Volkswagen:Wie der Chefjustiziar VW beim Bier gerettet hat

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Einflussreich und mächtig: Manfred Döss ist bislang Chefjustiziar der Volkswagen AG. (Foto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa)

Manfred Döss hat den Autokonzern in der Abgasaffäre vor der Pleite bewahrt. Jetzt soll der Jurist in den Vorstand des Volkswagen-Konzerns aufrücken - den Herbert Diess offenbar auch weiterhin führen soll.

Von Max Hägler und Klaus Ott, Schaprode/München

Manfred Döss gehört zu den vier, fünf wichtigsten Managern bei Volkswagen, aber an Statussymbolen liegt ihm offenbar nichts. Selbst in Corona-Zeiten kam es vor, dass er bedeutende Außenstellen des Autokonzerns per Zug und S-Bahn aufsuchte. Ein Rollköfferchen hinter sich herziehend, statt sich in einer Luxuslimousine vorfahren zu lassen. Und sich bei Besprechungen mit Butterbrezen aus der Kantine begnügend. Hauptsache, er kann sagen, was er zu sagen hat.

Und Döss, 63 Jahre, Jurist, hat eine Menge zu sagen im weltweiten VW-Imperium. Obwohl er bislang nicht einmal dem Konzernvorstand angehört - den Herbert Diess führt und zwar offenbar auch weiterhin. Leiter Rechtswesen, lautet Döss' Titel. Oder auch Chefjustiziar. Das mit dem Justiziar ließe sich in diesem Wort leicht streichen. Volkswagen hat eigentlich zwei Chefs: Herbert Diess für das laufende Geschäft. Und Manfred Döss für die Bewältigung der Abgasaffäre, bei der es um nichts weniger als die Existenz des Autokonzerns mit mehr als 650 000 Beschäftigten geht.

Dass der zupackende Jurist jetzt als Vorstand für Integrität und Recht in die Chefetage aufrücken soll, ist eher eine Formalie. Die Macht, die Döss damit offiziell bekäme, hat er sich faktisch schon längst verschafft: Macht durch harte Arbeit, durch gute Beziehungen und vor allem durch große Erfolge. Zwei Mal hat der versierte Jurist, der gleichermaßen hart und umgänglich sein kann, in höchster Not geholfen. Zum Wohle des Konzerns und zum Wohle seiner Haupteigner, der Familien Porsche und Piëch.

Das Imperium der Porsches und Piëchs geriet in Gefahr, der Anwalt konnte helfen

Die beiden Milliardärsclans haben Döss, der seit Langem zu den einflussreichsten Firmenanwälten in Deutschland zählt, viel zu verdanken. Nach einer heftigen Übernahmeschlacht zwischen dem kleinen Sportwagenbauer Porsche in Stuttgart und dem großen VW-Konzern in Wolfsburg war der Verdacht aufgekommen, der Börsenkurs von Volkswagen sei manipuliert worden. Aktionäre und Investoren klagten auf Schadenersatz in Milliardenhöhe, das Imperium der Porsches und Piëchs war in Gefahr. Doch der von den Porsches und Piëchs angeheuerte Döss wehrte alle Angriffe ab.

Dann kam die noch viel bedrohlichere Abgasaffäre. Vorstand und Aufsichtsrat ließen Döss machen. Der reiste mehrmals in die USA, wo die Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen aufgeflogen waren. Und wo Schadenersatzzahlungen und Strafen von mehr als 60 Milliarden Dollar drohten. VW-Manager hatten US-Behörden jahrelang getäuscht und für dumm verkauft; es galt erst mal, überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen.

Hiltrud Werner kümmert sich bislang um den Bereich Compliance und wird demnächst wohl ausscheiden. (Foto: MDR; Hoferichter&Jacobs)

Döss und seine Leute seien "wie die letzten Arschlöcher" behandelt worden, sagt einer, der das damals erlebt hat. In den ersten Verhandlungsrunden habe es für die deutschen Gäste nicht mal ein Glas Wasser gegeben. Doch Döss und der seinerzeitige VW-Einkaufsvorstand Francisco Javier García Sanz schafften es, die Fronten aufzubrechen. Irgendwann wurde dann sogar Bier gezapft. Und wo besser als beim Bier lassen sich Kompromisse schließen. Mit Döss kann man das, er ist dem Humor und der Ironie nicht abgeneigt, auch mit Blick auf sich selbst: Natürlich könne man ihn angreifen, sagte er einmal und grinste. Aber dann müsse man schon sein Format im Kopf behalten. Döss ist, um es mal so auszudrücken, eher von Großformat.

Am 11. Januar 2017 unterzeichnete dieser Mann dann als "General Counsel" von VW ein Dokument, das die finanzielle Last für den Autokonzern in den USA auf rund die Hälfte des ursprünglich drohenden Betrages begrenzte. Döss schaffte es sogar, manche Sachverhalte auszuklammern, die für Volkswagen im Rest der Welt hätten teuer werden können. Und die Vorstandschefs, erst Matthias Müller und jetzt Herbert Diess, waren und sind froh, dass da jemand für sie die Kartoffeln aus dem Feuer holt.

Schön früh musste sich Döss um knifflige Fälle kümmern

Der aus Rheinhessen stammende Döss hat Jura in Mainz studiert, war dort dann Assistent an der Universität, bevor Stationen beim Anlagen-Hersteller MG Technologies und beim Energiekonzern RWE folgten. Schon dort musste sich Döss um knifflige Fälle kümmern, die er teils auf unkonventionelle Weise zu lösen suchte; lieber im Hintergrund agierend. Einer, der ihn gut kennt, beschreibt ihn so: Er schlägt seine Schlachten in Verhandlungsrunden und bei Gericht, aber nicht über die Medien. Und gerade beim Energiekonzern RWE hat er gelernt, mit komplexen Eigentümerstrukturen umzugehen: Auch dort redet der Staat mit, auch dort gibt es sehr starke Arbeitnehmervertreter.

Später machten ihn die Porsches und Piëchs zum Rechtsvorstand ihrer Holding Porsche SE, des Hauptaktionärs von Volkswagen. Außerdem wurde Döss auch Leiter Rechtswesen bei VW. Im Autokonzern war er formal den für das Rechtswesen zuständigen Vorstandsmitgliedern unterstellt. Das war zuerst die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt und dann deren Nachfolgerin Hiltrud Werner, die demnächst wohl ausscheiden wird.

Die erste Konstellation war konfliktbeladen, Hohmann-Dennhardt wollte eigentlich die US-Verhandlungen selbst führen, was aber wohl schwierig gewesen wäre wegen der sprachlichen Hürde. Ihre Vorstandsnachfolgerin Werner hingegen akzeptierte die Aufteilung: Döss, der Mann für die harten Paragrafen. Sie hingegen kümmerte sich vor allem um die politische Seite des Rechts - etwa die herausfordernde Betreuung der US-Börsenaufsicht - und den gerade bei Volkswagen so wichtigen Aspekt der Rechtstreue, neudeutsch Compliance genannt: Wann sollte ein untergeordneter Ingenieur zweifelhafte Arbeitsaufträge eines Vorgesetzten melden? Wie können Frauen in diesem männerlastigen Unternehmen gut arbeiten? Wie lässt sich der Begriff Diversity buchstabieren? Und: Wann lässt sich ein großes technisches Versprechen an Kunden womöglich kaum einhalten?

Ob Döss nun auch gute Arbeitskultur zu seinem Thema macht? Beobachter zweifeln ein wenig daran - aber verweisen auf eine andere Stärke, jene der Machtkultur: Hohmann-Dennhardt und Werner waren Döss indes zugleich gewissermaßen untergeordnet - denn er ist auch Vorstand der VW-Eigentümergesellschaft Porsche SE. Solch verworrene Konstellationen, die einem zuträglichen Miteinander abträglich sind, finden sich immer wieder mal bei Volkswagen. VW ist kein normaler Konzern, wie die vielen Affären und Machtkämpfe der vergangenen Jahre zeigen. Um sich bei Volkswagen behaupten zu können, braucht es offenbar Ellenbogen aus Edelstahl. Genau die werden Döss nachgesagt.

Und die soll er in einem Team einsetzen, das offenbar weiterhin von Herbert Diess geführt werden soll. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte davon berichtet, dass eine Lösung im Führungsstreit gefunden worden sei, und auch die Süddeutsche Zeitung hat am Montagabend entsprechende sanfte Fingerzeige wahrgenommen - allerdings ist die Lage noch zu uneindeutig, um die Krise für zu beendet zu erklären. Zumindest als wahrscheinlich gilt nun, dass eintritt, was alle erwartet haben: VW-Markenchef Ralf Brandstätter soll die Führung der sogenannten Volumen-Marken von Diess übernehmen. Er wäre dann der dritte Neuzugang im Konzernvorstand, neben der IT-Vorständin Hauke Stars und eben - Manfred Döss.

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