Urteil zu Siemens:Schlecht informiert

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Gerichtsurteil mit Tragweite: Siemens muss ehemalige BenQ-Mitarbeiter weiterbeschäftigen. Sie sind nicht ausreichend über den Verkauf der Tochterfirma informiert worden - eine späte Genugtuung.

Sibylle Haas

Für Michael Gerber ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts eine späte Genugtuung. Der 59-Jährige kämpft seit fast drei Jahren um seinen Job. Jetzt hat ihm das Bundesarbeitsgericht (BAG) recht gegeben.

Mitarbeiter des insolventen Handy-Herstellers BenQ demonstrieren 2006 vor der Siemens-Zentrale. (Foto: Foto: ddp)

Siemens muss den gelernten Wartungselektroniker weiterbeschäftigen, der zuletzt beim inzwischen insolventen Handy-Hersteller BenQ Mobile in Kamp-Lintfort gearbeitet hat. Siemens hatte 2005 seine Handy-Sparte an den taiwanesischen BenQ-Konzern verkauft. Ein Jahr später meldete die deutsche BenQ-Tochter Insolvenz an.

Damit verloren mehr als 3000 Beschäftigte in Deutschland ihren Job, darunter auch Michael Gerber. Mehr als 50 Mitarbeiter klagten gegen Siemens, um eine Weiterbeschäftigung zu erstreiten. Sie argumentierten damit, dass Siemens sie nicht umfassend über den neuen Eigentümer informiert habe.

Das BAG gab den Klägern am Donnerstag in fünf Verfahren recht. Die Mitarbeiter seien über den Verkauf der Handy-Sparte an BenQ nicht ordnungsgemäß informiert worden, urteilte das BAG. Die Kläger müssten somit weiterbeschäftigt werden.

Einen weiteren Fall wies der Senat allerdings ab, da der Kläger vor seinem Widerspruch einen Aufhebungsvertrag angenommen hatte. Damit habe dieser Kläger über sein Arbeitsverhältnis selbst entschieden, so die Richter.

Ein Grundsatzurteil

Siemens begrüßte die Entscheidung. Sie bringe Rechtssicherheit für künftige Fälle. Aus Sicht von Arbeitsrechtlern hat das Urteil grundsätzliche Bedeutung: Firmen müssen bei Betriebsverkäufen ihre Mitarbeiter noch stärker informieren als bisher.

"Für uns ist das ein großer Erfolg", freut sich Gerber. "Der Betriebsübergang hat nicht stattgefunden, wir sind weiterhin Mitarbeiter von Siemens." Arbeitnehmer müssen nicht akzeptieren, dass ihr Arbeitsverhältnis auf einen anderen Arbeitgeber übergeht.

Sie können normalerweise innerhalb eines Monats widersprechen. So zumindest steht es im Paragraph 613a Absatz 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Diese Frist sei verstrichen, argumentierte Siemens bisher. Doch aus Sicht der Kläger lief die Frist nie an, weil sie nicht ausreichend informiert worden seien.

So sei den Mitarbeitern verschwiegen worden, dass BenQ Deutschland eine GmbH faktisch ohne Eigenkapital sei und daher gar nicht in der Lage gewesen sei, die Versprechungen zu Standort- und Beschäftigungssicherung zu erfüllen. Die Beschäftigten sprachen von einer arglistigen Täuschung durch Siemens. Mit ihrer Klage beriefen sich die Beschäftigten auf die Informationspflichten des Arbeitgebers.

Seit dem Jahr 2002 sind der bisherige und der neue Arbeitgeber verpflichtet, die Mitarbeiter vor dem Übergang des Betriebs auf einen neuen Eigentümer umfassend und schriftlich über die "rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer" zu informieren. Damit hat der Gesetzgeber die Unternehmen noch stärker in die Pflicht genommen.

Michael Gerber ist so etwas wie das Gesicht der Kläger. Er traut sich in die Öffentlichkeit. Das liegt wohl auch daran, dass er Betriebsrat beim Handy-Hersteller BenQ Mobile in Kamp-Lintfort war und außerdem IG-Metall-Mitglied ist.

Auch Gerber argumentierte vor dem Arbeitsgericht, Siemens habe die Beschäftigten fehlerhaft und unvollständig informiert. So hätte es interne Einschätzungen von Siemens über BenQ gegeben, die zu einem vernichtenden Urteil gekommen seien.

Mitarbeitern wurde sichere Zukunft versprochen

Diese Einschätzungen seien den Beschäftigten damals nicht mitgeteilt worden, "sonst hätten sicherlich schon im Herbst 2005 zahlreiche Beschäftigte dem Betriebsübergang widersprochen", sagt Gerber. Stattdessen sei den Mitarbeitern eine sichere Zukunft bei BenQ versprochen worden.

Gerber hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ob ihn Siemens weiterbeschäftigen wird, ist trotz der BAG-Entscheidung fraglich. Als er dem Verkauf an BenQ widersprach und in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht in Wesel recht bekam, kündigte ihm Siemens aus betriebsbedingten Gründen.

Auch dagegen klagt Gerber. "Dem Ausgang dieser Klage sehe ich gelassen entgegen, da ich in der Ruhephase der Altersteilzeit bin", sagt er. Er wolle seine Altersteilzeit wie geplant beenden - und dafür solle Siemens aufkommen.

© SZ vom 24.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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