USA:Verkehrte Welt

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Zu Besuch im Weißen Haus (von links): Amazon-Chef Jeff Bezos, Larry Page (Alphabet), Sheryl Sandberg (Facebook) mit Vize-Präsident Mike Pence und Donald Trump im Jahr 2016. (Foto: TIMOTHY A. CLARY/AFP)

Lange Zeit waren die Republikaner mit der Großindustrie verbandelt, die Demokraten mit den Tech-Konzernen. Doch die alten Allianzen lösen sich immer mehr auf - was bleibt, ist Wirrwarr.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Welche Revolution da im Gange ist, konnte man vor Monaten im kleinen Industriestädtchen Bessemer im US-Bundesstaat Alabama beobachten. Rund 2500 Mitarbeiter des örtlichen Amazon-Logistikzentrums stimmten darüber ab, ob sie eine Art Betriebsrat gründen und Verhandlungen mit der Führung des Onlinehandelsriesen künftig weitgehend der Gewerkschaft RWDSU überlassen sollten. Das allein war schon ungewöhnlich genug, denn die Gewerkschaften in den Vereinigten Staaten vertreten nach langem Niedergang gerade einmal noch einen von zehn Beschäftigten und sind damit alles andere als in Mode. Die eigentliche Sensation aber war eine andere: Unterstützung erhielten die aufmüpfigen Lagerarbeiter ausgerechnet vom republikanischen Senator Marco Rubio, einem Vertreter jener Partei, die bei jedweder Ausweitung von Arbeitnehmerrechten sonst empört "Sozialismus!" ruft.

Verkehrte Welt in Alabama - aber nicht nur dort: Im ganzen Land ist ein Umbruch im Gange, der althergebrachte Allianzen zwischen Politik und Wirtschaft hinwegfegt und in vielen Firmenzentralen wie auch auf den Fluren des Kongresses in Washington für jede Menge Unruhe sorgt. Jahrzehntelang war klar gewesen: Die Republikaner sind die Partei des "Big Business", der großen Industriekonzerne und ihrer Geldgeber an der Wall Street also, lediglich die vergleichsweise junge Tech-Branche mit ihren Turnschuhe tragenden, vermeintlich sozialliberalen Firmenchefs zählte zum Lager der Demokraten. Die Gewerkschaften wiederum wurden zwischen der offen feindseligen Haltung vieler Republikaner und der weitgehenden Ignoranz der Demokraten regelrecht zermahlen.

Seit beide große Parteien aber in eine Art Identitätskrise geschlittert sind, haben Manager und ihre Verbände kaum noch Anhaltspunkte, an wen sie sich wenden können. Bei den Demokraten etwa ringen konservative, wirtschaftsfreundliche Kräfte mit den Kolleginnen und Kollegen vom linken Flügel, die einen Sozialstaat nach europäischen Vorbild einführen wollen - mit höheren Löhnen für Arbeitnehmer und höheren Steuern für Firmen und Vermögende. Bei den Republikanern wiederum streiten Zöglinge des Populisten Donald Trump, die Protektionismus und Nationalismus predigen, mit Traditionalisten und Libertären, die auf freie Märkte und weitgehend schrankenloses Unternehmertum setzen. Nicht "Big Business" ist für Letztere das eigentliche Problem, sondern "Big Government" - eine vermeintlich aufgeblähte, ihre Kompetenzen permanent überschreitende Regierung, die Firmen durch Markteingriffe und Regularien gängelt.

Rechte Republikaner und linke Demokratinnen sitzen plötzlich in einem Boot

Das Ergebnis sind Konstellationen und Allianzen, die in den Firmenzentralen jede politstrategische Planung beinahe unmöglich machen. Da blockiert etwa der demokratische Senator Joe Manchin gemeinsam mit den Republikanern das Sozial- und Klimaschutzprogramm von Präsident Joe Biden, weil es angeblich ebenso unnötig wie teuer ist - und weil es der Kohleindustrie in Manchins Heimatbundesstaat West Virginia schadet. Auf der anderen Seite findet sich die linksgerichtete demokratische Abgeordnete Ilhan Omar plötzlich in einem Boot mit dem republikanischen Senator und Rechtsausleger Tom Cotton wieder, wenn es um die Forderung geht, große Tech-Konzerne wie Facebook aufzuspalten. Zwar haben beide unterschiedliche Motive - Omar geht es um Datenschutz, Marktmacht und generelle Konzernskepsis, Cotton vor allem um den Vorwurf, die Facebook-Mutter Meta unterdrücke in den sozialen Netzwerken des Firmenverbunds konservative Stimmen. Das ändert aber nichts daran, dass Unternehmen nicht mehr wissen, auf welcher Seite sie nach Verbündeten suchen sollen.

Wohl kaum etwas macht die tektonische Verschiebung so deutlich wie das Auseinanderdriften der Republikaner und ihres einst wichtigsten Verbündeten, der US-Wirtschaftskammer. Jahrzehntelang zogen die Partei Ronald Reagans und die größte Wirtschaftsvereinigung des Landes an einem Strang - bis Donald Trump kam. Seine Politik der Strafzölle, der versuchten Marktsteuerung und der Beleidigung politisch missliebiger Manager war das Gegenteil dessen, was der Lobbyverband traditionell politisch vertrat. Viele Kammermitglieder waren zudem regelrecht angewidert, als der damalige Präsident und viele seiner Adlaten sich 2017 weigerten, die Ermordung einer Trump-kritischen Demonstrantin durch einen rechtsradikalen Täter in Charlottesville unmissverständlich zu verurteilen. Trumps Lügen über die angeblich verschobene Präsidentschaftswahl 2020 und der Sturm eines rechtsgerichteten Mobs auf das Kapitol wenige Wochen später besorgten den Rest.

Zu einem ersten echten Zerwürfnis war es bereits gekommen, als die Unternehmervereinigung vor den Wahlen zum Repräsentantenhaus im vergangenen Jahr eine Empfehlung für 23 demokratische Bewerber abgab. Senator Cotton etwa bezeichnete den Verband als "Handlanger politisch überkorrekter Firmen". Die Kammer wiederum warf der Mehrheit der Republikaner zuletzt vor, Bidens Infrastrukturgesetz trotz weitgehender Einigkeit in der Sache aus rein parteitaktischen Erwägungen abzulehnen. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup haben nur noch 20 Prozent der republikanischen Parteigänger größeres Vertrauen in die Konzerne des Landes, zwölf Prozentpunkte weniger als nur ein Jahr zuvor.

Firmenchefs müssen immer öfter in gesellschaftlichen Fragen Position beziehen

Nun könnte man meinen, dass die Misstöne zwischen den Republikanern und der Kammer den Demokraten in die Hände spielen - und tatsächlich, in Einzelfällen kam es zu einer Annäherung. Das fiel auch deshalb leichter als in der Vergangenheit, weil viele Firmenchefs erkannt haben, dass sie in zentralen gesellschaftlichen Fragen wie der Gleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe oder sexueller Orientierung Stellung beziehen müssen, wenn sie weiterhin Geschäfte machen wollen - eine Erkenntnis, die Republikaner wiederum als Kniefall vor einem vermeintlich allzu liberalen Zeitgeist geißeln.

Lina Khan ist Chefin der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC - und will jetzt Fusionen strenger kontrollieren. (Foto: REUTERS)

Dennoch kann von einem dauerhaften Frieden zwischen Demokraten und Lobbyvereinigung keine Rede sein, im Gegenteil: Gerade erst hat Kammerpräsidentin Suzanne Clark erklärt, man werde gegen die von Biden eingesetzte Chefin der Wettbewerbsbehörde FTC, Lina Khan, "in den Krieg ziehen", weil Khan die Wirtschaft systematisch gängele und die Übernahmepläne vieler Unternehmen torpediere.

Tatsächlich hat es sich die FTC-Chefin zur Aufgabe gemacht, Fusionen strenger zu kontrollieren und notfalls gar rückgängig zu machen. Im Visier hat Khan dabei nicht zuletzt Tech-Riesen wie Google, Facebook und Amazon, Firmen also, die vor nicht allzu langer Zeit noch als Verbündete der Demokraten galten. Heute erzählt man sich in Washington, dass vor allem Google den "Kriegseintritt" der Wirtschaftskammer gegen Khan - und damit mittelbar auch gegen Biden - finanziere. Und noch eine Notiz am Rande: Bei Ihrer Bestätigung durch den Kongress hatte Khan auch mehr als ein Dutzend Stimmen Tech-kritischer republikanischer Senatoren erhalten.

Wie groß das Durcheinander im Verhältnis von Politik und Wirtschaft mittlerweile ist, zeigte im Übrigen die Argumente, mit denen Senator Rubio sein Ja zur geplanten Gründung eines Betriebsrats im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer rechtfertigte. "Heute mag es um die Arbeitsbedingungen gehen", sagte er - ein Thema, das Republikanern sonst nicht so am Herzen liegt. Morgen aber würden die Beschäftigten womöglich vom Management gezwungen, dessen nächste politisch überkorrekte "Marotte" mitzumachen. Schließlich seien "Firmen wie Amazon im gegenwärtigen Kulturkampf Bündnispartner der Linken". Da, so die Logik, sei es doch gut, einen Betriebsrat zu haben, der die Belegschaft notfalls vor der irregeleiteten Unternehmensführung schützt.

Mit den Demokraten verbandelte Gewerkschafter als Bollwerk gegen allzu freigeistige Flausen eines angeblich ebenfalls Demokraten-nahen Konzernmanagements: Da allerdings konnten selbst viele Parteigänger des früheren Präsidentschaftsbewerbers Rubio nicht mehr ganz folgen.

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