Umstrittenes Anti-Piraterie-Abkommen:Warum Acta allenfalls eine potentielle Bedrohung ist

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Obwohl das Abkommen weder Internet-Zensur noch neue Straftatbestände einführt, machen Aktivisten gegen Acta mobil. Die EU hat sich das Misstrauen aufgrund der intransparenten Verhandlungen selbst zuzuschreiben. Dennoch: Das Urheberrecht darf nicht sein Recht verlieren - daran ändert auch die berechtigte Kritik der Acta-Gegner nichts.

Heribert Prantl

Acta ist nicht das Ende des Internets. Acta macht nicht das Netz kaputt. Acta ist kein paragraphengestützer Exekutionsauftrag der reichen Staaten gegen das Web. Diese vier Buchstaben, die wie ein moderner Da-Vinci-Code klingen, haben aber in der Netzgemeinde eine ungeheuere Aufregung verursacht.

Demonstration gegen Acta-Abkommen (hier in Düsseldorf) vom vergangenen Wochenende: Acta ist nicht das Ende des Internets. (Foto: dapd)

Einen juristisch harten Kern hat diese Aufregung nicht. Der Wirbel um den Vertrag ist sehr viel größer, als sein Inhalt es hergibt. Trotzdem ist die Erregung der Acta-Kritiker nicht unberechtigt - sie hat jedenfalls das Argument "Wehret den Anfängen" für sich.

Das Kürzel "Acta" steht für einen ziemlich unspektakulären völkerrechtlichen Vertrag, der ausgeschrieben "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" heißt. Auf seiner Basis sollen Markenpiraterie und Urheberrechtsverletzungen bekämpft werden. Gegen diese Absicht ist nichts zu sagen.

Die zum Teil hysterische Kritik basiert zum einen auf Falschinformationen, die im Netz ständig wiederholt und multipliziert werden; zum anderen aber auch auf einem Unverständnis dafür, dass das geistige Eigentum ein richtiges Eigentum ist, seinen Wert hat und Schutz braucht.

Die Machtposition der Firmenimperien

Dieses Unverständnis wiederum rührt vor allem daher, dass das Urheberrecht meist nicht als das Recht von Autoren, Musikern und Komponisten auftritt, die von ihres Kopfes Arbeit leben müssen, sondern in der Öffentlichkeit als Machtposition großer Firmenimperien wahrgenommen wird, die den Autoren, Musikern, Komponisten deren Nutzungsrechte abgekauft haben.

Das böse Wort "Netzsperre" kursiert und bringt Internet-Aktivisten in Rage. Sie befürchten, dass Acta ein Überwachungsregime im Internet etabliert, um die Interessen der Kreativindustrie über Gebühr und auf aggressive Weise zu schützen. Dafür gibt es aber in diesem Vertrag keinen Anhaltspunkt. Es gibt dort keine Forderung nach Internet-Zensur, es werden dort den Providern keine Überwachungs-Verpflichtungen auferlegt; es wird auch keine Strafbarkeit der Privatkopie begründet, es werden keinerlei neuen Straftatbestände eingeführt.

All dies wird aber von Kritikern behauptet. Kein Wort davon steht im Vertrag. Offenbar wird Acta vielfach mit dem höchst fragwürdigen US-Gesetz Sopa ("Stop Online Privacy Act") gleichgesetzt, das tatsächlich Internet-Blockaden vorsieht. Es ist andererseits aber auch nicht so, dass in Acta solche Kontrollen und Sanktionen ausdrücklich ausgeschlossen werden.

Allenfalls potentiell gefährlich

Das alles heißt: Dieser Vertrag ist nicht akut gefährlich. Er ist es allenfalls potentiell. Erstens, weil er so unklar formuliert ist, dass auch Befürchtungen in ihm Platz haben, die der Wortlaut nicht hergibt. Zweitens, weil diese Befürchtungen genährt werden von der Heimlichkeit, mit der dieser Vertrag zwischen EU, USA, Japan und acht weiteren Staaten ausgehandelt wurde - ohne jede Beteiligung der Netzgemeinde, aber auch ohne Beteiligung der Weltorganisation für geistiges Eigentum.

Statt der Experten, so klagt etwa die Piratenpartei, saßen Firmen wie Microsoft, Apple, Google und die Filmindustrie Hollywoods am Verhandlungstisch. Zur Unklarheit und zur Heimlichkeit des Vertrages kommt ein Drittes: Der EU trauen viele Kritiker seit der Vorlage ihrer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung alles Böse zu, wenn es um Überwachung geht.

Die Befürchtung geht dahin, dass auf Basis des Vertrages neue EU-Richtlinien erlassen werden könnten, die dann wirklich ein strenges Internet-Regime etablieren. An diesem Misstrauen ist die EU-Kommission nicht unschuldig. Sie hat die viel kritisierte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (weil sie auf diese Weise leichter durchzusetzen war) auf die Normen des EG-Vertrags zur Verwirklichung des Binnenmarkts gestützt (mit denen die Vorratsdatenspeicherung gar nichts zu tun hat). Und der EU-Beschluss zur Ratifizierung von Acta wurde in einer nichtöffentlichen Sitzung des Agrarausschusses (!) gefasst. So etwas ist verdächtig.

Der freie Informationszugang darf nicht behindert werden

Alle Maßnahmen, die jetzt in Acta zum Schutz der Urheberrechte gefordert werden, sind in Deutschland längst Gesetz: Wer das Urheberrecht verletzt, muss Schadenersatz zahlen; wer unerlaubt Werke vervielfältigt oder verbreitet, macht sich strafbar; es ist verboten, einen Kopierschutz zu umgehen; und wenn "in gewerblichem Ausmaß" geistiges Eigentum verletzt wird, hat der Verletzte einen Auskunftsanspruch gegen den Provider.

Auch dagegen kann man natürlich protestieren - aber diese Regeln waren und sind notwendig, weil sonst das Urheberrecht sein Recht verliert. Es braucht Schutz, weil es sonst global zerbröselt. Ein kluges Urheberrecht verhindert natürlich nicht den freien Zugang zu Informationen. Informationen als solche waren nie urheberrechtlich geschützt; sie sind frei und müssen frei bleiben. Geschützt ist nur die besondere Verarbeitung und Gestaltung der Information, also das Werk, das daraus gemacht wird.

Wenn wirklich die Gefahr bestünde, dass mit den Paragraphen, Mitteln und Methoden des Urheberrechts der freie Zugang zur Information behindert würde, dann wäre ein demokratischer Aufstand fällig. So weit ist es nicht, jedenfalls nicht in Deutschland. Aber man darf ja üben.

© SZ vom 13.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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