Der ehemalige Vorstand der vom Staat massiv gestützten Hypo Real Estate (HRE) war frühzeitig im Bilde über finanzielle Risiken bei der Bank, die im Herbst 2008 kurz vor der Pleite stand und vom Bund mit hohem finanziellen Aufwand gerettet wurde. Das geht aus dem Entwurf für einen Sonderprüfbericht hervor, den die HRE im Jahr 2009 selbst in Auftrag gegeben hatte.
Darin sind zahlreiche Mails von Vorständen mit deutlichen Warnungen zitiert. So hatte sich der damalige Vorstandschef Georg Funke bereits am 19. März 2008 in einer als "vertraulich" gekennzeichneten Mail an einen Vorstandskollegen und an Aufsichtsratschef Kurt Viermetz gesorgt, dass der Bank irgendwann das Geld ausgehen könnte. "Funding und Liquidität", schrieb Funke, seien "unsere größte offene Flanke". Mit Funding ist Geldbeschaffung gemeint. Schon jetzt, klagte Funke in der Mail, habe man "einen noch höheren Fundingbedarf als notwendig". Man müsse "diese Beträge wie einen Schnellball bereits jetzt erneut refinanzieren".
Die Bundesregierung hatte die HRE im Herbst 2008, auf dem Höhepunkt der internationalen Bankenkrise, mit hohem finanziellen Einsatz vor der Pleite bewahrt. Die staatlichen Garantien für die HRE hatten sich später auf bis zu 142 Milliarden Euro belaufen. Die Kapitalhilfen des Bundes betragen inzwischen 9,5 Milliarden Euro.
Die inzwischen längst verstaatlichte HRE hatte im August 2008 den Stuttgarter Wirtschaftsprüfer Wolfgang Russ mit einer Sonderprüfung beauftragt. Ein 870-seitiger Prüfentwurf vom November 2012 enthält zahlreiche Details, was in der Bank vor deren Zusammenbruch geschah. Demnach wurden die Risiken zwar erkannt, aber den Aktionären und der Öffentlichkeit verschwiegen. So notierte bereits am 7. Januar 2008 eine Mitarbeiterin der irischen Tochterbank Depfa in einer Mail, dass man in den nächsten 12 Monaten 25 Milliarden Euro an langfristigen Krediten benötige. "Das sind in jeder Hinsicht extrem große Zahlen, und es wird extrem schwer, das in diesem Jahr hinzubekommen."
"Der Vorstand der HRE hätte ein Liquiditätsnotfallkonzept aufstellen müssen"
Den Erkenntnissen des Sonderprüfers zufolge spitze sich die Lage dann ab März 2008 zu einer "besorgniserregenden Liquiditätslage" zu. Doch noch im August 2008 hatte die HRE in einem Zwischenbericht für das erste Halbjahr versichert, dass selbst in einem "worst-case-szenario" sichergestellt sei, dass die Hypo Real Estate Gruppe sowie ihre Tochterbanken "jederzeit uneingeschränkt zahlungsfähig sind". Als im September 2008 nach der Pleite der US-Großbank Lehman Brothers der "worst case" passierte, traf das nicht mehr zu.
Aus dem Berichtsentwurf geht hervor, dass die Staat womöglich einiges an Geld hätte sparen können, wenn Funke bei Zeiten ein Notfallkonzept erarbeitet und um staatliche Hilfe gebeten hätte, statt die Notlage zu vertuschen. Wörtlich heißt es dazu auf Seite 862 des Entwurfs: "Der Vorstand der HRE hätte im März 2008 ein Liquiditätsnotfallkonzept ... aufstellen müssen, um rechtzeitig einen konkreten Maßnahmenkatalog im Fall einer existenzbedrohenden Liquiditätsverknappung in der 'Schublade' zu haben, sowie proaktiv auf die Bankenaufsicht herantreten sollen. Eine 'staatlich gelenkten Lösung' musste viel früher seitens des Vorstands der HRE gesucht werden, um angemessene Reaktionszeit und ausreichenden Verhandlungsspielraum zu wahren. Dies hätte in Eile organisierte 'Rettungswochenenden' vermutlich überflüssig gemacht und mehr Zeit für die Suche nach einer für die Bundesrepublik Deutschland mit geringeren Kosten verbundene Lösung ermöglich."
Am letzten September- und ersten Oktoberwochenende 2008 hatten Bund, Bankenaufsicht und Großbanken nacheinander die Rettungspakete für die HRE mit den ersten Garantien in Höhe von 50 Milliarden Euro beschlossen. Bei der Kritik am alten HRE-Vorstand im Entwurf für den Prüfbericht handelt es sich um vorläufige Wertungen, die sich noch ändern können.
Den vollständigen Bericht zur "Geheimakte HRE" lesen Sie in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung und in der digitalen Ausgabe.