fast 2900 Bäume sind dadurch aus dem Stadtbild verschwunden. Auch die weiteren Pläne des Senats hätten eine "dramatische Dimension", sagte der Nabu-Vorsitzende Alexander Porschke, früherer Umweltsenator der Stadt. Für den neuen Stadtteil Oberbillwerder würden 100 Hektar landwirtschaftliche Fläche gebraucht, für das Gebiet Fischbeker Reethen 80 Hektar.
Das vom Senat geförderte Wachstum der Stadt sei kein Wert an sich, es führe zur Überlastung von Infrastruktur und Natur, während die Peripherien ausbluteten, sagt Porschke und fordert mehr Zusammenarbeit mit den Nachbarländern. "Da wird Husum die Windmesse nicht gegönnt und Wilhelmshaven nicht der Jade-Weser-Port. Damit zerstört Hamburg seine Lebensqualität und Attraktivität."
Auch in München schlägt der Bund Naturschutz (BN) angesichts neuer Prognosen, dass die Stadt bis 2035 noch viel stärker als bisher erwartet wachsen wird, Alarm. Christian Hierneis, Kreisvorsitzender des BN: "Es gibt offensichtlich kein Halten mehr. Es wird dazu kommen, dass Münchens letzter Quadratmeter zugebaut wird." Die Grünflächen und Äcker seien dringend nötig, ob für Natur, Klimaschutz, Erholung oder regionale Lebensmittel.
Für artenschutzrechtlichen Ausgleich stehen kaum noch Flächen zur Verfügung
"Bevor ich über massives Wachstum nachdenke, brauche ich doch eine langfristig tragfähige Strategie. Die Politik hat aber keine", kritisiert Hierneis. Deshalb müsse die Stadt zum Beispiel aufhören, für sich zu werben. Hierneis fordert, keine einzige Grünfläche mehr zu bebauen, solange keine langfristige Strategie für die Stadt und die Region München vorliegt. Deshalb arbeitet er an einem Grundsatzpapier, um die Entwicklung in andere Bahnen zu lenken.
"In Berlin ist die Bauwut aufgrund des hohen Zuzugs und der prosperierenden Wirtschaft noch stärker als in anderen Städten", sagt Jutta Sandkühler, Geschäftsführerin des Nabu Berlin. Reagiert werde mit der Bebauung der letzten innerstädtischen Brachen und der Entwicklung neuer Stadtquartiere auf der grünen Wiese. Inzwischen werden die letzten bebaubaren Landesflächen an die Wohnungsbaugesellschaften übertragen, für artenschutzrechtlichen Ausgleich stehen kaum noch Flächen zur Verfügung. Eine Folge der Liegenschaftspolitik der Neunzigerjahre, in denen Berlin sein Tafelsilber verkaufte, um den defizitären Haushalt zu sanieren.
Auch Sandkühler kritisiert die Stadtplanung, bei der Umweltbelange "einfach "vergessen" würden. Intensive Lobbyarbeit und die Kampagne "Immer Grün" der Berliner Naturschutzverbände 2016 haben zwar dazu geführt, dass der neue Senat im Koalitionsvertrag die Absicht verankert hat, wertvolle grüne Freiflächen über einen Stadtvertrag zu sichern. "Allein die Umsetzung fehlt", kritisiert Sandkühler. "Während für Wohnimmobilien Vorkaufsrechte ausgeübt werden, ist im neuen Doppelhaushalt kein Cent für die Sicherung der Freiflächen vorgesehen." Nicht einmal die explizite Absicht, wenigstens in ausgewählten Stadtquartieren den Naturschutz besonders zu integrieren, werde umgesetzt. Ein Beispiel dafür sei der ehemalige Güterbahnhof Köpenick. Die Zusage, hier vorhandene Biotope zu schützen, werde in der Planung schlicht ignoriert, so Sandkühler. Der Nabu Berlin will weiter den Finger in die Wunde legen. Auch in der Hauptstadt könnte bald abgestimmt werden: Die Naturschützer überlegen, ebenfalls eine Volksinitiative zum Erhalt des Berliner Grüns anzustrengen.