Vor 180 Jahren fuhr William Henry Harrison als erster Präsidentschaftsanwärter mit der Eisenbahn zu einem Auftritt. 1960 verstand John F. Kennedy die Macht des Fernsehens für die Verbreitung seiner Botschaft. Und 2008 kolonialisierte Barack Obama als erster Kandidat erfolgreich Wahl-Neuland, indem er die jungen sozialen Medien zur Mobilisierung nutzte.
Der amerikanische Wahlkampf ist kein geeignetes Messgerät für die politische Reife des Landes, wohl aber für den technischen Fortschritt und die Entwicklung der Kommunikationssysteme.
Im Vergleich zu den vergangenen Aufbrüchen der Kandidaten zu neuen Technologien hat Social Media im Jahr 2016 eine ungleich düsterere Gestalt angenommen: kaputt, enthemmt, unversöhnlich. In der aufgeregten Echtzeit-Welt flackert eine Zukunft auf, in der sich zwei Lager beinahe bürgerkriegsähnlich gegenüberstehen, wenn auch bislang nur mit Worten. Ist das nun Ausnahme- oder Dauerzustand?
In den vergangenen beiden Wahlen, den ersten zählbaren des Internet-Zeitalters, waren die digitalen Rollen klar verteilt: Die Demokraten führten fortschrittlichen Wahlkampf, die Republikaner ignorierten das Thema weitestgehend (2008) oder waren technologisch wie popkulturell zu weit hinterher (2012).
Clinton: Die Marke im Mittelpunkt
In der Theorie hat sich daran nichts geändert: Hillary Clinton nutzt in ihrem Wahlkampf alle zeitgemäßen Mittel. Mehr als 100 Mitarbeiter bespielen über Social Media nicht nur sämtliche relevanten Kanäle, sondern auch Nischen-Plattformen wie das Frage-Portal Quora oder das Bilder-Netzwerk Pinterest. Natürlich spricht die Kampagne der Señora Hillary auch spanisch, um die Wähler mit lateinamerikanischen Wurzeln erreichen.
Zu den viralen Erfolgsgeschichten ihres Wahlkampfs gehören Subtweets zu Trump-Auftritten, direkt ("Lösch Deinen Account") oder als Meme. Als die ehemalige Außenministerin in der ersten Debatte die abwertenden Kommentare ihres Kontrahenten über die Schönheitskönigin Alicia Machado erwähnte, veröffentlichte ihr Team sofort ein Video. Dort erzählte die Frau, wie sie deshalb noch Jahre später an einer Essstörung litt. Klar, dass Machado für die Demokratin stimmen wird.
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Und doch ist Hillary Clinton als politische Figur unübersehbar ein Produkt der Neunziger. Die Demokratin ist schon seit ihrer Zeit als First Lady eine Frau, die in ihrer öffentlichen Rolle nur wenig von sich preisgibt und die Kontrolle über ihr Auftreten behält.
Dies mag nach den vergangenen 25 Jahren nicht verwundern, in denen sie in der politischen Erzählung der Konservativen von der Gegnerin zur Staatsfeindin aufstieg. Doch eine der Nebenwirkungen ist ein erheblicher Mangel an Authentizität, der für das Präsidentenamt wichtigsten politischen Währung des Landes (siehe Mitt Romney und Al Gore). Entsprechend ist Social Media für ihr Team im Wahlkampf ein Werkzeug, mit dem es wie ein Unternehmen die Marke der Kandidatin pflegt. Das geschieht durchaus effektiv und emotional, kann aber nie den Verdacht entkräften, nur gut inszenierte Werbung zu sein.
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Die Authentizität, die Donald Trump verkörpert, hat nur noch am Rande mit der eines George W. Bush zu tun. Der 70-jährige Trump ist als Mensch schon lange hinter jener Figur verschwunden, die er als Immobilienunternehmer zur Markenbildung erschuf und als Reality-TV-Star perfektionierte.
Trump als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ist kein unvorhersehbares Ereignis ohne Vorgeschichte. Er vereint vielmehr die beiden letzten Erfolgsgeschichten des amerikanischen Fernsehzeitalters: die simulierte Nähe des Reality-TV und die einst von Fox News erschaffene TV-Simulation einer Welt, in der die Realität so geschickt gefiltert wird, dass sie am Ende wie eine einzige konservative Wahrheit erscheint. Würde diese Welt noch existieren, Trump wäre noch heute die exzentrisch-extreme Promi-Version dessen, was im deutschen TV Politiker wie Wolfgang Bosbach oder Wolfgang Kubicki sind: ein gern gesehener Gast mit begrenztem politischen Wirkungskreis und der Fähigkeit, unterhaltsam Sendezeit zu füllen.
Doch das, was Fox News und politische Figuren wie der ehemalige Repräsentantenhaus-Sprecher und frühere Trump-Unterstützer Newt Gingrich erschufen, hat ihre Schöpfer längst hinter sich gelassen. Die Massenmedien kollabieren und werden durch vernetzte und personalisierte Informationssysteme wie Social Media ersetzt. Dort dockt bei der Rechten postfaktischer Nachrichten-Content an, aber auch Teile des progressiven Amerikas basteln sich die Realität zunehmend nach emotionalen und weltanschaulichen Vorlieben.
Nichts macht die veränderten Medien-Verhältnisse deutlicher als der Platztausch des Second Screen: Früher waren damit Internet-Nutzer gemeint, die das Fernsehgeschehen kommentieren. Heute ist es das Fernsehen, das über Tweets, Facebook-Postings, Youtube-Videos und Instagram-Bilder berichtet. Gleiches gilt für Nachrichtenseiten.
Mark Zuckerberg hat die Gründer von Twitter einmal als Fahrer eines "Clown-Autos" bezeichnet, "die zufällig in einer Goldmine" landen. Donald Trump ließe sich ähnlich beschreiben: Mit seiner Persönlichkeit und der Hilfe seines Twitter-Konten hat er die neuen vernetzten Realitäten wie kein anderer für sich ausgenutzt. Nebenbei hat er das politische Zentrum der Republikaner nicht nur verschoben, sondern gesprengt. Und es ist noch nicht einmal klar, was davon aus Kalkül, was aus Instinkt und was aus purem Narzissmus geschah. Es lässt sich einzig feststellen, wann Trump selbst twittert (Android) und wann sein Team (iOS und der Rest).
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Trumps Vorwahlkampf war ein einziger Feedback-Loop: ein unberechenbarer Auftritt, ein neuer Tabubruch, ein Tweet (manchmal auch spätnachts). Immer wieder brachte sich der Mann, der im Frühsommer 2015 noch deutlich weniger Twitter-Follower als Clinton hatte, ins sozial-mediale Gespräch. Medien und Social Media diskutierten ihn irgendwann in parallelen Dauerschleifen.
Wenn seine Auftritte und Twitter-Einlassungen als Test dafür dienten, was ihm die republikanische Wählerschaft verzeiht, war das Ergebnis: eigentlich alles. Und im Zweifelsfall kann sich der selbstinszenierte Anti-Politiker darauf verlassen, noch für jede Lüge Verteidiger oder passende "Fakten" zu finden. Schließlich gibt es ja rechte Portale wie Breitbart, die Facebook- und Twitter-Filterblasen seiner enthusiastischen Basis und die schnell über Facebook hochgezogenen Klickmich-Medien.
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Trump nutzt soziale Medien nicht nur, er ist ihr Produkt
Von einer Social-Media-Strategie zu sprechen, wäre deshalb falsch. Natürlich lässt Trump auch Facebook, Instagram oder Snapchat befüllen, doch das ist nicht der Punkt: Trump ist das Produkt von Social Media , er wäre ohne die totalvernetzte Echtzeit-Kommunikation niemals ein ernstzunehmender Kandidat geworden.
Wenn Politik ein Spiel ist (und wenig deutet darauf hin, dass der Kandidat es für etwas anderes hält), dann dürfte der Republikaner durch Verschmelzung mit der Ideenwelt der Hardcore-Rechten seine wohl anstehende Niederlage eingeleitet haben. Angetrieben von den ehemaligen Fox-News- und Breitbart-Chefs Roger Ailes und Stephen Bannon versuchte er, die Wähler in sein zutiefst apokalyptisches Wahrnehmungsfeld zu ziehen, statt andere Realitäten und Lebenswelten anzusprechen. Das wäre durchaus möglich gewesen.
Das bedeutet aber nicht, dass Clinton ihren möglichen Sieg durch Social Media erreicht hätte: Ein digitaler Schlüssel dürfte eher die immer noch überlegene datengetriebene Wählermobilisierung der Demokraten sein.
Der digitale Wahlkampf des Jahres 2016 bleibt für die Erkenntnis in Erinnerung, dass nicht aus einer Öffentlichkeit "viele Öffentlichkeiten" geworden sind, sondern viele unterschiedliche Realitäten. Ohne adressierbare Gatekeeper und immer schwerer von außen zugänglich. Die Reste einer gemeinsamen Wirklichkeit, die Gesellschaften brauchen, um Entscheidungen zu treffen, sind fast vollständig verschwunden.
Trump gegen Clinton könnte deshalb der erste Wahlkampf in der Ära des amerikanischen Tribalismus gewesen sein, der Ablösung der Gesellschaft durch die Idee der Gemeinschaft.
Die US-Wahl wird auch Thema auf dem Netzkongress von BR-Zündfunk und Süddeutscher Zeitung sein, der am 14. und 15. Oktober 2016 im Münchner Volkstheater stattfindet. Am Samstag berichten die SZ.de-Korrespondenten Matthias Kolb (Washington), Johannes Kuhn (New Orleans) und Hakan Tanriverdi (New York) über ihre Erfahrungen während des Wahlkampfs.
Fünf Beispiele für neue Trends im Wahlkampf 2016:
1. Snapchat-Filter
Snapchat entwickelt sich seit zwei Jahren zu einem Leitmedium für die wichtige Wählergruppe der Unter-30-Jährigen. Die beiden Wahlkampf-Kampagnen sind dort aktiv, bekanntestes Werkzeug sind Geofilter - also Filter, die Nutzer in bestimmten Gegenden aktivieren können. Bernie Sanders nutzte das in den Vorwahlen erfolgreich zur Mobilisierung von Jungwählern, Clinton und Trump zogen später mit Filtern nach, mit denen sie sich gegenseitig auf den Smartphones ihrer jeweiligen Anhänger verspotten.
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2. Subtweets
Es war der Wahlkampf der Kommentare zum Geschehen: Persönliche Subtweets über Auftritte und Aussagen von Konkurrenten wurden zum Standard, auch wenn die Kandidaten weiterhin nicht direkt miteinander interagieren.
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3. Massenhaft Memes
Social Media 2016 bedeutet: Kommunizieren über Memes. Alle tun es, überall. Die Kandidaten. Ihre Anhänger. Verschwörungstheoretiker ( Pepe, der rechte Frosch). Professionelle Meme-Produzenten. Memes sind lustig und haben eine dunkle Seite, sie sind verzweifelt und euphorisch. Kurz:
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4. Die 15-Sekunden-Instagram-Attacke
Trump ist Twitter-Fan, entwickelte aber auf Instagram eine eigene Ästhetik. Ein Format: Der Milliardär, wie er an seinem Schreibtisch sitzt und in 15 Minuten jemanden niedermacht. Ein anderes: 15-Sekunden-Spots mit Attacken auf Gegner.
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5. Live, live, live
Braucht es Fernsehen im Wahlkampf noch? Natürlich - die meisten US-Bürger verbringen immer noch viele Stunden vor dem TV. Doch die Bewegtbilder wandern ins Internet, fast alle Auftritte der Kandidaten werden live gestreamt, ob über Youtube, Facebook Live oder Periscope. Der auffälligste Live-Auftritt im Netz: Trumps Überraschungs-Pressekonferenz vor der zweiten Debatte, als er mit vier Frauen in einem Hotel auftrat, die Bill Clinton sexuelle Übergriffe vorwerfen.