Youtube:Spielzeug-Millionär mit sieben Jahren

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Der siebenjährige Ryan ist ein Star auf Youtube, sein Spielzeug-Werbekanal hat Millionen Abonnenten. (Foto: Youtube)
  • In "Unboxing"-Videos packen Menschen Dinge aus, Millionen Menschen schauen sich diese Videos an. Stars der Szene verdienen damit auf Youtube viel Geld.
  • Inzwischen ist der Trend auch für die Spielwarenindustrie lukrativ geworden. Unternehmen entwickeln inzwischen sogar gezielt Produkte, die durch das Auspacken interessanter werden.

Von Kathrin Werner, New York

Ryan hat ein neues Feuerwehrauto. Es ist so groß, dass er hineinkrabbeln kann, wenn es aufgebaut ist. Aber noch steckt es in der Kiste. Ryan darf es auspacken - und das ist oft der größte Spaß. "Bist du aufgeregt?", fragt seine Mutter. "Ja", antwortet Ryan und zappelt vor Freude. Unter großem Hallo schüttet sein Vater die Einzelteile aus der Kiste. Sieben Minuten lang bauen die beiden das Spielzeug dann im Youtube-Video zusammen. Mehr als eine Million Menschen haben ihnen dabei zugesehen.

Ryan ist sieben Jahre alt und der wohl bestbezahlte Youtube-Star der Welt. Sein Kanal "Ryans Toys Review" hat 18 Millionen Abonnenten. Ryan spielt mit neuen Spielsachen und bekommt dafür Geld. Sehr viel Geld. 22 Millionen Dollar im Jahr sind es laut einer Schätzung des Magazins Forbes. Die Formel ist fast immer gleich: Ryan, dessen Nachname geheim gehalten wird, findet einen großen Karton, einen Pappmaché-Ball, riesige Plastik-Ostereier oder andere aufwendige Spielzeugverpackungen, macht sie auf, jubelt und spielt. Sein erfolgreichstes Video wurde unvorstellbare 1,8 Milliarden Mal angesehen.

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Ryan liegt im Trend. Und dieser Trend heißt Unboxing, Auspacken. Menschen filmen sich dabei, wie sie neue Errungenschaften aus der Verpackung holen, oft vor Millionenpublikum. Besonders Kinder haben Spaß daran. Das hat auch eine Branche für sich entdeckt, die neue Ideen und Trends gerade gut gebrauchen kann: die Spielzeugindustrie. Ein Spielzeug nach dem anderen kommt auf den Markt, das für sich genommen oft nicht besonders aufregend ist. Aber es ist aufregend verhüllt, kann die Farbe ändern oder ist sonst irgendwie mit einer kleinen Überraschung verbunden. Die fotogene Verpackung und die bunte Öffnungszeremonie machen die Unboxing-Sachen zum perfekten Spielzeug für die Ära von Youtube, Instagram und Snapchat - und das, obwohl es weder Bildschirm noch Batterie braucht. "Unboxing ist der größte Spielzeugtrend der vergangenen zwei Jahre", sagt Adrienne Appell, Trendforscherin des amerikanischen Spielzeugverbands Toy Association. "Und es ist nicht absehbar, dass der Trend demnächst endet." Auf der größten amerikanischen Spielzeugmesse in New York, die gerade zu Ende gegangen ist, stellten etliche Unternehmen Spielzeug vor, bei dem es hauptsächlich ums Auspacken geht.

Vor allem das gute alte Kinder-Überraschungsei hat die Branche erobert: mit Spannung, Spiel, aber ohne Schokolade. Die kalifornische Firma Skyrocket zum Beispiel verkauft von diesem Sommer an einen Blumentopf mit Überraschungsfüllung namens "Blume" (ja, die Kalifornier verwenden das deutsche Wort). Wenn man ein bisschen Wasser in den Topf tröpfelt, wächst bunter Schaumstoff empor, der sich als das Haar einer Puppe entpuppt, deren restlicher Körper im Topf wartet. "Jede Blume ist ein komplettes Abenteuer", wirbt Skyrocket. Ein anderes Unternehmen will sogenannte Cutetitos in die Kinderzimmer bringen: bunte Kuscheltierhunde, die man erst anschauen kann, wenn man sie aus Kuschel-Burritos auswickelt. Es gibt Überraschungseier und Überraschungsbälle in allen Farben und Größen. Die Spielzeugfirma Moose Toys präsentierte die neue Marke Scruff-a-Luvs, flauschige Kugeln, die man erst waschen muss, bevor man sehen kann, welches Tier darin steckt. Und die auf Lernspielzeug spezialisierte Firma Learning Resources hat ein neues Spielzeug, das man erst anschauen kann, wenn man ein kleines Chemieexperiment durchführt. "Inzwischen sind es nicht mehr reine Sammelfiguren, sondern der Trend wird immer vielschichtiger", sagt Appell. "Kinder lieben eben einfach Überraschungen."

Puppen, die aus Blumentöpfen oder Bällen steigen, sind derzeit ein Hit in Kinderzimmern. (Foto: N/A)

L. O. L. Surprise ist der Großmeister des Unboxing. Nicht Mattel oder Hasbro oder einer der anderen großen Spielzeughersteller, sondern die viel kleinere Firma MGA Entertainment aus Kalifornien hat L. O. L. Surprise erfunden, einen Ball, in dem eine Sammelfigur und allerlei Krimskrams wie Aufkleber, Klamotten und Accessoires für die Püppchen stecken, die man erst sieht, wenn man den Ball gekauft und geöffnet hat. Die meisten kosten zwischen zehn und 20 Dollar und sind sehr pink. Inzwischen gibt es immer größere und immer stärker glitzernde Plastikkugeln. Es kann Stunden dauern, alles aus dem Plastik zu enthüllen. Gerade erst hat L. O. L. Surprise den begehrten Preis "Spielzeug des Jahres" der Toy Association gewonnen.

Wer in den USA eine kleine Tochter hat, kommt an der Firma kaum vorbei. Und zunehmend gilt das auch für andere Länder. Laut dem Analysehaus NPD Group ist L. O. L. Surprise das am meisten verkaufte Spielzeug in sechs der 13 größten Märkten der Welt, darunter in den USA. Auch in Deutschland kauften Millionen die Miniüberraschungen. Bei Amazon in den USA sind unter den zehn meistverkauften Spielsachen fünf von der Firma. Firmengründer und -chef Isaac Larian ist inzwischen Milliardär. In vielen Ländern verkaufte sich außer L. O. L. Surprise fast gar nichts im vergangenen Jahr.

Viele Händler sind pleitegegangen - allen voran die Kette Toys R Us

Es ist eine harte Zeit für die Spielzeugindustrie. Kinder sind mehr und mehr mit Smartphones und Videospielen beschäftigt und begeistern sich weniger für Puppen oder Brettspiele. Die Branche hat aber nicht nur darunter zu leiden, dass Kinder heute anders spielen als früher, sondern auch darunter, dass ihre traditionellen Handelspartner nach und nach wegbrechen. In den USA ist die größte Spielwarenkette Toys R Us in die Pleite gerutscht. Auch andere, kleinere Ketten machen dicht. Eltern kaufen Spielsachen für ihre Kinder zunehmend im Internet, dort verdienen die Unternehmen aber weniger Geld als in den Läden. Und auch die Art und Weise, wie man neues Spielzeug bewirbt, ist anders als früher. "Es gab eine Zeit, in der man sein Spielzeug in eine TV-Werbung steckte und zwei Wochen später einen Verkaufsschub sah", sagte L. O. L.-Chef Larian der Washington Post. "Diese Ära ist vorbei. Kinder schauen selten fern - sie sind alle auf Youtube."

Und nicht nur da sehen sie Ryan. Der siebenjährige Youtube-Star führt inzwischen nicht nur das Unboxing vor, man kann ihn sogar selbst auspacken. Es gibt Ryan-Spielfiguren, Ryan-Kuscheltiere und - natürlich - seine eigene Kollektion an Riesen-überraschungseiern voll mit Überraschungsspielzeug: Ryans "Ultimate Surprise Giant Mystery Egg".

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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