VW:Prozess um Abgasaffäre ist in Gefahr

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Braucht dringend eine Hüftoperation, aber muss vorher erst eine langwierige Verletzung ausheilen: Martin Winterkorn. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Laut einem Gutachten der Uni-Klinik München ist Ex-VW-Chef Winterkorn krank. Ein schneller Prozess gegen ihn ist fraglich.

Von Klaus Ott, München

In sieben Wochen, am 25. Februar, soll nach jahrelangen Ermittlungen in der Abgasaffäre der Betrugsprozess gegen den ehemaligen Volkswagen-Chef Martin Winterkorn und andere Angeklagte beginnen. Doch ob das klappt, zumindest so schnell, ist fraglicher denn je. Winterkorn geht es gar nicht gut. Das besagt nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und NDR ein vom Landgericht Braunschweig in Auftrag gegebenes ärztliches Gutachten der Uni-Klinik München.

Die Klinik hat den 73-jährigen Ex-Manager, der seit Längerem im Rollstuhl sitzt, im Dezember untersucht. Das Ergebnis bestätigt im Kern Atteste, die Winterkorns Anwalt Felix Dörr im vergangenen Herbst bei Gericht eingereicht hatte. Der frühere Vorstandschef bedarf dringend einer Hüftoperation. Zuvor muss aber eine Beinverletzung ausheilen, die sich als langwierig erweist. In sechs bis zwölf Monaten, so die ärztliche Expertise, könnte es Winterkorn wieder besser gehen. Nun muss das Landgericht Braunschweig entscheiden, ob es so lange warten will oder nicht.

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Offiziell hält die Justiz an ihrem Zeitplan fest. "Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir von einem geplanten Prozessbeginn am 25. Februar im großen Saal der Stadthalle Braunschweig aus", teilte das Landgericht am Donnerstag auf Anfrage mit. Zum Gesundheitszustand von Winterkorn äußerte sich das Gericht nicht. Auch Winterkorns Anwalt Felix Dörr schweigt. Und die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die den ehemaligen Vorstandschef und vier einstige Kollegen von ihm angeklagt hat, verweist auf das Gericht. Es liege in dessen Verantwortung, wie mit Winterkorns Erkrankung umzugehen sei.

Volle Verhandlungstage wären wohl schwer möglich

Das Gutachten der Uni-Klinik München besagt nicht, dass der 73-Jährige verhandlungsunfähig sei. Das Gericht könnte also mit dem Prozess beginnen und Winterkorn im Rollstuhl in die Stadthalle schieben lassen. Das könnte aber gleich mehrere Probleme aufwerfen. Volle Verhandlungstage wären angesichts Winterkorns Gesundheitszustand wohl schwer möglich. Das würde den Prozess, der ohnehin ein bis zwei Jahre dauern wird, noch weiter in die Länge ziehen. Zum Unwillen vieler Beteiligter.

Hinzu kommt: Winterkorns unumgängliche, aber jetzt noch nicht mögliche Hüftoperation müsste im Verlaufe des Prozesses erfolgen. Der Ex-VW-Chef könnte länger ausfallen, sein Gerichtsverfahren müsste möglicherweise neu angesetzt werden, während das alte Verfahren gegen die anderen vier Angeklagten weiterliefe. Dann würden am Landgericht zwei Prozesse zu derselben Anklage parallel laufen; viele Sachverhalte müssten zwei Mal erörtert werden.

Andererseits soll nicht der Eindruck entstehen, dass in einem der größten deutschen Industrieskandale mit Winterkorn ausgerechnet der langjährige, wegen seiner üppigen Gehälter und Boni öffentlich umstrittene Konzernchef geschont werde. In Winterkorns Amtszeit hat Volkswagen Millionen Kunden Dieselfahrzeuge, die Dreckschleudern waren, als saubere und umweltfreundliche Autos verkauft. Bei Winterkorn, der laut Anklage erst spät von den Manipulationen erfahren haben soll, geht es nur um einen ganz kleinen Teil dieser Fahrzeuge. Aber es geht auch ums Prinzip: Klärt die Justiz bis ganz oben, wer schuldig ist und wer nicht? Winterkorn bestreitet die Betrugsvorwürfe.

Für das Landgericht ist das eine komplizierte Gemengelage, auch wegen der Pandemie. Die als Prozessort gewählte Stadthalle soll große Abstände ermöglichen. Ein anderer Teil der Halle dient als Corona-Impfzentrum. Das Gericht sagt, das habe "nach derzeitigem Sachstand keine Auswirkungen für die Prozessbeteiligten oder auf den Prozessablauf".

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